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Religionen bewerten Religionen
Hilfe in der Szene der Sinnangebote

Sekten- oder Weltanschauungsbeauftragte der christlichen Kirchen geben regelmäßig Expertisen über andere Glaubensgemeinschaften und religiöse Splittergruppen. Aber ist das objektiv und neutral, kann man den christlichen Einschätzungen trauen? Darüber debattierten in Berlin evangelische Theologen, ein Mormone und eine Buddhistin.

Von Thomas Klatt | 23.02.2015
    Vielfalt der Religionen
    Vielfalt der Religionen (picture alliance / dpa / Collage Deutschlandradio)
    "Der Begriff Apologetik ist aus der Mode gekommen, ganz klar, die Sache aber nicht. Es geht darum, auch unterscheidungsfähig zu bleiben, auskunftsfähig im Gegenüber zu anderen religiösen Bewegungen und Weltanschauungen. Und ich denke, in einer Zeit, in der der weltanschaulich-religiöse Pluralismus zunimmt, ist es notwendig auch ein eigenes Profil zu entwickeln und vor allem natürlich auch Unterschiede zu benennen."
    Der evangelische Theologe Matthias Pöhlmann. Er ist Ansprechpartner für Sekten, Psychogruppen, Neureligionen und Weltanschauungen bei der bayrischen Landeskirche. Er hält seine Aufgabe nicht für überholt. Einerseits könne sich im Internetzeitalter zwar jeder rund um die Uhr über Glauben in all seinen Facetten kundig machen. Andererseits gebe es mehr als nur die großen Kirchen und Weltreligionen. Die Szene der Sinnangebote werde immer unübersichtlicher. Da brauche es professionelle theologische Hilfe, wie sie etwa die Kirchen anbieten.
    Sehnsucht nach spirituellen Meistern und Lehrerinnen
    "Ich denke, wir können beobachten, dass die Zeit der großen Gruppen und Organisationen eher zurückgeht. Was wir beobachten können, das sind Kleinstgruppen, es sind Wohnzimmergurus wenn man so will. Dass sich im Bereich der Konfessionslosen auch Verbände gebildet haben, die den Anspruch haben, die ganzen Konfessionslosen zu vertreten. Dass es eher unorganisierte Formen gibt, also denken Sie an den Bereich der so genannten Esoterik-Szene, wo es eine sehr starke Fluktuation gibt. Und natürlich ungebrochen ist auch die Sehnsucht nach spirituellen Meistern und Lehrerinnen, die einem dann den wahren Weg zeigen."
    Nur gibt es rechts und links auch Abgründe. Die Warnung davor falle manchmal jedoch zu überzogen aus. Da werde von kirchlicher Seite aus oft auch zu hämisch und abschätzig geurteilt, sagt der Politikwissenschaftler Ralf Grünke. Er ist Pressesprecher in der Europa-Zentrale der Mormonen, also der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, in Frankfurt am Main. Er meint, dass die große evangelische Kirche nicht immer fair mit kleineren Religionsgemeinschaften wie seiner eigenen umgeht.
    "Ich hab den Eindruck, dass kleinere Gemeinschaften häufig besonders kritisch betrachtet werden, die anders glauben, anders denken, anders leben. Vom Konsens oder von den althergebrachten Lehrtraditionen abzuweichen, ist weder etwas Gutes oder Schlechtes. Es muss sich im Alltag bewähren und sehen, ob das der Gesellschaft gut tut und den Menschen, die sich dem verschreiben."
    Verständnis fremder Kulturen fehlt
    Genau das aber sei ein wichtiger Punkt der Beratungstätigkeit. Bei immer mehr Menschen fehle eine Orientierung, wie sie mit religiösen Phänomenen und Strömungen überhaupt umgehen sollen und welcher Gruppe sie vertrauen können. Der evangelische Sektenbeauftragte Matthias Pöhlmann.
    "Es sind ja oft Menschen, die bei uns anrufen, um ein Gespräch bitten, die Informationen haben möchten, weil sie eben sagen, irgendetwas passt da nicht. Diese Gruppe schildert ihr ganzes Weltbild, ihr Auftreten in rosaroten Farben. Wir haben ganz andere Erfahrungen gemacht. Was wisst ihr denn darüber und wo bekommen wir kompetente Hilfe? Meistens ist es so, dass sich die Menschen bewusst auch an kirchliche Stellen wenden, weil sie eben sagen, da gibt es religiös kompetente Leute, wo ich schnell und kompetent Auskunft bekomme."
    Christliche Theologen geben Auskunft über andere Religionen. Das mag im Bereich monotheistischer Weltbilder sinnvoll sein. Aber können Kirchenleute auch über fernöstliche Religionen urteilen? Susanne Matsudo-Kiliani, Beauftragte der Deutschen Buddhistischen Union für den interreligiösen Dialog, hat da so ihre Zweifel. Sie hält die christliche Religionskritik nicht immer für angemessen, da ihr oft ein Verständnis für fremde Kulturen fehle, zum Beispiel für das Lehrer-Schüler-Verhältnis in buddhistischen Strömungen.
    "Gerade der Begriff Meister wird eben in den einzelnen Traditionslinien sehr unterschiedlich gesehen oder mit sehr unterschiedlichen Bedeutungszuschreibungen versehen. Für die einen ist ein Meister wirklich jemand, der einen personifizierten Erleuchtungsgrad ausdrückt. Für andere Traditionslinien ist ein Meister lediglich ein Lehrer, ein dharma-Lehrer, jemand, der das buddhistische Gesetz vermittelt. Und bei uns im nichiren-sangha: der dharma ist der Meister, also folge dem Gesetz, nicht der Person, dass man sich nicht von einer Person abhängig machen soll. Da sehen Sie schon drei vollkommen unterschiedliche Konzepte von Meister. Und das würde zur interkulturellen Kompetenz gehören, allein das schon zu differenzieren."
    Christliche Apologetik im Wandel
    Daher sollten zwingend auch Buddhologen, Indologen oder Religionswissenschaftler in kirchlichen Beratungsstellen mitarbeiten, um ein angemesseneres Bild fremder Glaubenswelten gewinnen zu können. Bei allen Verbesserungsvorschlägen hält der evangelische Theologe Ulrich Körtner, Vorsitzender des Kuratoriums der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen EZW, die kirchliche Apologetik für unaufgebbar. Eine Aufgabe sei auch, das interreligiöse Miteinander besser gestalten zu können.
    "Es geht auch darum, dass zum Beispiel Kirchengemeinden zu Moscheegemeinden in ein nachbarschaftlichen Verhältnis eintreten möchten, aber das man schaut, wo sind tatsächlich kritische Punkte aus der eigenen Sicht."
    Die christliche Apologetik ist im Wandel. Wurde in den 1970er-Jahren noch laut vor sogenannten Jugendsekten gewarnt und hoher Wert auf Abgrenzung gelegt, so sei man heute offener, meint der evangelische Theologe Ulrich Körtner.
    "Mein Eindruck ist, dass da auch inzwischen etwas mehr Gelassenheit eingetreten ist, als es vielleicht noch in den 70er-Jahren der Fall war. Und das hängt sicher damit zu zusammen, dass wir anders als noch vor vier Jahrzehnten gelernt haben, mit einer größeren Pluralität, einer größeren Buntheit der religiösen Landschaft zu leben. Ich glaube, dass Apologetik mit einer größeren Form von Demut betrieben werden muss, als es in der Vergangenheit war."