Dienstag, 16. April 2024

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Religionssoziologe zu Plänen der Bundeswehr
Militärimame dürfen keine Seelsorger zweiter Klasse sein

Die Bundeswehr will islamische Militärseelsorger einstellen – aber nicht in Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden, sondern auf Grundlage von Einzelverträgen. Auch wenn im Islam keine kirchenanalogen Strukturen existierten, sei das nicht der richtige Weg, sagte der Religionssoziologe Rauf Ceylan im Dlf.

Rauf Ceylan im Gespräch mit Christian Röther | 01.09.2021
Rauf Ceylan, Religionswissenschaftler und islamischer Religionspädagoge der Uni Osnabrück
Rauf Ceylan ist Religionssoziologe und islamischer Religionspädagoge der Universität Osnabrück (picture alliance / dpa)
Bei der Bundeswehr gibt es nicht nur militärisches Personal, sondern auch geistliches: die Militärseelsorge. Seit über 60 Jahren begleiten evangelische und katholische Geistliche Soldatinnen und Soldaten, und seit ein paar Monaten gibt es auch einen jüdischen Militärrabbiner. Nur eine islamische Militärseelsorge gibt es nach wie vor nicht, dabei hat die Bundeswehr auch mindestens 3000 muslimische Soldatinnen und Soldaten. Forderungen und Willensbekundungen hört man schon lange, nur heißt es aus dem Verteidigungsministerium bislang: Unter den islamischen Verbänden in Deutschland fehle ein passender Kooperationspartner – vergleichbar mit den Kirchen oder dem Zentralrat der Juden.
Jetzt tut sich aber etwas: Statt mit islamischen Verbänden soll die Bundeswehr Verträge mit einzelnen Imamen schließen. Das hat das Verteidigungsministerium dem Deutschlandfunk auf Anfrage bestätigt. Kritik an diesen Plänen äußert der Religionssoziologe Rauf Ceylan, Professor am Institut für islamische Theologie der Universität Osnabrück. Es sei allerhöchste Zeit, dass auch die Bundeswehr damit beginnt, Imame einzustellen.

Das Interview im Wortlaut
Christian Röther: Herr Ceylan, Einzelverträge statt einem Staatsvertrag – ist das aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Lösung?
Rauf Ceylan: Ja, dazu fällt mir ein Titel ein: Ich würde sagen, Seelsorge zweiter Klasse. Ich denke, das ist nicht der richtige Weg. Dass wir das Problem haben einer fehlenden Zentralorganisation, also bei den islamischen Organisationen, das Problem ist ja bekannt. Aber auf der anderen Seite: Einzelverträge abzuschließen, das bringt natürlich vielfältige Fragen mit sich. Wer wählt die aus? Wie sieht die Kommission aus? Inwieweit wird die muslimische Basis das akzeptieren? Insofern denke ich, dass das nicht der richtige Weg sein kann.

"Zwischenlösung" mit dem Islamkolleg Deutschland?

Röther: Aus dem Bundesverteidigungsministerium heißt es ja, dass man unter den islamischen Verbänden keinen passenden Vertragspartner gefunden habe. Dem Deutschlandfunk hat das Ministerium mitgeteilt:
"Das Errichten einer islamischen Militärseelsorge im Geiste und nach Vorbild der bestehenden Militärseelsorge ist unverändert und perspektivisch nicht möglich, da ein zentraler Vertragspartner, der im Auftrag der Bundeswehr und auf Grundlage eines Staatsvertrages die religiöse Aufsicht über eine islamische Militärseelsorge führen könnte, absehbar nicht zur Verfügung steht. Eine institutionalisierte Militärseelsorge unter Beteiligung der islamischen Religionsverbände wird daher nicht mehr verfolgt."
Röther: Herr Ceylan, sehen Sie das auch so? Ist mit den islamischen Verbänden in Deutschland keine Militärseelsorge auf die Beine zu stellen?
Ceylan: Das würde ich so nicht behaupten. Wir sind ja auch viel weiter. Seit der Wissenschaftsrat 2010 die Empfehlungen ausgesprochen hat, Institute für islamische Theologie zu gründen, ist ja das Problem bekannt, also die Kooperation Religionsgemeinschaft und Staat. Und hier gab es eine Zwischenlösung. Das heißt, man hat theologische Beiräte implementiert. Die waren bunt gemixt. Zum Teil waren die Religionsgemeinschaften involviert, aber auch Personen zum Beispiel des öffentlichen Lebens, beziehungsweise Theologinnen und Theologen. Das ist natürlich ein Konstrukt, weil keine kirchenanalogen Strukturen existieren im Islam.
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Für die Bundeswehr war die Zeit am Hindukusch belastend – die Seelsorgeangebote der Kirchen waren gefragt. Angesichts der aktuellen Ereignisse fragen sich viele nach dem Sinn des Einsatzes.
Aber wir haben mittlerweile das Islamkolleg in Osnabrück, welches Imame ausbilden soll. Man hätte auf das Islamkolleg zugehen sollen - oder besser: Man sollte auf das Islamkolleg zugehen. Denn die kooperieren ja immerhin mit vier bis fünf muslimischen Organisationen. Hiermit hätten wir eine Zwischenlösung. Denn diese Verbände, die dort vertreten sind, vertreten immerhin über 400 Moscheegemeinden. Das wäre auch eine Zwischenlösung. Wir haben in den letzten zehn Jahren Erfahrungen mit solchen Konstrukten gemacht. Sie funktionieren, sie sind nicht ideal. Das ist klar. Aber eben: Im Islam gibt es halt diese historisch gewachsenen Kirchenstrukturen nicht.
Röther: Das Islamkolleg Deutschland in Osnabrück, das Sie gerade angesprochen haben, wird auch gefördert durch den Bund, durch das Bundesinnenministerium. Der größte Teil des Budgets kommt von dort. Sie haben gesagt, da könnten die Imame für die Bundeswehr vielleicht auch ausgebildet werden. Oder man könnte kooperieren. Müsste eigentlich das Bundesverteidigungsministerium sich da nur ein Haus weiter wenden an das Innenministerium? Und dann würde man vielleicht einen guten Vertragspartner da finden können?
Ceylan: Ja, das würde ich so sehen. Denn das hat eine sehr lange Vorbereitungszeit gebraucht, bis man halt dieses Konstrukt implementieren konnte. Das wäre eine sehr gute Zwischenlösung. Zumal das Islamkolleg begonnen hat und Seelsorge in der Ausbildung einen Schwerpunkt bildet.

"Die Probleme werden zunehmen"

Röther: Herr Ceylan, Sie forschen zu Imamen in Deutschland, haben auch gerade erst kürzlich wieder ein neues Buch dazu vorgelegt. Und sie gehören auch zu denjenigen, die schon seit einigen Jahren Imame für die Bundeswehr fordern. Warum denn eigentlich?
Ceylan: Ja, im Grunde genommen spiegelt sich ja die muslimische Population in allen Bereichen wieder. Also wir kennen das in der Wohlfahrt, wo schon seit langem die interkulturelle Öffnung besprochen wird, auch umgesetzt wird. Wir haben in der Polizei mittlerweile immer mehr Menschen mit muslimischem Hintergrund oder Migrationshintergrund, auch jetzt in der Bundeswehr. Die Zahlen schwanken zwischen 3000 und 4000. Man muss von einer Mindestzahl von 3000 Soldatinnen und Soldaten ausgehen. Und das bringt natürlich zahlreiche Herausforderungen mit sich.
Auch diese Menschen wollen Ansprechpartner haben, wo man halt über Probleme sprechen kann, über Lebensphasen, die vielleicht schwierig sind, über Auslandseinsätze. Afghanistan ist ja gerade aktuell. Und es gab in der Vergangenheit natürlich auch solche Anforderungen von Soldaten, die gesagt haben: Wir vermissen einen Geistlichen, mit dem wir uns hätten aussprechen können - mit Transzendenzbezug. Die Probleme oder die Herausforderung werden nicht weniger, sondern sie werden zunehmen. Also insofern ist es allerhöchste Zeit, dass auch die Bundeswehr damit beginnt, Imame einzustellen.
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"Hat dich der Gott geschickt?"
Am Krankenbett zuhören, Gefangene besuchen – das macht die Familie, dafür braucht man keine Organisation. So hieß es lange in der muslimischen Community. Offenbar ein Irrtum, denn der Bedarf an Zuwendung ist groß. Und auch der Staat ist an ausgebildeten Seelsorgern interessiert.

Dürfen Muslime gegen Muslime kämpfen?

Röther: Jetzt haben sie gerade Afghanistan angesprochen, das ja derzeit die Schlagzeilen bestimmt. Die Bundeswehr ist abgezogen, die USA sind inzwischen auch komplett raus aus dem Land, und die radikalislamischen Taliban haben eben die Macht wieder übernommen. Warum wären Militärimame für die Bundeswehr auch vor diesem Hintergrund - Sie haben es gerade gesagt - sinnvoll?
Ceylan: Naja, also zum einen heißt das natürlich auch für muslimische Soldatinnen und Soldaten, dass man durchaus auch in Zukunft konfrontiert sein wird mit sogenannten islamisch geprägten Ländern wie jetzt hier Afghanistan. Da stellen sich natürlich auch Gewissensfragen eventuell: Gut, das sind Muslime - obwohl sie Fundamentalisten sind. Wie sieht es aus, kann ich das überhaupt machen? Darf ich das überhaupt machen?
Soldaten steigen aus Transportflugzeugen der Bundeswehr aus und laufen über den Flugplatz
Bundeswehr-Soldaten am Luftwaffenstützpunkt Wunstorf nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan (dpa / Daniel Reinhardt)
Bei solchen theologischen Fragestellungen sind muslimische Geistliche unverzichtbar. Aber auch, wenn es darum geht, dass man einfach sprechen möchte. Wie ist es, wenn ich dort falle, also sterbe? Das ist ja auch eine ganz zentrale Fragestellung. Ich habe mal einen Bericht gelesen von einer muslimischen Soldatin, die einen Afghanistan-Einsatz hatte, die gesagt hat, dass sie konkrete Anweisungen auch ihrem Chef gegeben hat, was passiert im Falle ihres Todes. Eigentlich ist für so etwas ein Geistlicher zuständig.

"Die mentalen Hürden, in staatlichen Einrichtungen zu arbeiten, fallen"

Röther: Sie haben vorhin gesagt, der Bedarf werde noch zunehmen. Weil es immer mehr Musliminnen und Muslime in der Bundeswehr geben wird? Oder weil sie denken, dass es auch noch mehr Konflikte mit islamischer Kontextualisierung geben wird in Zukunft, wo die Bundeswehr beteiligt ist?
Ceylan: Beides. Noch mehr Konflikte dieser Art? Dafür ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß. Zudem leben hierzulande mittlerweile über 5,6 Millionen Muslime. Man kann davon ausgehen, dass die Hälfte unter 25, 24 Jahre alt ist. Die mentalen Hürden, in staatlichen Einrichtungen zu arbeiten, fallen. Anders in den 80er und 90er-Jahren: Da waren die Hürden noch sehr hoch, sich vorstellen zu können, als Polizist zu arbeiten oder zur Bundeswehr zu gehen.
Das ist heute durchaus eine Option, zumal solche Institution aktiv anwerben, mit Werbung, mit anderen Strategien, dass man auch versucht, diese Vielfalt auch abzubilden. Das wird zunehmen. Insofern müssen wir jetzt nicht lange warten. Wir brauchen nicht die Lösung par excellence; die wird es nicht geben. Wir müssen funktional denken, und um das zu bekräftigen: Das Islamkolleg würde eine sehr gute Zwischenlösung darstellen.

"Kulturknigge für Auslandsaufenthalte"

Röther: Der erste Militärrabbiner der Bundeswehr, Zsolt Balla, ist seit ein paar Monaten im Amt. Er hat zur Amtseinführung gesagt, er wolle nicht nur für jüdische Soldatinnen und Soldaten da sein, sondern Ansprechpartner sein für alle in der Bundeswehr. Er will also auch Wissen über das Judentum vermitteln. Wäre das auch eine Aufgabe für mögliche zukünftige Militärimame, also in der Bundeswehr Wissen über den Islam zu vermitteln? Vielleicht auch gerade vor dem Hintergrund dessen, was wir gerade besprochen haben: den Konflikten mit den Taliban oder auch mit dem selbsternannten Islamischen Staat?
Ceylan: Ja, das wäre natürlich eine weitere Aufgabe. Die erste Aufgabe wäre primär, muslimische Soldatinnen und Soldaten zu betreuen. Aber in zweiter Linie natürlich. So eine Art Kulturknigge oder Informationen zum Islam, wenn es denn Auslandsaufenthalte sind - das kann ich mir durchaus vorstellen. Das wäre aber eine Art Fortbildung, Unterweisung. Das wäre keine Seelsorge.
Militärrabbiner Zsolt Balla: "Auf Augenhöhe mit jedem Soldaten"
Erstmals seit über 100 Jahren gibt es in Deutschland wieder einen Militärrabbiner. Zsolt Balla aus Leipzig will Ansprechpartner für jüdische Soldatinnen und Soldaten sein.
Röther: Was denken Sie, wie könnte man sich das praktisch vorstellen? Wie viele Imame bräuchte man da? Ich weiß, das ist vielleicht schwer abzuschätzen von außen. Aber wenn es jetzt nur einer oder zwei sind, dann sind die womöglich immer unterwegs von Wunstorf nach - na ja, nach Kabul jetzt nicht mehr. Nach Mali. Wie stellen Sie sich das praktisch vor?
Ceylan: Also das Verhältnis ist ja 1:1.500, so wie ich das weiß. Das wäre natürlich überschaubar. Das müsste man aushandeln und in der Praxis schauen, wo tatsächlich der Bedarf ist. Das müsste man mit einem Islamkolleg, was auch als Koordinationsstelle übrigens fungieren könnte, einfach aushandeln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.