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Religion und Handwerk
Schwere Zeiten für Glockengießer

Seit Jahrhunderten begleiten Kirchenglocken unseren Alltag. Aber die Situation der Kirchen hat sich verändert. Neue Gotteshäuser werden kaum noch gebaut, immer mehr Kirchen umgewidmet. Die Folgen spüren auch die Glockengießereien.

Von Remko Kragt | 17.04.2014
    Unter dem "Dicken Pitter", der größten Glocke des Kölner Doms liegt am Freitag (07.01.2011) der abgefallene Klöppel. Materialermüdung war der Grund für das Abbrechen des Klöppels, Der Klöppel war am Donnerstag beim Läuten abgefallen und auf die Wartungsebene des Glockenstuhls gestürzt.
    Der "Dicke Pitter", die größte Glocke des Kölner Doms (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Gusstag bei der Glockengießerei Petit und Edelbrock im westfälischen Gescher. Den ganzen Tag schon brummt der große Schmelzofen. Viereinhalb Tonnen Bronze müssen auf mehr als 1200 Grad erhitzt werden. Im Ofen brodelt eine rot glühende Flüssigkeit wie in einem Vulkan. Arbeiter werfen Kupferschrott und Zinnbarren hinein. Mit langen, frischen Birkenstämmen rühren die Glockengießer in Schutzanzügen die sogenannte Speise um. Funken sprühen aus dem Ofen.
    Drei Kirchengemeinden haben Glocken bestellt. Viele Mitglieder sind angereist - zum Teil von weit her.
    "Der Glockenguss ist ja immer ein emotional entscheidender Moment, den wollen wir mit erleben",
    sagt Bernhard Buss von der evangelischen Gemeinde im 200 Kilometer entfernten Wiesmoor in Friesland.
    Selten kommen Handwerk und Religion einander so nahe, wie in einer Glockengießerei. Der ganze Produktionsvorgang ist eingebettet in ein Ritual. Das beginnt schon mit dem Gusstermin: Glocken werden am Freitagnachmittag gegen drei Uhr gegossen - zur Erinnerung an die Sterbestunde Jesu. Die Geistlichen bereiten den Guss mit einer ökumenischen Andacht vor. Untermalt vom lauten Ofen und dem Klappern der Werkzeuge beten sie um Segen für die Glocken. Dann singen mehr als 200 Gläubige, dicht gedrängt auf der eigens gebauten Bühne um die Gussgrube herum das Lied "Lobet den Herrn".
    Ein Name für jede Glocke
    Es folgt der Glockenguss. Der Glockengießer bittet um absolute Stille, dann schlägt ein Mitarbeiter nach einer Anrufung Gottes den Ausguss des Ofens auf: "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes", "Im Namen Gottes".
    Nach einigen Hammerschlägen schießen vier Tonnen flüssige Bronze rot glühend, knisternd und brodelnd durch eigens gemauerte Gusskanäle zu den Glockenformen. Jede Form hat einen Namen. Mit kurzen Kommandos gibt der Glockengießer eine nach der anderen frei: "René in Gottes Namen, Jan in Gottes Namen." Nach wenigen Minuten ist der Guss vorbei. Für manche Teilnehmer ein emotionaler Moment: "Ich musste ein bisschen weinen"
    Zum Abschluss fasst Glockengießer Goran Huesker das Geschehene noch einmal zusammen:
    "Es wurden sieben Glocken gegossen mit einem Gesamtgewicht von gut 2,6 Tonnen. Dazu war es nötig, den Ofen mit gut 4,5 Tonnen zu bestücken. Durch Proben wurde festgestellt, dass nur einwandfreies Material vergossen wurde."
    Die Gussgrube in Gescher ist mit diesen sieben Glocken allerdings nicht einmal halb ausgelastet. Für die Glockengießereien sind harte Zeiten angebrochen. Von den ehemals mehr als hundert deutschen Betrieben sind mittlerweile nur noch vier aktiv - sie alle sind Familienunternehmen. Und auch sie können nicht mehr vom Glockenguss alleine leben. Geschäftsführer Rainer Esser erinnert an bessere Zeiten:
    "Früher war das anders, da war das Glockengießen nach dem Krieg - es wurde ja alles zerstört und zu Kanonen und zu Waffen umgebaut - danach hat dieses Unternehmen geboomt. Heute haben wir 23 Mitarbeiter, da waren es 80 und die haben in zwei Schichten in drei Öfen die Glocken vorbereitet, gegossen und so weiter. Das waren noch andere Zeiten, klar."
    Neue Glocken kaum gefragt
    Glocken werden nur noch an drei oder vier Tagen im Jahr gegossen. Zwei Gussgruben hat das Unternehmen, das auf eine jahrhundertealte Firmentradition zurückblickt, stillgelegt. In den Räumen liegen heute unter anderem schwere Holzbalken, aus denen Glockenstühle gefertigt werden. Sie ersetzen vielfach die nach dem Krieg errichteten Stahl-Glockenstühle, von denen etliche heute schon verschlissen sind. Und auch Holztreppen und Schallfenster für Kirchtürme vertreibt das Unternehmen.
    "Es ist einfach nicht mehr genug zu tun und so ein Unternehmen wirtschaftlich zu führen ist nicht einfach. Da muss man schon ein paar Schräubchen drehen. Der größte Geschäftszweig ist die Sanierung, die Wartung, Reparaturen von Glockenanlagen in Kirchen."
    Ständig sind Wartungsmonteure in deutschen Kirchen und im angrenzenden Ausland unterwegs. Einen halben Tag lang müssen sie in einem Glockenstuhl herumklettern, um alle Punkte an allen Glocken abzuarbeiten. Hände, Augen und - nicht zuletzt - Ohren sind im Einsatz. Es ist eine vielseitige, aber auch anspruchsvolle Arbeit, sagt Geschäftsführer Rainer Esser.
    "Wenn Sie auf dem Kirchturm sind, dann haben Sie Mechanik, dann haben Sie Holz, Stahl, Elektronik, Elektrik, da brauchen Sie nicht Glockengießer zu sein, da müssen Sie, sage ich mal, Allround-Handwerker sein. Sie müssen auch im Sommer Hitze ertragen können, da oben ist es immer tierisch warm, und im Winter Kälte. Das ist schon ein harter Beruf, aber wer das mal angefangen hat, der liebt das, weil, er ist natürlich da draußen auch selbstständig und er hat es mit Musikinstrumenten zu tun."
    Die verbliebenen Glockengießereien haben sich mit ihrem neuen Aufgabenspektrum stabilisiert, glaubt Rainer Esser. Er rechnet nicht damit, dass die Nachfrage nach Glocken und Wartungsaufgaben noch weiter abnehmen wird - zumal die Erwartungen der Kirchen sogar gestiegen sind. Jede Landeskirche beauftragt inzwischen Glockensachverständige, die auf die genaue Stimmung der Glocken achten. Dabei geht es nicht nur um die einzelnen Glocken und Geläute, sondern auch um den harmonischen Zusammenklang in ganzen Orten. Damit auch künftig alle zufrieden nach oben blicken können, wenn die Glocken wieder sauber läuten.