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Religion und Gewalt

Kain erschlug Abel, Gott lies die ägyptische Armee im Roten Meer ertrinken, die katholische Kirche verbreitete den Glauben mit Feuer und Schwert. In anderen Religionen findet man oft Ähnliches. Lässt sich Religion vielleicht gar nicht von Gewalt trennen? Darüber diskutierten Fachleute in Heidelberg an der Akademie der Wissenschaften.

Von Carl-Josef Kutzbach | 19.07.2007
    Gewalt hat viele Facetten: Gegen die rohe Gewalt erregter Menschen, steht die ruhig abwägende Gewalt des Rechtes, und der Staat verteidigt sich mittels der Staatsgewalt. Bei Tier- und Menschenopfern gab es früher die opfernde Gewalt. Die religiöse Gewalt sei, so der emeritierte Heidelberger Ägyptologe und Religionswissenschaftler Prof. Dr. Jan Assmann, vor Jahrtausenden beim Übergang von Religionen mit vielen Göttern zum Monotheismus entstanden:

    "Das ist nicht die Gewalt Gottes, es ist die Gewalt derer, die für Gott eintreten, die für Gott eifern, die für das Gesetz, die andere Menschen umbringen, um damit den Zorn Gottes abzuwenden. Das ist etwas ganz Neues. Das gibt es in den anderen Religionen nicht, weil die Götter da natürlich selbst mit Pest, und ich weiß nicht was, strafend eingreifen, so wie ja auch Gott in der Sintflut-Geschichte, die ja aus dem alten Orient stammt und so weiter. Also dieses Eifern für Gott - arabisch 'Hamas' - das ist etwas mit dem wir heute konfrontiert werden. Das ist menschlicher Eifer, der glaubt, sich zum Vollstrecker von Gottes Willen zu machen, und das, meine ich, das ist das Neue."

    Christliche Kreuzzüge oder muslimische Religionsverbreitung, beide geschahen mit Feuer und Schwert. Im Alten Testament gibt es zig gewalttätige Stellen: Jahwe sandte die Sintflut, ertränkte das ägyptische Heer, lies Plagen zu oder verwandelte Frau Lot in eine Salzsäule. Bernd Janowski, Tübinger Professor für Alttestamentliche Theologie hat sich mit diesen Gewalttaten Gottes befasst.

    "Wir müssen noch viel intensiver sie als Gewalttexte sozusagen identifizieren. Aber wir müssen sehen, dass sie im Zusammenhang, im Kontext einer Gesamtgeschichte stehen, in der Gott sich selbst verändert; in der sozusagen dieses Gewaltpotenzial bewusst wird, durch Markierung der Texte, durch Erzählung darüber wird das ausdrücklich gemacht, das heißt, Gewalt wird aufgedeckt. Und dann wird sie bearbeitbar überhaupt, indem sie benannt wird."

    Das Alte Testament auch als therapeutischen Text zu verstehen, der helfen soll friedlich zusammenzuleben, liegt, wie bei allen religiösen Texten, nahe. Natürlich müssen in religiösen Texten Recht und Unrecht, Frieden und Gewalt vorkommen, denn der Mensch sucht ja in der Religion Hilfe beim Bewältigen seiner alltäglichen Schwierigkeiten.

    Das bedeutet, dass jeder religiöse Text auch im Zusammenhang mit seiner Zeit und den Menschen, für die er verfasst wurde, betrachtet werden muss. Welche Texte wurden wann verfasst? Gibt die Übersetzung den ursprünglichen Ausdruck wirklich umfassend wieder? Wenn es heißt "Mein ist die Rache, spricht der Herr", dann ist das hebräische Wort "Naqam" ungenügend übersetzt. Bernd Janowski:

    "Naqam - wir könnten diesen Ausdruck auch mit Vergeltung übersetzen. Dann würde man aber sagen können. Ja Moment, das ist doch auch scheußlich. Vergeltung wollen wir doch nicht. Aber wenn man Vergeltung im Wortsinne nimmt, also 'Vergelts Gott', ich gebe jemand etwas zurück. Was hier zurückgegeben wird, im Vergeltungsdogma, im Vergeltungsschema, sind die Folgen der Tat. Das heißt, der Täter wird mit dem konfrontiert, was er angerichtet hat, und kann dadurch überhaupt ein Verhältnis gewinnen. Er wird nicht einfach gestraft und dann allein gelassen, sondern es ist so etwas wie eine Form der Resozialisierung in der hebräischen Bibel."

    Hinter dem "Mein ist die Rache" steckt also die Aussage "Ich werde den Rechtsfrieden wieder herstellen". Überhaupt spielt das Recht im Alten Testament eine große Rolle: angefangen beim Bund Gottes mit den Menschen bis hin zum Täter-Opfer-Ausgleich der den Zehn Geboten folgt. Es geht also um die Gewalt des Rechtes, die der Willkür Grenzen setzen soll, und nicht um religiöse Gewalt.

    Der islamische Dschihad wird oft mit heiliger Krieg übersetzt. Das Wort bedeutet aber nur, dass man sich eifrig um Gott wohlgefällige Werke bemüht, egal ob religiös, wie eine Wallfahrt, mildtätig, oder kriegerisch. Im Lauf der Geschichte gab es vier Ansichten zum kriegerischen Dschihad. Sie reichen von Selbstverteidigung, wenn die Ausübung des Glaubens verwehrt wird, bis hin zum aggressiven, Kreuzzug ähnlichen Dschihad. Im sozialistischen Irak war Religion Privatsache, berichtet der emeritierte Tübinger Islamwissenschaftler Prof. Dr. Josef van Ess:

    "Dschihad war nicht vorgesehen. Saddam Hussein hat dann zum Schluss, als es kritisch wurde, dieses Reizwort in die Diskussion gebracht, zum Dschihad aufgerufen. Es hat nichts genutzt. Kein Mensch ist ihm gefolgt. Das ist übrigens verhältnismäßig häufig passiert. Wir übersehen das."

    Religion und Gewalt sind also nicht unabdingbar mit einander verbunden, sondern erst die Auslegung stellt eine Verknüpfung her. Die Auslegung folgt dabei verschiedenen politischen Interessen, aber auch dem Bedürfnis der Gläubigen nach Gottes Wort:

    "Die Frage ist nur: Wie versteht man Wort Gottes? Ist das eine Botschaft dem Inhalt nach? Oder ist sie es verbatim, also dem Wortlauf nach?"

    Erst seit dem 19. Jahrhundert entstand im Islam eine Tendenz, die christliche Fundamentalisten schon viel länger pflegen, nämlich, dem Wortlaut den Vorzug zu geben. Das ist allein auf Grund der angesprochenen Übersetzungsprobleme gefährlich.

    Dschihad gegen Glaubensbrüder ist unzulässig, deshalb sind Attentate, die auch Muslime treffen könnten, eigentlich unmöglich.

    "Vieles davon, von dem was wir jetzt als Dschihad wahrnehmen, von dem wir häufig gar nicht wissen, ob es von dem Betreffenden, der da Dschihad übt, auch als Dschihad bezeichnet wird, dass vieles davon nur entfernt in der Tradition steht, aber Muster übernimmt, die wir aus unserem eigenen Terrorismus kennen."

    Religion wird weltweit schon immer in den Dienst Mächtiger gestellt, dass Religion selbst Gewaltausübung fordert, ist dagegen seltener.

    Heinrich Freiherr von Stietencron, emeritierter Tübinger Professor für Indologie und Vergleichende Religionswissenschaft, belegt am Versepos Bhagavadgita, dass ein gerechter Krieg für Hindus oder Buddhisten eine religiöse Pflicht sein kann.

    "Es ist ja so, dass wir gewöhnt sind die Inder als friedliebende Leute zu sehen. Sind sie auch in vielen Bereichen. Aber mir war es wichtig zu zeigen erstens, dass das nicht immer so war, und zweites, dass selbst ein Gott, ein wirklich friedliebender Gott, trotzdem verlangt, dass notfalls mit Gewalt die Ordnung, die soziale Ordnung und das Recht bewahrt wird. Und das gilt nicht nur für diese frühe Zeit im ersten Jahrtausend vor Christus, sondern das gilt selbstverständlich heute noch so."