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Rembrandt van Rijn und Amsterdam
Eine Stadt wie sein Leben

Die "Nachtwache" Rembrandt van Rijns im Amsterdamer Rijksmuseum, eine Pilgerstätte für Millionen Besucher. Doch in ganz Amsterdam kann einem das Gemälde begegnen – und die Geschichte dahinter. Eine Spurensuche.

Von Hildburg Heider | 23.04.2017
    Besucher des Reichsmuseums in Amsterdam fotografieren Rembrandts "Nachtwache"
    Besucher des Reichsmuseums in Amsterdam fotografieren Rembrandts "Nachtwache" (Andreas Diel)
    Im Jahr 1642 hat eine Amsterdamer Schützengilde bei Meister Rembrandt ein gigantisches Gruppenbild für ihren Festsaal bestellt, heute ein Prunkstück des Rijksmuseums. Die Nachtwache wird dort wie ein Altarbild präsentiert. Es leuchtet von Weitem, als ich mich durch eine lange Ehrengalerie darauf zu bewege.
    Die Figuren der Amsterdamer Bürgerwehr sind mitten in Bewegung und scheinen aus dem Bild zu treten. Typisch Rembrandt: er inszeniert Menschen wie auf einer Theaterbühne. In Augenhöhe zum Publikum. Wer betrachtet eigentlich wen? Der Nachtwache begegne ich überall in Amsterdam.
    Das Schicksal der Nachtwache: "Etwas eingekürzt worden"
    An einer Amstelbrücke leuchtet die verschnörkelte Fassade des Doelenhotels. Über dem Eingang sind zwei der wackeren Schützen postiert. Drinnen hing einst das prominente Bild, sagt Professor Gregor Weber vom Rijksmuseum Amsterdam,"Sie können in einem Bett liegen, und dann wissen Sie also zehn Meter davon hat die Nachtwache gehangen."
    Zwei Männer diskutieren vor Rembrandts "The Steelmasters", das in der Ausstellung "Der späte Rembrandt" im Amsterdamer Reichsmuseum gezeigt wird.
    Rembrandts "The Steelmasters" in der Ausstellung "Der späte Rembrandt" im Amsterdamer Reichsmuseum gezeigt wird. (picture alliance / dpa / Robin Van Lonkhuijsen)
    "1715 kamen diese ganzen Stücke in das Rathaus von Amsterdam. Leider passte die Nachtwache nicht so ganz dort hinein, sie kam zwischen zwei Türen zu hängen und deswegen hat man sie links und rechts etwas beschnitten. Das war einer der Schicksalschläge für die Nachtwache, dass sie etwas eingekürzt worden ist."
    Zu Rembrandts Zeiten war das stattliche Rathaus das größte profane Gebäude der Welt. Der Maler hat hier Bankrott angemeldet, als er den Kredit für sein Wohnhaus nicht mehr bedienen konnte. Mit der Fremdenführerin Ella Tots stehe ich vor dem Eingang neben einer mächtigen gusseisernen Laterne. Sie trägt eine goldene Königskrone. Denn aus dem Rathaus wurde ein Museum mit königlicher Residenz:
    "Wenn es Gäste gibt von unserer königlichen Familie, die schlafen manchmal hier. Nelson Mandela zum Beispiel,hat hier einmal geschlafen, da oben an der linken Seite."
    Stationen von Rembrandts Leben in der Stadt
    Auf meinem Stadtplan sind die Stationen von Rembrandts Leben und Wirken eingezeichnet: 16 Gebäude, Brücken und Straßen, vom Reichsmuseum bis zum Sterbehaus an der Rozengracht. Zu Rembrandts Lebzeiten entstand das typische Stadtbild mit dem Spinnennetz an Wasserwegen, den malerischen Grachten.
    Am Rande der Altstadt liegt Rembrandts Wohnhaus in der Sint Anthoniesbreestraat. Ein dreistöckiger Backsteinbau mit grünen Schlagläden, die beim Öffnen ihre fröhliche rote Kehrseite zeigen. Rembrandt hat dieses Haus 1639 für die Unsumme von 13.000 Gulden erworben und hier fast 20 Jahre gelebt. Er musste es verlassen, als er seine Schulden nicht zurückzahlen konnte.
    Van Sloten: "Und dann kommt jemand vom Rathaus und läuft mit Rembrandt durch das Haus und macht ein Inventar von allem, was kostbar ist."
    Zeugnisse des Alltagslebens
    Die Kuratorin Leonore van Sloten zeigt mir die wenigen originalen Gegenstände des Rembrandt-Haushalts: einen gläsernen Noppenbecher, einen Henkelkrug mit Bleiweißresten, die Rembrandt beim Malen verwendet hat. Die fand man bei der Rekonstruktion des Hauses im Innenhof.
    Denn dort war die Senkgrube für Abfälle aus Küche und Klo. Da kam so einiges zusammen: denn in dem Haus lebten neben dem Maler und seiner Frau Saskia auch Sohn Titus und vier seiner Schüler. Zum Innenhof öffnet sich auch das Fenster der riesigen Küche.
    Dazu Leonore an Sloten: "Man hat auf dem Boden gekocht. Dort hatte man Kohlen und Feuer, und dort konnte man ganz einfach in dem Topf schauen."
    Der große ummauerte Herd diente nur dazu, die Speisen warmzuhalten. Darüber ein Sims mit Ton - und Kupfergeschirr. Gegenüber Fässer für Bier und Wein. Eine Wasserpumpe, ein Schrankbett für die Küchenmmagd. In allen Zimmern des Hauses finden sich solche Schlafgelegenheiten, auch für Überraschungsgäste.
    Van Sloten: "Man schlief in Zimmer, wo auch ein Kamin war, wo ein Platz war, wo Feuer war, wo es warm war. Es gab keine separaten Schlafzimmer in dieser Zeit."
    Umschlagplatz für den Kunsthandel
    Das Rembrandthaus war gleichzeitig ein Umschlagplatz für den Kunsthandel. Denn Rembrandt hat auf Versteigerungen Werke seiner Zeitgenossen eingekauft und im Erdgeschoß ausgestellt.
    Van Sloten: "Da gibts noch so ein kleines Büro, wo jemand saß und das Geschäft so überblickte. In diesem Raum wurden die Verträge unterschrieben und das Inventar nennt hier auch einen Marmorweinkühler. Also da haben sie wirklich getrunken, wenn so ein Auftrag beschlossen war."
    Auch Werke seiner Schüler hat Rembrandt hier verkauft, nachdem sie von ihm in allen Techniken ausgebildet worden waren. In einem kleinen Raum zeigt der Kunstvermittler Vons van Laar drei Techniken der graphischen Reproduktion aus der Rembrandtzeit. Und los geht's: die Zutaten: eine Kupferplatte, Nadeln, Ätzsäure:
    Van Laar: "Und dann wissen Sie, wie die Linien dann in die Platte kommt? Dann macht man das in eine Säure und die Säure reagiert mit das Kupfer. Also das Kupfer wird geätzt."
    Atelierbesuch bei Rembrandt
    So konnten auch Kunden mit schmalem Geldbeutel Kunstwerke erwerben. Bis zu 30 Abzüge gibt eine Kupferplatte her. Und so hat Rembrandt gearbeitet, sagt Vons van Laar: "Zuerst, die Farbe wird auf die Platte gebracht und dann wird die Oberfläche sauber gemacht und dann ist die Farbe nur in den Linien, die Oberfläche ist sauber. Dann gehen wir zu der Presse."
    Zum Abschied überreicht mir der Kupferstecher einen Druck mit einem Selbstporträt von Rembrandt.
    Dazu Kuratorin Leonore van Sloten: "Man sieht Rembrandt ganz stolz, so hat er sich selbst dargestellt, mit einem schönen Barett und schöne Kleidung und er hat es gemacht im Jahre 1639, das Jahr, das er dieses Haus kauft und daß er den Auftrag bekommt für die Nachtwache."
    Nun steigen wir die steilen Stiegen hoch zu Rembrandts Ateliers. Im kleineren unterrichtete er seine Schüler, im großen arbeitete er selbst. Alles ist hergerichtet wie zu Lebzeiten des Künstlers:, Staffeleien, Paletten, Pinsel, Keilrahmen. Auf einem Reibstein wurden Pigmente fein zerrieben und dann mit Öl zu Farbe gemischt. Der gußeiserne Ofen wärmte die Aktmodelle und ließ die Farben trocknen.
    Bewegtes Leben der Künstlerfamilie
    Die Rekonstruktion des Ateliers entstand nach einer Zeichnung von Rembrandt: hier sieht man auch das Segel vor dem Nordfenster.
    Van Sloten: "Eine Frau sitzt bei dem Fenster und ...man sieht, wie die Schlagläden geschlossen sind, und ein Tuch hängt über das Fenster. Und man sieht, wie das Licht dann manipuliert wird."
    Das Rembrandthaus hat viel erlebt: vier Kinder wurden hier geboren, der Sohn Titus überlebt als einziger, doch seine Mutter Saskia stirbt im Jahr 1642 an den Folgen einer Tuberkulose. In diesem Jahr vollendet Rembrandt das Bild "Die Nachtwache".
    Nicht weit vom Wohnhaus der Rembrandts liegt die Oude Kerk - das älteste Gebäude Amsterdams. Hier wurde Saskia beigesetzt. Meine Fremdenführerin Ella führt mich zu der Granitplatte mit der eingemeißelten Inschrift: "Saskia. 19. Juni 1642.": "Aber in 1662 sollte er das Grab verkaufen, weil er kein Geld mehr hatte. Er konnte es nicht mehr bezahlen. Er sollte jedes Jahr noch bezahlen für das Grab."
    Rembrandt war kein Kirchgänger. Nach Saskias Tod lebte er in wilder Ehe mit Hendrikje Stoffels zusammen, die ihm die Tochter Cornelia schenkte. Bis 1658 wohnten sie im schönen Haus an der Sint Anthoniesbreestraat.
    "Unsterblich, unverwüstlich"
    Mit dem Umzug in eine Mietwohnung an der Rozengracht begann Rembrandts düsterer Lebensabschnitt: er wurde Angestellter im Kunsthandel seines Sohns Titus. Dieser starb schon als junger Mann und junger Vater. Ein Jahr später, 1669, folgt ihm sein Vater nach. Sein Grab kennt keinen Namen: er wurde anonym in der Westerkerk bestattet.
    In Rembrandts letztem Wohnhaus ist heute eine Tattoo-Werkstatt untergebracht. Auch eine Möglichkeit, sich graphisch auszudrücken! Was bleibt, ist "Die Nachtwache" im Rijksmuseum, Pilgerstätte für Millionen Besucher. Wer in Tuchfühlung gehen will mit Rembrandts Helden, kann sich einen Ausschnittbogen kaufen und selbst eine Nachtwache basteln.
    Oder er besucht den Rembrandtplein. Dort umringen in Lebensgröße die Schützen in Bronze ihren Schöpfer Rembrandt und lassen sich an die Nase fassen. Unsterblich, unverwüstlich.