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Religionspolitik
Zwischen Christentum und Islam

Das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Deutschland wurde in den vergangenen Monaten immer wieder heftig diskutiert. Denn zwischen Islam und Christentum besteht ein gesellschaftliches Spannungsfeld, das von gegenseitiger Skepsis geprägt ist. Eine Ringvorlesung an der Universität Münster greift das Problemfeld auf und will Impulse für den Dialog zwischen den Religionen geben.

Von Alfried Schmitz | 19.05.2016
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    Dialog für ein besseres Miteinander der Religionen - dafür haben sich Wissenschaftler an der Universität Münster ausgesprochen. (picture alliance / dpa / Ronald Wittek)
    "Da besteht aus unserer Perspektive dringender Handlungsbedarf. Die Parteien haben dieses Politikfeld nur unzureichend bearbeitet."
    Professor Ulrich Willems ist Politikwissenschaftler(*) am Institut für Politikwissenschaften der Universität Münster. Er ist einer der Haupt-Initiatoren der Veranstaltungsreihe "Religionspolitik heute. Problemfelder und Perspektiven in Deutschland", die sich durch das gesamte Sommersemester zieht.
    "Und weil die Politik das Thema so lange hat liegenlassen, hat sich auch die Debattenlage auf diesem Politikfeld verschärft, emotionalisiert. Und wenn man es etwas zugespitzt formulieren will, dann fahren die Parteien jetzt, in Form der AfD, die Ernte ein, die sie gesät haben."
    Deutlich wird das am Grundsatzprogramm der Partei "Alternative für Deutschland", wie es auf dem Bundesparteitag der AFD vor weniger als drei Wochen beschlossen wurde:
    - Der Islam gehört nicht zu Deutschland.
    - Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen an deutschen Bildungseinrichtungen
    - Verbot von Minaretten und Verbot von Muezzin-Rufen
    - Keine Anerkennung von islamischen Organisationen als öffentlich-rechtliche Körperschaften
    Skepsis gegenüber dem Islam in Deutschland höher als woanders
    "Plakative Äußerungen, wie 'Der Islam gehört nicht zu Deutschland', das nährt das Misstrauen und die Skepsis gegenüber dem Islam und ist einem gedeihlichen Miteinander nicht förderlich."
    Um herauszufinden, wie groß die Skepsis dem Islam gegenüber ist, hat der Religionssoziologe Professor Detlef Pollack eine Untersuchung für das Exzellenzcluster der Universität Münster durchgeführt. Mit interessantem Ergebnis. Demnach, so sagt sein Kollege Ulrich Willems, "fällt die Skepsis gegenüber dem Islam in Deutschland etwa 20 Prozent höher aus, als in vergleichbaren europäischen Ländern. Und diese Differenz muss man in irgendeiner Art und Weise erklären. Denn die internationalen Faktoren, islamischer Terrorismus, die Ereignisse in der arabischen Welt, die werden natürlich im europäischen Ausland genauso wahrgenommen. Zum Teil sind wir ja viel weniger von islamischem Terrorismus betroffen, als viele andere europäische Länder. Denken Sie an die Anschläge in Großbritannien oder auch in Frankreich, sodass es schon eine Frage ist, warum ist die Skepsis gegenüber dem Islam in Deutschland so viel stärker, als in anderen europäischen Ländern."
    Einen Hauptgrund für diese Skepsis sieht Professor Willems unter anderem in der Form, wie hierzulande über den Islam kommuniziert wird. Wie gelungene Integrationspolitik aussehen kann, macht er an einem Beispiel deutlich:
    "In Großbritannien hat man das lange Zeit dadurch gewährleisten können, dass viele der Fragen, wie etwa Bekleidungsvorschriften, das Tragen des Kopftuches, nicht von der hohen Politik entschieden wurden, sondern diese Fragen wurden in den einzelnen Schulen entschieden. Und das hat natürlich dafür gesorgt, dass die Eltern beteiligt waren, an den Aushandlungsprozessen darüber. Und das hat lange Zeit dazu geführt, dass die Integration des Islam in Großbritannien eher unproblematisch verlaufen ist. In Deutschland ganz anders. Die Politik hat sehr lange, sehr zögerlich reagiert. Wir haben immer die mitlaufende Kommunikation, dass es sich beim Islam um eine problematische Religion handelt, die nicht so recht zu uns passt. Diese teilweise auch nur implizit kommunizierten Botschaften, die nimmt die Bevölkerung natürlich auch wahr."
    Rechtliche Grundlagen der Religionsfreiheit
    Diese Skepsis spüren auch die Flüchtlinge aus islamischen Staaten. Matthias Hoesch ist Philosophie-Dozent an der Universität Münster und als wissenschaftlicher Mitarbeiter ebenfalls am Exzellenzcluster "Religion und Politik" beteiligt. Bei einem Wettbewerb der Universität Köln, ist der junge Wissenschaftler vor ein paar Tagen von einem internationalen Expertenteam ausgezeichnet worden. In einem Essay ist er der ethischen Frage nachgegangen, inwieweit potente Staaten die Pflicht hätten, unverschuldet in Not geratene Menschen aufzunehmen. Der Grundtenor seines Essays:
    "Jeder Staat, der einen Teil der Erde als Staatsgebiet exklusiv für sich beansprucht, tut nichts weiter als seine Schuldigkeit, wenn er eine angemessene Verantwortung gegenüber der Menschheit im Ganzen übernimmt. Flüchtlingshilfe ist daher kein Akt moralischen Großmuts, sondern die angemessene Reaktion auf menschenrechtliche Ansprüche von Fremden. Eine Obergrenze für Flüchtlinge sollte es nicht geben."
    An dem Exzellenzcluster der Universität Münster sind Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen beteiligt. Auch die rechtliche Grundlage für Religionsfreiheit und Religionsvielfalt ist ein wichtiger Aspekt, der in einem Vortrag von Kultur- und Religionsverfassungsrechtler Professor Hinnerk Wißmann im Juli behandelt werden wird.
    "Das deutsche Religionsverfassungsrecht nimmt die Position der Equidistanz, des gleichen Abstandes zu allen Religionen ein. Es besteht keine Staatskirche, so steht es im Grundgesetz. Deswegen geht das Verfassungsrecht vorurteilsfrei an die unterschiedlichen Religionen heran. Es bemisst nicht, ob der Islam sich ähnlich verhält oder gleich verhält, wie das Christentum, sondern gerade auch die Unterschiedlichkeit ist geschützt."
    Im Hinblick auf die immer wieder hitzig geführte Debatte über ein Kopftuchverbot an öffentlichen Lehreinrichtungen erklärt der Rechtswissenschaftler daher unmissverständlich "dass ein Kopftuch, mag man es für angemessen halten oder nicht, als Ausdruck persönlicher Freiheit bei Schülerinnen ganz zweifelsfrei zulässig ist und, wie wir seit letztem Jahr durch das Bundesverfassungsgericht wissen, auch für Lehrerinnen zulässig ist, soweit dadurch nicht konkret Schulfrieden gefährdet wird."
    Notwendigkeit eines offenen Dialogs
    Natürlich hat Religionsfreiheit ihre Grenzen. Sie muss sich mit anderen Gesetzen und gesellschaftlichen Normen in Einklang befinden oder sich mit ihnen zumindest arrangieren lassen. Ganz klar ist jedoch, dass Religion nicht mit Gewalt in Verbindung stehen oder die grundgesetzlich gewährte Freiheit des Individuums beeinträchtigen darf. Abgesehen von diesen unverrückbaren Grundsätzen, hält der Religionsverfassungsrechtler Hinnerk Wißmann eine gewisse Flexibilität durchaus für angebracht:
    "Es braucht immer wieder neue Zuordnungen, weil sich gesellschaftliche Realität verändert. Ein umfassendes neues Religionsrecht brauchen wir jedenfalls nicht. Sondern man muss darauf hören, darauf sehen, was die Religionen brauchen und das dann auf Verträglichkeit mit der allgemeinen Rechtsordnung abgleichen. Das Grundgesetz, die Verfassungsordnung geht davon aus, dass islamisch, muslimisch leben, auch anders leben heißt, als christlich oder atheistisch leben. Diese Verschiedenheit hält die Verfassungsordnung nicht nur aus, sondern sie hält sie eigentlich für den Normalfall."
    Um ein friedliches und gerechtes Miteinander von Christen und Muslimen zu gewährleisten, um die Diskussionen über religiöse Rituale wie Schächten und Beschneidung, das Kopftuch oder über das christliche Kruzifix in Klassenräumen zu entkrampfen, sieht der Politikwissenschaftler(*) Professor Ulrich Willems die Notwendigkeit eines offenen Dialogs:
    "Um dann nach einem solchen Diskussionsprozess genauer wissen zu können, ob und in welcher Weise wir unser religionspolitisches Ordnungssystem in der Bundesrepublik verändern wollen oder verändern müssen."
    Allerdings räumt Professor Willems ein, dass durch die strikte Anti-Islam-Haltung bestimmter politischer und gesellschaftlicher Gruppen "das religionspolitische Klima im Moment so angespannt ist, dass die Voraussetzungen, eine solche Diskussion unaufgeregt, kompromissbereit, rational nicht emotional zu führen, zumindest nicht besser geworden sind."
    Ein Überblick über die Veranstaltungen der Universität Münster zu dem Thema finden Sie hier.

    (*) Anm. d. Red.: In der Sendefassung wurde Professor Ulrich Willems an zwei Stellen versehentlich als Erziehungs- und Sozialwissenschaftler genannt, er ist aber Politikwissenschaftler. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung.