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Religionskampf in Berlin

Am Sonntag findet der Volksentscheid über Religions- und Ethikunterricht in Berlin statt. Darüber wurde in Berlin in den vergangenen Wochen erbittert gestritten. Die Grünen-Politikerin Andrea Fischer kritisierte, dass durch die jetzige freiwillige Regelung der Religionsunterricht "in die späteren Nachmittagsstunden verbannt" sei. Klaus Lederer von der Linkspartei verteidigte dagegen den Ethikunterricht als eine "Antwort auf die multikulturelle Stadt Berlin".

Andrea Fischer und Klaus Lederer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.04.2009
    Friedbert Meurer: Vor wenigen Wochen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel manche Katholiken verprellt, als sie nämlich öffentlich Papst Benedikt ermahnt hat, er solle klar gegen Antisemitismus Stellung beziehen. Die Kanzlerin hat umgekehrt aber auch viel Applaus dafür bekommen, weil sie gerade anprangerte, dass die Katholische Kirche einen Holocaust-Leugner in ihre Reihen aufnehme. Die Emotionen gingen seinerzeit hoch und sie erinnerten manche an den Kulturkampf des 19. Jahrhunderts. Den hat ja einst Otto von Bismarck gegen die Katholiken geführt. An den Kulturkampf vor 130 Jahren denkt mancher auch jetzt bei dem Streit um den Religions- und Ethikunterricht in Berlin, nur dass diesmal auch die Protestanten mit davon betroffen sind. Sie alle wollen mit der Initiative "Pro Reli", dass Religionsunterricht ein vollwertiges Unterrichtsfach in Berlin wird. Im Moment ist Ethikunterricht verbindlich für alle und nur wer will, kann zusätzlich Religionsunterricht dazu wählen. Am Sonntag entscheidet jetzt die Bevölkerung in Berlin an den Urnen in einem Volksentscheid über Religions- und Ethikunterricht, und darüber will ich mich jetzt unterhalten mit Andrea Fischer, die einstige Bundesgesundheitsministerin von den Grünen, die als Katholikin ein Buch geschrieben hat mit dem Titel "Was glaubst denn du?". Guten Morgen, Frau Fischer.

    Andrea Fischer: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Und ich begrüße Klaus Lederer. Er ist der Berliner Landesvorsitzende der Partei Die Linke und er ist auch wie der Berliner Senat - SPD, Linke - und wie auch die Grünen für Ethikunterricht, also für die Regelung, wie sie zurzeit gültig ist. Guten Morgen, Herr Lederer.

    Klaus Lederer: Ich grüße Sie. Hallo!

    Meurer: Frau Fischer, zunächst an Sie die Frage: Was stört Sie an der Regelung in Berlin?

    Fischer: Es geht im Grunde darum, dass es dadurch, dass der Religionsunterricht freiwillig ist, dass er irgendwie in die späteren Nachmittagsstunden verbannt ist und angesichts der Dichte sowohl des Schulunterrichts als auch der Freizeit, die durch diese Regelung entsteht, immer schwieriger wird, das zu beinhalten und wahrzunehmen. Deswegen geht es im Grunde darum, dass quasi Religion als ordentliches Schulfach gleichberechtigt neben Ethik steht und dann eine Wahl erfolgen kann.

    Meurer: Betreiben Sie, Herr Lederer, einen Kulturkampf gegen die Kirchen in Berlin?

    Lederer: Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein bisschen erstaunt, dass in den letzten Wochen die Freund-Feind-Zuspitzung in dieser Art und Weise stattgefunden hat, weil ich kann immer nur wieder betonen: Zum Reichtum der Öffentlichkeit gehört auch Religion und auch die Befassung mit Religion, und wir haben ja bei uns die Möglichkeit in Berlin, den eigenen Religionsunterricht kennenzulernen, und viele nehmen das auch wahr. Immerhin 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule gehen in den ersten sechs Schuljahren zum Religionsunterricht - und da gibt es ja auch noch keinen Ethikunterricht - und lernen das eigene kennen. Das ist seit 60 Jahren in Berlin erprobte Praxis und ich verstehe nicht - und das ist eigentlich auch der Punkt, der mal erklärt werden muss -, warum die Möglichkeit, im Anschluss daran auf Basis des Eigenen sich zusammenzusetzen, zu diskutieren, warum das abgeschafft werden soll. Das ist mir eigentlich bis heute nicht so richtig eingängig.

    Meurer: Bestreiten Sie, dass Sie Religionsunterricht das Wasser abgraben?

    Lederer: Absolut! Das wird auch von den Zahlen überhaupt nicht belegt. Es gibt einen ganz, ganz geringfügigen Rückgang, der im Trend der letzten 30, 40 Jahre liegt. Es hat sich überhaupt nichts daran geändert, dass Religionsunterricht und auch Weltanschauungsunterricht - den gibt es ja auch - sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Ich finde auch eines nicht redlich bei der Kampagne der Kirchen: Auf der einen Seite wird vor einem nicht integrierten und isolierten, vielleicht sogar darum tendenziell gefährlichen Islam gewarnt, und zugleich werden die Muslime in die Isolation ihres Religionsunterrichts hinein- und aus dem gemeinsamen Ethikunterricht hinausgedrängt, und das ist etwas, was ich nicht richtig finde, und ich finde, das führt auch in die Vergangenheit. Das ist nicht vorwärts gewandt und das wird der multireligiösen Stadt Berlin auch nicht gerecht.

    Fischer: Ich glaube nur nicht, dass kein Religionsunterricht der Stadt dadurch gerechter wird. Was ich glaube - und das ist ja unbestritten, dass es den Religionsunterricht bis zur 6. Klasse gibt -, aber natürlich haben Jugendliche dann ab der 7. Klasse natürlich eine ganz andere Art und Weise, sich mit Religion auseinanderzusetzen, als Kinder. Dieses zu tun und durchaus auch zu sagen, das ist meine Religion - und ich sage das jetzt mal als Katholikin - und deswegen finde ich es irgendwie schwierig, die Haltung der Katholischen Kirche zu Kondomen oder was da auch immer ist, und dieses aber auf der Grundlage zu tun, dass das meine Religion ist, sich damit auf dieser Grundlage auseinanderzusetzen, finde ich, hat noch mal eine eigene Qualität auch für ältere Kinder, sprich Jugendliche.

    Meurer: Der katholische Religionsunterricht, Frau Fischer, kann der für Toleranz sorgen, so wie Herr Lederer das angemahnt hat?

    Fischer: Ja. Toleranz heißt ja nicht, ich sitze da und gucke mir mal an, wie bunt die Welt ist, und finde irgendwie alles gleich, sondern Toleranz ist ja genau das, was damit zu tun hat, ich muss ja tolerant sein mit meiner eigenen Meinung gegenüber den von anderen. Das heißt ja nicht, dass man nur tolerant dadurch sein kann, dass wir so tun, als wäre alles irgendwie genauso gleich und es gäbe da diese Unterschiede nicht. Ich finde, der Religionsunterricht ist nicht nur nichts, was der gegenseitigen Toleranz entgegensteht, sondern im Gegenteil: Es ist fast sogar eine Voraussetzung, dass man weiß um das Eigene, um die eigene Religion, und dann auf dieser Grundlage sagt, das machen die anderen und das finde ich vielleicht richtig und das andere finde ich falsch, was sie machen.

    Lederer: Dem würde ich überhaupt nicht widersprechen. Man braucht das Eigene, um sich mit anderen in Kontakt, in Beziehung zu setzen. Das ist eine These, die ich absolut für richtig halte. Was mich ein bisschen stört an der Debatte in Berlin ist, dass der Eindruck erweckt wird, dass es diese Möglichkeit nicht gäbe. Der Religionsunterricht hört nicht mit der 6. Klasse auf, sondern der Religionsunterricht wird - und zwar vom Land Berlin finanziert - bis zum Schluss durchgeführt und er erfreut sich nach wie vor einer ungebrochenen Beliebtheit. Das heißt sozusagen, die Möglichkeit, die es seit den späten 40er-Jahren in Berlin gibt, den Religionsunterricht wahrzunehmen, die wird wahrgenommen und das einzige, was dazugekommen ist, ist vor vier Jahren die zusätzliche Option, dann auf Basis des eigenen Erlernten sich zu anderen in Beziehung zu setzen, sich mit anderen zusammenzusetzen. Und was ich eben nicht möchte, dass die protestantischen Christen dann unter sich sitzen, die katholischen Christen unter sich sitzen, die Muslime unter sich sitzen, die Juden unter sich sitzen. Man muss mir mal erklären - und vielleicht können Sie mir das erklären -, warum Sie diese Möglichkeit, dieses zusätzliche gemeinsame Forum, sich sozusagen auch dann auf Basis des Eigenen mit anderen in Beziehung zu setzen, warum das abgeschafft werden soll.

    Fischer: Alle Seiten sind ja die ganze Woche in der Schule zusammen, also nicht erst im Ethikunterricht. Erstens. Zweitens: die Curricula, die bislang für den Religionsunterricht bestehen, sehen ja durchaus vor, einen ganz beträchtlichen Teil dieses Religionsunterrichts auch auf die Kenntnis zu verwenden, was machen die anderen. Das heißt auch, dass der evangelische Religionsunterricht zu den Katholiken und umgekehrt kommt. De facto passiert es ja jetzt so, dass islamischer Religionsunterricht in den berüchtigten Hinterhofschulen stattfindet - noch zusätzlich, und das ist etwas, wo es überhaupt keine Kontrolle gibt. Katholischer und evangelischer Religionsunterricht finden ja statt, zwar in der Regie der Kirchen oder unter staatlicher Kontrolle. Wenn ein katholischer Religionslehrer ein Kind schlagen würde, würde er Schwierigkeiten kriegen, und zwar nicht nur mit seiner Kirche, sondern auch vor allen Dingen mit der Schulaufsicht.

    Lederer: Aber Frau Fischer, an dem Zustand ändert sich gar nichts. Mit "Pro Reli" ändert sich an dem, abgesehen mal davon, dass alle gleichermaßen kontrolliert oder nicht kontrolliert sind in Berlin, unabhängig davon ob Muslime oder Katholiken ...

    Fischer: Nein! In der Koranschule, die im Hinterhof stattfindet, kontrollieren sie die nicht!

    Lederer: Genauso wenig wie den katholischen und wie den evangelischen, weil das wird alles in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften gemacht.

    Fischer: Nein, aber das wird in der Schule gemacht und deswegen gelten die Regeln, die in der Schule gelten.

    Lederer: Nein. Auch der islamische Religionsunterricht findet in Berlin in der Schule statt. Wovon Sie reden, das ist wieder was ganz anderes. Das ist das, was noch zusätzlich an Angebot völlig frei und von den Leuten selbst entschieden wahrgenommen wird. Die Religionen in Berlin, die Religionsunterricht anbieten, unterstehen genau demselben Maß an Kontrolle durch die staatlichen Instanzen, und an diesem Zustand würde sich im Übrigen zukünftig auch nichts ändern. Und wenn man sagt, man möchte mehr Kontrolle, dann kann man ja darüber reden, aber das hat doch jetzt erst mal mit der Frage gar nichts zu tun, ob man das gemeinsame Forum "Ethik" nennt, oder ob man dieses Forum letztlich seiner Funktion beraubt.

    Meurer: Da viele im Rest der Republik nicht so mit allen Einzelheiten vertraut sind, Sie haben eben schon mal die Kritik anklingen lassen, Herr Lederer. Was sagen Sie denn denjenigen, die Ihnen vorwerfen, na ja, die atheistische Linke will dem Religionsunterricht den Garaus bereiten in Berlin?

    Lederer: Das halte ich für richtiggehend denunziatorisch, weil das auch nicht wahr ist. Wir sind keine religionsfeindliche oder antireligiöse Partei. Wir haben zwei Parteivorstandsmitglieder, einer davon ist Pfarrer, ein anderer ist bekennender Protestant, und wir haben viele Mitglieder, die selber sich auch kirchlich gebunden fühlen, die kirchlich gebunden sind. Es geht um was anderes. Es geht darum, dass diejenigen, die "Pro Reli" jetzt durchsetzen wollen, mal erklären müssen, warum sie einen Zustand beenden wollen, der sich bewährt hat, und warum sie zusätzlich die neue Option, die wir geschaffen haben als Antwort auf die multikulturelle Stadt Berlin, nämlich den Ethikunterricht, warum der seiner Funktion beraubt und letztlich an den Rand gedrängt werden soll.

    Meurer: Ich frage mal Frau Fischer. Antireligiöse Bestrebungen bei der Linken sehen Sie nicht?

    Fischer: Das ist ehrlich gesagt eine Frage, die ich nicht beurteilen kann und will. Der Ethikunterricht wird nicht in eine Ecke gedrängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass plötzlich massenhaft alle Berliner Kinder Religionsunterricht machen wollen, kann durchaus angesichts der Realitäten völlig ausgeschlossen werden.

    Lederer: Aber der Sinn der Übung ist das gemeinsame, und das findet nicht mehr statt, sondern dann sind dort all diejenigen, die sich nicht einem Religionsunterricht der spezifischen Religionsgemeinschaft zugehörig fühlen, und das wäre der Rückschritt.

    Fischer: Ich teile Ihre Kritik an manchen polemischen Überspitzungen, die in den letzten Wochen der Wahlkampf genommen hat, aber mir gefällt irgendwie nicht, dass es angeblich jetzt plötzlich darum geht, dass die Kinder irgendwie der Chance beraubt werden, sich miteinander auseinanderzusetzen. Die haben sie komplett immer in der Schule, weil es wird andere Formen geben, wie sich die beiden Klassen jeweils dann miteinander austauschen, und deswegen finde ich, dass es Sinn macht, das parallel zusammen laufen zu lassen, und das ist auch die übliche Art und Weise, wie es in allen anderen Bundesländern läuft. Es ist nicht so, dass Berlin da was ganz besonderes erfunden hätte.

    Meurer: Eine ganz knappe Frage noch an beide zum Schluss. Haben Sie in der Kampagne irgendwas von der anderen Seite gelernt? - Frau Fischer.

    Fischer: Leider fällt mir da nur was ganz Negatives ein. Ich finde es eine abenteuerliche Idee, von Wahlzwang zu reden.

    Meurer: Herr Lederer?

    Lederer: Ich fühle mich noch mal bestätigt in einer Grundeinsicht, die ich immer schon hatte, nämlich dass jede noch so eifrige Auseinandersetzung nicht dazu verführen sollte, der Gegenseite Argumente unterzuschieben, die sie nicht hat, weil Ethikunterricht wie auch unsere Überlegungen zum gemeinsamen Lernen in Berlin genau dem Gegenteil dienen, nämlich dem Miteinander.

    Meurer: Am Sonntag ist Volksentscheid über Religions- und Ethikunterricht in Berlin und dann werden wir Abends wissen, wie es in Berlin weitergeht. - Ich sprach mit Klaus Lederer, dem Berliner Landesvorsitzenden der Partei Die Linke - schönen Dank! -, und mit Andrea Fischer, der ehemaligen Bundesgesundheitsministerin von den Grünen. Schönen Dank an beide. Auf Wiederhören!