Freitag, 19. April 2024

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Religion und Ideologie im Vorderen Orient
"Islam übernimmt Funktionen, die ein Staat übernehmen sollte"

Der Islam ist nach Ansicht von Rainer Hermann mitverantwortlich für die Krisen im Vorderen Orient. "Wenn Staaten scheitern, wird die Religion wichtiger", sagte der "FAZ"-Journalist und Buchautor im Dlf. Ein politischer Islam habe den bürgerlichen, gemäßigten Islam verdrängt.

Rainer Hermann im Gespräch mit Monika Dittrich | 09.03.2018
    Syrien, Ost-Ghuta: Ein syrischer Junge rennt durch die Überreste von durch Luftangriffen zerstörten Häusern.
    Bürgerkrieg in Syrien: Wo Staaten scheitern, gedeiht der radikale Islam. (Samer Bouidani / dpa)
    Monika Dittrich: Rainer Hermann ist promovierter Islamwissenschaftler und Redakteur bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Jahrelang hat er als Korrespondent über die arabische Welt berichtet, er ist ein ausgewiesener Kenner der gesamten Region und ihrer Konflikte.
    Am 10. März erscheint sein neues Buch, es heißt "Arabisches Beben". Hermann beschäftigt sich darin mit den Ursachen für das Scheitern vieler arabischer Staaten, mit dem Bürgerkrieg in Syrien, der Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien, der Spaltung des Islams und dem Erstarken des radikalen Islamismus. "Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten" heißt das Buch im Untertitel, und ich habe Rainer Hermann gefragt, ob die Religion auch einer dieser Gründe ist.
    Rainer Hermann: Zunächst sind die Gründe gesellschaftliche Gründe, Staatsversagen und das Versagen von Eliten. Wenn Staaten versagen, nimmt die Bedeutung der Religion zu, weil die Staaten keinen Halt, keine Sicherheit mehr bieten und die Menschen nach einer Alternative suchen. Wer gibt ihnen Halt, wo finden sie Sicherheit, wo finden sie Solidarität? Insofern hat die große Krise der arabischen Welt, die wir heute erleben, zu einer neuen Bedeutung des Islams geführt.
    Wie der Islam zur Widerstandsbewegung wurde
    Dittrich: Sie beschreiben in Ihrem Buch, dass das Ende der Kolonialherrschaft den Ländern keine Befreiung gebracht hat, sondern Militärdiktaturen, die wiederum scheiterten. Und die Folge davon war der politische Islam. Was ist das Problem mit diesem politischen Islam?
    Hermann: Es hat eine Reihe von externen und internen Faktoren gegeben, die diese Fehlentwicklungen angestoßen haben, die sich heute in diesen Beben und vielen Nachbeben entladen. Und Sie haben das angesprochen: Die Europäer und Amerikaner haben in diese Länder eingegriffen, haben Grenzen gezogen, Verfassungen geschrieben, Könige eingesetzt. Und es waren alles Staaten ohne Nationen, die früher oder später zerfallen sollten.
    Der Islam ist in dieser Zeit, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Widerstandsbewegung geworden. Der Islam hatte bis zum 19. Jahrhundert keine Waffe in der Hand und war auch noch politisiert. Jetzt war ein Gegner da und es wurde eine Ideologie gebraucht, um gegen diesen Gegner vorzugehen und so wurden die Muslimbrüder 1928 als Widerstandsbewegung gegen die britische Kolonialmacht in Ägypten gegründet. Später haben wir auch erlebt, wie in Algerien der Islam als bewaffnete Widerstandsbewegung gegen die französische Kolonialmacht begründet wurde.
    Das heißt, der Islam hatte eine Transformation vollzogen im 20. Jahrhundert, von einer Religion, die man unaufgeregt gelebt hat. Also man sprach nicht über den Glauben, sondern man lebte ihn, und zwar unbeschwert. Und das ist heute anders, das hat sich im 20. Jahrhundert verändert. Heute spricht man über den Islam, ohne dass man ihn lebt, zumindest nicht in der Form, in der die Muslime über viele Jahrhunderte ihren Glauben unbeschwert gelebt haben.
    Religionsgelehrte wurden zum Werkzeug der Machthaber
    Dittrich: Sie haben das Stichwort Ideologie genannt. Haben wir es – wenn wir über den politischen Islam sprechen – also eher mit einer Ideologie zu tun und gar nicht so sehr mit einer Religion?
    Hermann: Es ist natürlich beides. Die Grundlage ist die Religion, sind die Regeln der Religion, sind die heiligen Schriften des Islams. Und das soll nun umgesetzt werden in Staat und Gesellschaft. Die Gesellschaft soll islamisiert werden und damit auch der Staat den Regeln des Islams folgen.
    Die arabisch-islamische Welt kannte lange einen urbanen, bürgerlichen Islam, wie er in Kairo, Damaskus oder Bagdad gelebt wurde: relativ tolerant, nicht aggressiv und dafür hat sich der Begriff der Ambiguitätstoleranz eingebürgert. Das heißt, die Muslime haben über lange Zeit unterschiedliche Auslegungen ihrer heiligen Schriften ausgehalten. Sie hielten sie sogar für von Allah gewollt, denn er wolle damit einen Wettstreit auslösen.
    Wir hatten nicht die eine Wahrheit, sondern wir hatten viele miteinander konkurrierende theologische Auslegungen und das hat sich ganz wesentlich im 20. Jahrhundert geändert. Und das war dann auch einer der internen Brandbeschleuniger, die zu diesen Fehlentwicklungen geführt haben.
    Denn im 20. Jahrhundert haben wir zwei wesentliche Faktoren, die zur Auflösung dieses urbanen, bürgerlichen Islams geführt haben: Zum einen haben diesen bürgerlichen Islam ja große staatliche Institutionen verkörpert, wie die Azhar-Universität in Kairo, diese große autoritative Institution, die die Schriften ausgelegt hat. Oder die vielen Großmuftis, ob nun in Jerusalem, Damaskus oder sonst wo. Und diese Institutionen wurden zunehmend diskreditiert, weil sie in den Dienst von Diktaturen gestellt wurden. Sie hatten diese Diktaturen zu rechtfertigen, zu legitimieren.
    Der Islamwissenschaftler, Buchautor und FAZ-Journalist Rainer Hermann
    Der Islamwissenschaftler, Buchautor und FAZ-Journalist Rainer Hermann (Helmut Fricke / Klett-Cotta)
    Wenn der Machthaber gesagt hat, sage etwas, um Frieden zu suggerieren, dann haben sie ein entsprechendes Fatwa herausgegeben, genauso bei Gewalt. Das sehen wir in diesen Tagen beim Großmufti von Damaskus, der ja auch sehr unterschiedliche Fatwas von sich gibt.
    Dittrich: Das heißt, die Religionsgelehrten haben an Einfluss verloren, weil sie das Werkzeug der politischen Herrscher, der politischen Elite waren – und die Leute wollten sich dann von ihnen nichts mehr vorschreiben lassen. Habe ich das so richtig verstanden?
    Hermann: Absolut. Sie waren nicht mehr autonom und haben dadurch ihre Glaubwürdigkeit verloren. Die einfachen Menschen hatten vom Staat sowieso keinen Nutzen über die vergangenen Jahrzehnte. Und wenn nun dieser Staat, der da versagt, die Religionsgelehrten an sich bindet, dann haben die Religionsgelehrten genauso wenig Glaubwürdigkeit wie die Herrscher. Und insofern franste dieser urbane Islam über die Zeit aus.
    Suche nach der großen Wahrheit
    Aber es kam eben noch eine zweite Sache hinzu: Die Auseinandersetzung über den Kolonialismus hat den Islam ebenfalls verändert. Der Westen kannte seit der Aufklärung nur noch eine große Wahrheit, keine Ambiguität.
    Das haben die Araber übernommen und haben gesagt: Ambiguität ist nicht mehr von Gott gewollt, sondern ein Zeichen von Schwäche. Insofern war auch die Suche nach der einen großen Wahrheit und dem bewaffneten Widerstand gegen die Kolonialmächte, was den Islam im 20. Jahrhundert verändert hat und was ihn weggebracht hat von diesem klassischen bürgerlichen Islam in den großen Städten.
    Dittrich: Also ein Fehlen von Toleranz, die es ursprünglich gab. Sie haben das Wort "Brandbeschleuniger" genannt: Das ist interessant, weil gestern (8.3.) der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in unserer Sendung das gleiche Wort benutzt hat, im Zusammenhang mit den Konfessionen. Und er sprach von den Konfessionen als "Zündlern". Auch in Ihrem Buch spielt der Konfessionalismus eine wichtige Rolle. Vielleicht können Sie uns das ein bisschen beschreiben: Welche Rolle spielen die Konfessionen, also Sunniten und Schiiten im Islam und inwiefern ist auch das ein Brandbeschleuniger für diese Konflikte?
    Hermann: Der Konfessionalismus hat zum einen einen Vorteil für alle Seiten, denn er entwickelt eine starke Bindekraft. Wer so zusammenhält, der gibt nicht so leicht auf, der kämpft. Und wenn ein Staat dann scheitert, dann schützt diese Konfession.
    Die Konfessionalisierung ist allerdings sehr gefährlich, denn sie grenzt ab, sie ist Gift für Gemeinwesen, sie schürt Hass. Und es ist schwierig, damit einen funktionierenden Staat zu gründen. Das sehen wir sehr schön in dem Schisma zwischen Sunniten und Schiiten, das auf das Jahr 680 zurückgeht. Und das ist der Mittelpunkt der konfessionalistischen Rivalität zwischen Schiiten und Sunniten.
    Spaltung des Islams
    Dieses Schisma dreht sich um die Frage, wer hat das Recht, die Gemeinde zu führen. Die Antworten von Sunniten und Schiiten sind da konträr: Die Sunniten argumentieren realpolitisch, Allah habe denjenigen ausgesucht, der sich tatsächlich durchgesetzt hat. Denn der habe gezeigt, dass er die Gemeinde führen kann.
    Die Schiiten hingegen akzeptieren als Führer der Gemeinde nur einen Nachkommen von Ali, dem Schwiegersohn von Mohammed, dem vierten Kalifen. Denn der trage das göttliche Licht in sich.
    Und die Schlacht in Kerbela im Jahr 680 im heutigen Südirak hat die Entscheidung gebracht, der Sunnit Yazid hat Hussein, den Sohn des Ali besiegt und die Schiiten sagen, dass seither nur Usurpatoren über die Welt geherrscht hätten. Es gebe keine Gerechtigkeit mehr. Um Gerechtigkeit herzustellen, müssten diese Usurpatoren gestürzt werden.
    Und das führt zu unterschiedlichen politischen Ordnungsvorstellungen: Sunniten sind eher konservativ, verteidigen den Status quo, Schiiten waren in der ganzen Geschichte eher die Sozialrevolutionären, die Kommunisten und seit 1979 haben sie die Chance, seit der iranischen Revolution, sich für Kerbela zu rächen und durch den Revolutionsexport in die sunnitisch-arabische Welt einzudringen.
    Und das ist die große Spaltung im Islam. Und sie befeuert den machtpolitischen Konflikt, den wir zwischen der arabischen Welt und dem schiitischen Iran haben.
    Dittrich: Wie könnte eine Versöhnung zwischen Sunniten und Schiiten aussehen? Was müsste dafür passieren?
    Hermann: Eine Versöhnung kann nur von Theologen eingeleitet werden. Denn diese unterschiedlichen politischen Ordnungsvorstellungen sind nicht aus der Welt zu räumen, ohne dass es eine theologische Annäherung gibt. Es gibt große theologische Unterschiede: Beispielsweise akzeptieren die Schiiten nicht die ersten drei Kalifen, die ersten drei Nachfolger von Mohammed, sie akzeptieren erst den vierten. Sie akzeptieren damit nicht die vielen Überlieferungen der Worte und Taten von Mohammed, die über diese Kalifen gegangen sind.
    Ein anderer Punkt ist, dass (der iranische Ajatollah, d. Red.) Chomeini 1979 das Herrschaftspostulat des bestqualifizierten Rechtsgelehrten, Velayat-e faqih, durchgesetzt hat und gesagt hat, das sei bi-amrillah, das sei im Auftrag Gottes. Erst wenn die schiitischen Theologen diese Dinge zurücknehmen, kommt es zu einer Annäherung. Dann wäre der Grundstein gelegt dafür, dass der politische Konflikt beigelegt werden kann.
    Denn die sunnitischen Araber sehen heute das Eindringen Irans als eine existenzielle Herausforderung. Die arabische Welt war seit Saladin, seit dem 12. Jahrhundert, sunnitisch und jetzt seit 1979 drängen schiitische Iraner ein. Und sie sehen das als eine existenzielle Gefahr für das Arabertum und den sunnitischen Islam.
    Aber um das beizulegen, Sie haben völlig Recht, muss zunächst ein Dialog geführt werden zwischen sunnitischen und schiitischen Theologen. Ich war mehrfach bei solchen Versuchen dabei: Die sind nie in Harmonie geendet.
    Salafismus, Dschihadismus, Terrorismus
    Dittrich: Wir sprechen über Re-Islamisierung, Sie beschreiben das auch in Ihrem Buch. Warum ist der Islam so verheißungsvoll in Zeiten, wenn politische Institutionen scheitern?
    Hermann: Viele Staaten in der islamischen Welt sind gescheitert. Das ist die Ursache für dieses gewaltige Beben, das wir seit 2011 haben und es gibt nicht viele Institution, an die sich die Muslime wenden können, die Stämme, beispielsweise. Aber wenn jemand in der Stadt wohnt, ist die Bindung an seinen traditionellen Stamm geschwächt. Das heißt, er wendet sich dann an seine Moschee in der Nachbarschaft, die ihn beschützt, die Waffen kauft, die eine Miliz aufstellt, die ihm Essen gibt, die ihn mit Arbeit versorgt. Das heißt, der Islam übernimmt Funktionen, die eigentlich ein Staat übernehmen sollte.
    Aber da ist natürlich auch die Verheißung auf ein besseres Leben. Wenn nur die Regeln angewendet würden, die in der Frühzeit des Islams geherrscht haben, dann könne die arabisch-islamische Welt wieder zu alter Größe zurückfinden - das ist der Grundstein für den Salafismus: so zu leben, wie damals der Prophet gelebt hat und seine Prophetengenossen.
    Wenn dann aber noch als Instrument des Dschihadismus hinzukommt, entwickelt sich daraus eine Terrorideologie. Denn nur Gewalt, so glauben diese Ideologen, könne die bestehenden Verhältnisse verändern. Und der Dschihad hat wie vieles im Islam im 20. Jahrhundert eine große Transformation zurückgelegt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der Dschihad so gut wie kein Thema. Und in acht Stufen wird er zu dieser Gefahr, wie er heute ist. Das heißt, die ganze nicht-muslimische Welt als einen Feind wahrzunehmen, der bekämpft werden muss.
    Und wenn das zusammenkommt: die neue dschihadistische Ideologie, verknüpft mit dem Salafismus, haben wir eine Terrorideologie, die uns noch lange beschäftigen wird.
    Dittrich: Entspricht eine autoritäre Herrschaft oder eine Diktatur den Ordnungsvorstellungen im Islam? Oder umgekehrt gefragt: Passen Islam und Demokratie zusammen?
    Hermann: Der Islam ist mit sehr vielen politischen Ordnungen vereinbar. Das zeigt bereits die Frühzeit der Geschichte: Die ersten vier Kalifen, also die ersten vier rechtmäßigen Nachfolger von Mohammed, sind alle auf unterschiedliche Weise in ihr Amt gekommen: Einer wurde gewählt, ein anderer durch eine kleine Gruppe in sein Amt gehievt, ein anderer kam durch chaotische Zustände eher zufällig in dieses Amt. Und die islamischen Theologen verweisen bei der politischen Elastizität des Islams eben auf diese Frühzeit des Islams. Der Islam macht vieles möglich.
    Nun gibt es allerdings auch islamische Theologen, die sagen: Es muss vor allem eine Herrschaft hergestellt werden, in der der Islam praktiziert werden könne. Ein berühmter Ausspruch zum Beispiel ist: Lieber tausend Jahre unter einem Diktator als eine Nacht im Chaos. Das heißt, Ziel der politischen Ordnungsvorstellungen ist immer zu gewährleisten, dass der Islam praktiziert werden kann.
    Und in dem Zusammenhang findet zurzeit hier in Europa unter europäischen Muslimen eine interessante Diskussion statt. Sie sagen: Es ist Zeit, die Dichotomie zwischen Dar al-islam, dem Herrschaftsgebiet des Islams, und Dar al-harb, dem Herrschaftsgebiet der Nicht-Muslime, gegen die Krieg geführt werden müsse, - so die ursprüngliche Vorstellung - dieses aufzulösen und zu sagen: es gibt daneben auch noch Dar al-shahada. Das heißt, eine Region, in der ein Muslim entsprechend seiner Vorstellungen und seiner Regeln leben müsse und eine immer größere Anzahl von islamischen Theologen in Europa argumentiert, das ist heute in Demokratien in Europa eher möglich als in Diktatoren des Nahen Ostens und der arabischen Welt.
    Autonomie für die Religionsgelehrten
    Dittrich: Sie plädieren in Ihrem Buch für eine Stärkung des gemäßigten, klassischen Islams. Was heißt das und wie könnte das vonstatten gehen?
    Hermann: Vieles muss sich ändern, damit die arabische Welt Frieden mit sich selbst findet. Es muss eine neue politische Ordnung geben, aber es muss auch eine neue religiöse Ordnung geben. Und bei dieser neuen religiösen Ordnung ist die Stärkung des gemäßigten Islams zentral.
    Das heißt, der Islam soll in diese Rolle zurückfinden, die er bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts hatte, dass die großen Institutionen der Religiosität diesen Islam wieder abbilden. Dazu müssen sie aber autonom sein, um die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Denn, ob sie nun Gelehrte in Kairo, Damaskus oder auch Riad nehmen: Sie sind mehr oder minder Sprachrohr und Organ der politischen Herrscher und haben deswegen wenig bis kaum Glaubwürdigkeit.
    Es gehört aber genauso dazu, dass eine säkulare Orientierung Einzug hält. Denn nur eine säkulare Ordnung kann in diesen Ländern sicherstellen, dass jeder seine Identität entfalten kann. Das ist eine seiner großen Herausforderungen gerade in der Levante, wo wir viele ethnische, konfessionelle und sonstige Identitäten haben, die in Staaten zusammengepfercht worden sind, mit nur einer Identität. Wenn wir eine säkulare Ordnung haben, dann sind alle diese religiösen Identitäten möglich. Ich sehe bei der Säkularisierung gewisse Bereitschaften und Tendenzen, eine säkulare Ordnung zu akzeptieren.
    Ich sehe allerdings keinen Ansatz, dass es in irgendeinem Land eine Bereitschaft der Machthaber geben könnte, den großen religiösen Institutionen mehr Autonomie zu geben. Das sehen wir selbst in der Türkei, wo die Diyanet auch nicht selbstständig ist, sondern ein Vollstrecker dessen, was aus dem Präsidentenpalast von Tayyip Erdoğan kommt.
    Rainer Hermann: "Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten"
    Klett-Cotta, 378 Seiten, 16,95 Euro
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.