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Religionswissenschaftler Blume
Extremismus zeigt Krise an

Extremismus zum Beispiel bei Islamisten zeuge von einer tiefen theologischen Krise, sagt der Religionswissenschaftler Michael Blume. Im Dlf betonte er, Religionen seien immer beides, Vereinerinnen und Spalterinnen. Gegen zerstörerische Potenziale der Schriften helfe am besten Bildung - und eine aufgeklärte Lektüre.

Michael Blume im Gespräch mit Benedikt Schulz | 10.09.2017
    Der Religionswissenschaftler und Blogger Michael Blume.
    Menschen brauchen Sinnstiftung und Gemeinschaft, sagt Religionswissenschaftler Michael Blume. Gegen zu einfache Erzählungen, die mehr Hass als Nächstenliebe säen, wappne einen am besten eine solide Bildung. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Benedikt Schulz: Wie gefährlich ist Religion? Das ist eine beinahe schon klassisch-religionskritische Frage, die sich auf den ersten Blick ganz logisch ergibt, wenn man mal den historischen Querschnitt wagt auf das intime Verhältnis von Religion und Gewalt in der Menschheitsgeschichte. Die andere Seite betont natürlich, dass Religionen Frieden stiften können. Und diese Haltung ist der Hintergrund des jährlichen, von Katholiken veranstalteten interreligiösen Weltfriedenstreffens.
    Das findet in diesem Jahr in Münster und Osnabrück statt – nicht ganz zufällig, die beiden Städte markieren ja mit dem Abschluss des westfälischen Friedens das Ende eines jahrzehntelangen, religiös unterfütterten Konflikts in Europa. Und der dreißigjährige ist nur ein Beispiel davon, wie groß das Gewaltpotenzial von Religionen war und ist.
    Dagegen jetzt also: religiöses Miteinander. Angesichts der Geschichte der Religionen, nur ein frommer Wunsch? Fragen dazu an den Religionswissenschaftler und Publizisten Michael Blume – haben Religionen überhaupt ein Friedenspotenzial?
    Michael Blume: Religionen haben ein enormes Potenzial in beide Richtungen. Sie können mit Religion Friedenslehren verbreiten oder auch Kriegslehren, und das schwankt auch in der Geschichte immer wieder. Um nur ein klassisches Beispiel zu nehmen: Das Judentum. Das frühe Judentum hatte eine Geschichte durchaus auch des Königreichs und durchaus auch der Gewalt. Dann aber, nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, kam das rabbinische Judentum nach vorne der Schriftgelehrten und da wurde dann Gewalt wiederum strikt abgelehnt. Das heißt, innerhalb der einzelnen Religionen haben Sie immer sowohl kriegerische wie auch friedenspolitische Potenziale.
    Menschen brauchen Sinnstiftung und Gemeinschaft
    Schulz: Trotzdem mal frei nach John Lennon gefragt. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Religion, wäre denn die Welt trotzdem friedlicher, wenn Gewalttätern eine Legitimation durch das Religiöse fehlen würde?
    Blume: Nach dem, was wir bisher wissen, könnte die Welt durchaus dann friedlicher gewesen sein, weil es dann wahrscheinlich auch keine Menschheit mehr geben würde. Es ist tatsächlich so, dass Menschen Sinnstiftung, Gemeinschaftsstiftung brauchen. Wir wissen das aus der Demographie zum Beispiel, religiöse Populationen können sehr kinderreich sein. Wir kennen noch keine einzige nichtreligiöse Population, die es geschafft hätte, demographisch stabil zu bleiben. In der gesamten Geschichte kennen wir keine. Das heißt, die Menschen brauchen das. Sie brauchen Erzählungen, sie brauchen Sinnstiftung, sie brauchen Gemeinschaft.
    Dass Religion aber diese Gemeinschaft nach innen erzeugen, bedeutet leider oft auch, dass sie nach außen abgrenzen. Man ist dann lieb zu den Gleichgläubigen, aber man grenzt die Anders- und Nichtgläubigen aus, und deswegen ist das Potenzial, die Fähigkeit von Religion und ihre Gefahr sind eng miteinander verbunden.
    Verschwörungsglaube könne alle Weltanschauungen befallen
    Schulz: Dann fragen wir mal nach dem Weg, den Gewalt in die Religion Ihrer Meinung nach nimmt. Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch "Islam in der Krise" auch über das Problem von Verschwörungsmythen. Inwieweit sind diese Mythen Teil des Gewaltproblems im Islam, aber auch in anderen Religionen?
    Blume: Das ist tatsächlich ein ganz zentrales Thema. Sie können sich natürlich die Welt erklären, indem Sie sagen, es gibt einen guten Schöpfer und der prüft uns zwar, aber insgesamt ist die Welt ein Ort, dem wir trauen können, dem wir vertrauen können, wo wir forschen können. Aber Sie können natürlich genauso sagen, diese Welt wird eigentlich von bösen Mächten beherrscht, die wollen uns alle ans Leder, das sind unsere Feinde, die müssen wir töten, gegen die müssen wir uns verteidigen.
    Und dieser Verschwörungsglauben, der kann alle Religionen und Weltanschauungen befallen. Dann haben Sie zum Beispiel den Hexenglauben. Den haben Sie schon in vorschriftlicher Zeit, in vorschriftlichen Kulturen. Aber auch den Glauben, dass ausländische Mächte Verschwörer entsenden, dass bestimmte religiöse Gruppen, Juden zum Beispiel, angeblich die Welt beherrschen. Wenn Sie sich in einen solchen Verschwörungsglauben hineinsteigern, dann sehen Sie die Welt als beherrscht von bösen Mächten und dann glauben Sie, Sie müssten sich verteidigen.
    Das ist das, was auch alle linken, rechten und religiösen Extremisten miteinander verbindet. Sie alle rechtfertigen ihr Tun, es sei eine Notwehr gegen die weltweite Superverschwörung, und die Leute glauben dann tatsächlich, ihre Gewalt wäre doch nur zur Verteidigung da, und verstehen überhaupt nicht, dass der Rest der Welt entsetzt ist über das, was Sie da tun. Selbst ein IS-Kämpfer behauptet, er würden den Islam nur verteidigen gegen die ausländischen Verschwörungen.
    Glaube an böse Götter sei weitaus älter
    Schulz: Das heißt aber im Umkehrschluss, dass man darin gescheitert ist, sich auf einem positiven Wege mit religiösen Inhalten zu identifizieren?
    Blume: Genau. Charles Darwin war ja studierter Theologe und er hat völlig richtig festgestellt: Am Anfang der religiösen Entwicklung, der Evolution von Religiosität stand sicher nicht der Glauben an eine gute Gottheit, sondern da stand ein Glaube an böse Mächte. Und der Glauben, dass eine gute Gottheit wirklich alles beherrscht und dass wir dieser Welt vertrauen können, das ist eine sehr späte kulturelle Errungenschaft. Wir haben sie in Ägypten sehr spät, dann in Israel, in den monotheistischen Religionen. Das ist verhältnismäßig jung und von dem her kann man dann schon sagen, ist das auch angreifbar und bricht auch leicht zusammen.
    Man könnte sagen, der Verschwörungsglauben, der Extremismus ist tatsächlich eine Krise der jeweiligen Theologie. Viele extreme Muslime zum Beispiel sagen zwar, sie glauben an einen allmächtigen guten Gott. Letztlich, wenn man sich dann aber ihre Weltanschauung anschaut, dann behaupten sie, dass Freimaurer, Illuminaten oder die Weisen von Zion die Welt beherrschen, und das sind ja nicht mal mehr islamische Elemente, sondern das sind dann tatsächlich Verschwörungsmythen, die sie aus dem Westen übernommen haben, und das zeigt deutlich, dass diese Kultur in einer tiefen, tiefen auch theologischen Krise steckt.
    Schulz: Jetzt gibt es Kulturwissenschaftler wie Jan Assmann, der vor einigen Jahren das Gewaltpotenzial vor allem bei den monotheistischen Religionen gesehen hat. Wenn wir jetzt mal auf Buddhisten, Hinduisten oder auch andere Religionen blicken, halten Sie das noch für gerechtfertigt?
    Gewaltbezüge in Heiligen Schriften historisch lesen
    Blume: Wir sehen beispielsweise gerade in Myanmar, dass es auch Übergriffe von Buddhisten gegen muslimische Minderheiten gibt. Das ist natürlich genauso möglich. Wenn wir an die Geschichte von Sri Lanka denken oder auch an die Geschichte von Japan, dann sehen wir auch dort durchaus die Bereitschaft zur Gewalt. Ich darf daran erinnern, dass wir in polytheistischen Religionen, wenn wir an Südamerika denken, Mittelamerika, Menschenopfer hatten, ebenfalls Kriege. Ich denke, dass Professor Assmann auf der einen Seite einen Punkt hat, dass natürlich der Monotheismus stärker scheidet zwischen wahr und falsch, Gut und Böse, und deswegen die Abgrenzungen schärfer werden gegenüber denen, die nicht dabei sind.
    Aber auf der anderen Seite ist das natürlich auch ein Mittel gegen den Relativismus, wenn ich sage, alle Menschen stammen zum Beispiel von Adam und Eva ab, alle Menschen sind miteinander verwandt, dann kann das auch wiederum zügeln, und da haben wir dann in den polytheistischen Religionen dann auch zum Teil Lehren, die sagen, dass andere, die sind gar keine Menschen oder die gehören einer anderen Kaste, einer niederen Kaste an. Von dem her: Ganz so einfach, dass man sagt, erst mit dem Monotheismus ist das Problem aufgetreten, ist es sicherlich nicht.
    Schulz: Das Gewaltpotenzial von Religionen liegt mindestens in den abrahamitischen Religionen ja auch in den Schriften begründet. Da tun sich Koran und Bibel bekanntermaßen nicht so viel. Das liegt natürlich auch daran, wie man diese Schriften auslegt. Aber dieses sich berufen auf alte, ja oft archaische Texte – die stammen ja teilweise aus kriegerischen Gesellschaften -, ist das für einen modernen aufgeklärten Menschen überhaupt noch angemessen? Ich muss ja krampfhaft versuchen, das Gewaltpotenzial, was darin wirklich steht, durch eine moderne aufgeklärte Lektüre irgendwie zu verschleiern oder irgendwie abzuschütteln. Ist das angemessen für die Moderne?
    Blume: Ja, es stellt natürlich Herausforderungen dar, und letztlich werden die gelöst durch eine Historisierung. Das haben wir schon zum Beispiel bei Lessing, der dann von der Erziehung des Menschengeschlechtes spricht. Das heißt, man sagt, okay, zu der damaligen Zeit war dies und jenes nötig, aber in der heutigen Zeit ist es anders. Ich erwähne da gerne noch einmal das rabbinische Judentum, das nach der Zerstörung von Jerusalem die Texte uminterpretiert hat, deutlich in eine friedliche Richtung interpretiert hat, beispielsweise dem Chanuka-Fest eine Bedeutung von Religionsfreiheit gegeben hat, anstatt die Gewalt, den Aufstand in den Mittelpunkt zu stellen.
    Ja, religiöse Gewalt sei ein Bildungsproblem
    Von dem her werden natürlich Texte immer interpretiert. Sie werden immer ausgelegt, in jedem Moment. Die Bhagavad Gita im Hinduismus beispielsweise beschreibt eigentlich den Aufruf eines Gottes zum Kampf an den Helden der Geschichte, wird aber von den meisten heutigen Hindus interpretiert als ein Ringen mit dem Bösen im eigenen Inneren. Das heißt, das wird dann spiritualisiert. Ja, das ist herausfordernd, sich mit den alten Schriften auseinanderzusetzen. Im Idealfall führt das natürlich zu einer sehr reflektierten Theologie, die auch Kritik, die auch Humor zulässt.
    Im negativen Fall führt das in den Verschwörungsglauben. Man sagt, wir sind die Guten. Alle Probleme, an denen sind nur die anderen schuld. Und dann wird die Gewalthaltung in den Texten natürlich noch verstärkt, und das kann noch einmal leider in allen Religionen, auch in allen Schriftreligionen so auftreten.
    Schulz: Dann gehen wir noch mal einen Schritt weiter. Wer an Verschwörungsmythen glaubt – Sie haben auch gerade von der Krise einer Theologie gesprochen -, da mangelt es ja meistens an überprüfbarem Wissen und an Bildung. Ist religiöse Gewalt auch ein Bildungsproblem?
    Blume: Das ist absolut der Fall. Wir haben ja letztlich die Möglichkeit, uns die Welt zu erklären über Sachzusammenhänge. Wir nennen das dann später Wissenschaft, weil man sagt, okay, die Produktion von Öl führt dazu, dass sich eine Gesellschaft so und so verändert. Oder aber wir können sie uns personal erklären, dass wir sagen, das sind Gottheiten oder das sind Engel, Dämonen, die bestimmen das Weltgeschehen.
    Unsachliche Erklärungen für weniger Gebildete oft plausibler
    Und es ist natürlich klar, dass Menschen mit einer höheren Bildung stärker dazu tendieren können, diese sachbezogenen Erklärungen zu verstehen und beispielsweise zu verstehen, warum es diese Allianz zwischen dem Westen und Saudi-Arabien gibt, dass das keine Verschwörung ist, die von irgendwelchen jüdischen Supermächten ausgetragen wird, sondern dass es schlicht und ergreifend darum geht, dass wir vom Öl abhängig sind und damit umgekehrt dort das Regime finanzieren, die dann wiederum Waffen erwerben. Das heißt, dann wird das sehr sachlich erkennbar und man kann dann sogar überlegen, was tut man dagegen.
    Für einen weniger gebildeten Menschen ist das dann ganz einfach. Der sagt, das ist eine Verschwörung, da stecken finstere Mächte dahinter, die wollen Krieg und dagegen müssen wir uns wehren. Das heißt, anstatt einer sachbezogenen Erklärung werden dann Superverschwörer konstruiert und gegen die darf man dann auch Gewalt anwenden und das führt dann dazu, dass dann zum Beispiel auch Minderheiten im eigenen Land, zum Beispiel die Jesiden im Irak angegriffen werden. Es wird ihnen vorgeworfen, sie seien Teufelsanbeter, sie seien Verschwörer, obwohl diese Menschen damit natürlich überhaupt nichts zu tun haben, und dann wird das natürlich sehr gefährlich. – Bildung ist ein ganz, ganz zentraler Weg, um das Gewaltpotenzial von Religionen zu entschärfen und das Friedenspotenzial zu stärken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Michael Blume: "Islam in der Krise. Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug"
    Patmos Verlag: Ostfildern 2017. 192 Seiten, 19 Euro.