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Religion, Theologie und Gewalt
Leiden Tiere unter dem Christentum?

Tag für Tag werden in Deutschland rund zwei Millionen Landtiere getötet. Dass die meisten Menschen das nicht in Frage stellen, hat für die Theologin Simone Horstmann auch religiöse Gründe: Das Christentum habe Tiere für weitgehend bedeutungslos erklärt. Horstmann will das ändern.

Von Christian Röther | 07.06.2021
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Tierethik im Christentum? Bisher beschäftigen sich nur wenige Theologen mit der Rolle von Tieren (www.imago-images.de)
Simone Horstmann ist katholische Theologin – und vertritt eher ungewöhnliche Positionen, wie zum Beispiel: "Das Christentum hat es zu verantworten, dass Tiere nahezu für bedeutungslos erklärt wurden."
Sie engagiert sich in der Tierrechtsbewegung, und sie setzt sich auch theologisch mit Tieren auseinander – was in der Theologie oft nicht gut ankomme: "Ja, es ist die überwiegende Reaktion, dass tatsächlich gar nicht reagiert wird. Das ist ein sehr ungewohntes Thema. Ich kann mich erinnern, ich habe in Bochum meine erste Zeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin verbracht, einige Jahre, und hatte damals vorgeschlagen: Lasst uns doch mal ein Seminar zu Tierethik machen! Und habe dann einen entsprechenden Gegenwind erfahren. Weil man mir gleich sagte: Nein, Frau Horstmann, das Thema machen wir nicht. Das geht irgendwie nicht."
Inzwischen ist Simone Horstmann Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Dortmund. Dort hat sie ihre Doktorarbeit über die Entwicklung der Ethik in der Moderne geschrieben. Ihr Interesse für Tiere hat sie schon als Kind entdeckt, sagt sie. Schon damals habe sie festgestellt, dass etwas nicht stimme im Verhältnis von Tieren und Menschen.
"Etwa die Wahrnehmung, dass es Schlachthöfe gibt. Dass es die Wirklichkeit einer unfassbar großen Industrie gibt, die tagtäglich eine unvorstellbare Menge an Tieren tötet mit der größten Selbstverständlichkeit, die hat mich eigentlich schon als Kind umgetrieben", sagt Horstmann.

"Eine Selbstverständlichkeit, dass wir Tiere töten"

Heute schlägt Simone Horstmann den Bogen von der Tierindustrie zur Theologie. Gerade hat sie einen Sammelband herausgegeben, der sich mit "Religiöser Gewalt an Tieren" befasst. Da fallen vielen wohl als erstes religiöse Rituale ein: die antiken Tempel, an denen massenhaft Tiere geopfert wurden. Bis heute prägt die Erinnerung an den Jerusalemer Tempel Judentum, Christentum und Islam. Und in Judentum und Islam gibt es bis heute rituelle Schlachtungen, das Schächten. Doch statt auf andere Religionen zu zeigen, zielt die katholische Theologin auf ihre eigene Religion ab: das Christentum. Hier gebe es zwar keine Tötungsrituale, aber die christliche Theologie begünstige eine andere Form der Gewalt an Tieren. Horstmann nennt sie "nihilistische Gewalt".
"Damit meine ich, dass unsere Gesellschaft insofern noch vielfach – auch da, wo sie das gar nicht will vielleicht – theologisch und religiös geprägt ist. Nämlich in der Hinsicht, dass sie davon überzeugt ist: Es ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit, dass wir Tiere töten. Und da geht eigentlich auch nichts Wirkliches bei verloren."
Philosoph Bernd Ladwig über Tierethik: Politische Rechte auch für Tiere
Tiere leiden und sterben millionenfach für unsere Zwecke. Moralisch sei das kaum zu rechtfertigen, meint der Philosoph Bernd Ladwig. Er fordert, die Interessen von Tieren zu achten – nach dem Vorbild von Menschenrechten.
Die ideologische Basis dafür habe die christliche Theologie geliefert. Denn dort gelte seit langem: "Tiere an sich sind eigentlich bedeutungslos. Man soll sie jetzt nicht unbedingt quälen – das ist schon ein Common Sense, den man auch schon in wirklich alten, ganz klassischen theologischen Handbüchern findet. Aber die Theologie hat im Grunde bis heute kaum eine Sprache und kaum ein Verständnis dafür entwickeln können, was es eigentlich bedeutet, dass ein Tier stirbt."

Nur für den Menschen geschaffen?

Schon dass Simone Horstmann davon spricht, dass Tiere "sterben", überschreite eine theologische Grenze. Denn das Sterben sei dort den Menschen vorbehalten: "Tiere verenden eigentlich nur. Das ist ja eine Umschreibung dafür, dass wir eigentlich glauben, im wirklichen Sinne passiert da nichts von Bedeutung. Da endet zwar etwas, ja, ein Leben endet, aber dass da eine metaphysische Qualität mit verbunden wird, dieser Gedanke liegt uns eigentlich relativ fern."
Tiere haben keine Seele, heißt es in der Theologie zumeist bis heute. Gott habe die Tiere nur für die Menschen geschaffen, sie seien den Menschen untergeordnet – so die klassische Lehrmeinung. Doch warum diese theologische Abwertung der Tiere? Weil die Menschen so aufgewertet würden, meint die katholische Theologin:
"Der Gewinn ist letzten Endes ein sehr, sehr – ich würde sagen - hoheitliches, fast schon triumphalistisches Menschenbild." Der Mensch als Mittelpunkt des Heilsgeschehens, als Krone der Schöpfung. "Dieses Menschenbild – der Mensch als ein Vernunftwesen etwa, wenn man das theologisch formulieren will: der Mensch als Ebenbild Gottes und dergleichen – dieses hoheitliche Menschenbild hat eben gewisse positive Folgen mit sich gebracht, aber es hat uns auch etwas gekostet: nämlich eine wirklich maximale, radikale, ich würde fast sagen: auch eine totalitäre Abwertung von nicht-menschlichem Leben."

Keine Seele, keine Hoffnung

Deshalb würden Tiere in der christlichen Theologie auch so gut wie keine Rolle spielen – von wenigen Ausnahmen abgesehen. So würden Tiere in der Schöpfungstheologie, bei der Erschaffung der Welt zwar noch vorkommen, sagt Simone Horstmann, aber sie beobachte auch:
"… dass sie vor allen Dingen am Ende – ich sag‘s mal ganz flapsig vielleicht – über die Klippe springen. Also am Ende zählen sie einfach nicht mehr. In den eschatologischen Fragen kommen sie in der klassischen Theologie einfach nicht vor. Das ist auch so ein Ausdruck von nihilistischer Gewalt. Dass sie eben am Ende nicht zählen."
Tier-Ethik in den Weltreligionen: Haben Hamster eine Seele?
Sind auch Tiere Kinder Gottes? Das hängt von der Glaubensrichtung der Menschen ab. Buddhisten achten sogar Kleinstlebewesen, Hindus bringen Gottheiten blutige Tieropfer. Das Christentum überdenkt seine Haltung, davon zeugt die Enzyklika "Laudato Si".
Erlösung, Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und auf eine neue, bessere Welt – das alles habe die Theologie exklusiv für die Menschen reserviert, kritisiert die Dortmunder Theologin. Und zugleich fordert sie: Die Theologie soll dieses "elitäre Menschenbild" hinterfragen und korrigieren. Simone Horstmann nennt es "theologische Religionskritik".
"Das ist ja vielleicht auch der Ausweis, warum ich immer noch nach wie vor glaube, dass es auch seinen Ort an Universitäten hat: dass es eben Aufgabe von Theologie sein muss, Religion zu kritisieren."

Theologie ohne Tiere?

Wie Menschen mit Tieren umgehen, wird immer stärker in Frage gestellt. Bücher über das Mensch-Tier-Verhältnis werden zu Bestsellern. Und die katholische Theologin hofft, dass auch die Theologie die Tiere entdeckt – groß ist ihre Hoffnung allerdings nicht.
"… wenn ich sehe, dass aktuell an so vielen universitären Standorten der Theologie Lehrstühle für Digitalisierung, für Künstliche Intelligenz ausgeschrieben werden. Und es ist eben nur so, dass sich niemand mit den natürlichen Intelligenzen, die es natürlich auch gibt, beschäftigen will. Und das ist fast schon tragisch."
So bleibt Simone Horstmann vorerst eine von wenigen Stimmen in der christlichen Theologie, die versuchen, dem Menschen die Krone der Schöpfung wieder abzunehmen, um sie mit den Tieren zu teilen.
Simone Horstmann (Hrsg.): Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt.
Transcript Verlag 2021, 330 Seiten, 50 Euro.