Donnerstag, 28. März 2024

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Renée Sintenis-Ausstellung
Die Mutter des Berlinale-Bären

Ob golden, silbern oder aus Glas: Der Berlinale-Bär ist in der Filmbranche eine begehrte Trophäe. Die Vorlage schuf in den 30er-Jahren Renée Sintenis. Eine Ausstellung in Regensburg zeigt: Es wäre ein Fehler, ihr Werk auf die berühmte Skulptur zu reduzieren.

Von Julian Ignatowitsch | 24.10.2019
Bei der Berlinale werden der Goldene und die Silbernen Bären verliehen. Das Bild zeigt drei Statuen.
Begehrte Bären: Die Künstlerin Renée Sintenis modellierte die Vorlage des Berlinale-Preises (AFP/Tobias Schwarz)
Renée Sintenis' berühmteste Skulptur ist gleichzeitig das Wahrzeichen der Hauptstadt, erläutert Kuratorin Alexandra Demberger:
"Der prominente Berliner Bär, der jedem ein Begriff ist: Sie entwirft ihn schon 1932 in einer jüngeren Form, da wirkt er noch etwas ungelenker, tapsiger. Und diese Version wird bereits bei den Berliner Filmfestspielen, bei der Berlinale, vergeben - dann aber ab 1956 von der erwachseneren Version abgelöst."
Bis heute wird er verliehen - und natürlich auch hier in der Regensburger Ausstellung als zentrales Werk in der Mitte des Rundgangs gezeigt. Regisseure wie Ingmar Bergman, Michelangelo Antonioni oder Fatih Akin hielten ihn schon in den Händen. Die Künstlerin Sintenis ist nach dem Bären in ihrem geliebten Berlin auf dem Höhepunkt ihrer erfolgreichen Karriere: "Sie erhält dadurch zahlreiche Aufträge. Dieser Bär wird noch in zwei größeren Formaten geschaffen und findet dann beispielsweise an den Autobahnen Aufstellung."
Rückzug ins Idyll der Jugend
Sintenis' Schaffen aber nur auf diese Skulptur zu reduzieren, wäre ein Fehler - auch das macht die umfangreiche Überblicksschau mit 111 Werken in sechs großen Räumen deutlich. Sie schuf Werke in unterschiedlichen Genres: zuallererst Tiere in Skulptur und Grafik. Wilde Pferde und schüchterne Rehe, die in den besten Arbeiten wie lebendig wirken, menschliche Züge bekommen und an Bilder von Franz Marc sowie dessen Tierbegriff erinnern:
"Sie hat eben dieses Unschuldige, dieses Unverdorbene. Und sie verklärt ja auch ihre Jugend immer als diese Idylle und dieses Unschuldige. Und dann benutzt sie diese Tierwelt sicherlich auch, um sich in diese Welt nochmal zurückzuziehen."
Womit das zweite wichtige Thema angesprochen wäre: Akte, vor allem von idealisierten Knaben und Jünglingen, mit Tieren auf dem Arm oder einer Flöte in der Hand. Ähnlich in der Ausführung sind auch die Auftragsarbeit der Göttin Daphne und einige Frauenakte. Wesentlich dynamischer und roher dagegen die Sportler- und Tänzerfiguren: ein Boxer etwa, ein Läufer oder Fußballspieler, für den Sintenis beim Olympischen Kunstwettbewerb 1928 die Bronzemedaille erhielt. Diese Arbeiten stehen in enger Verbindung zu ihrem Galeristen und wichtigsten Förderer:
"Alfred Flechtheim ist ein Sportlerfan, er besucht Veranstaltungen und Sportevents. Und er regt seine Hauskünstler, wie er sie nennt, auch an, Werke zu schaffen - und Renée Sintenis bedient dieses Modethema."
Inbegriff der "neuen Frau"
Denn ihre Karriere betreibt die Künstlerin von Anfang an mit Kalkül, Zielstrebigkeit und Selbstbewusstsein. Nach dem Bruch mit dem Vater, der sie zu seiner Rechtsanwaltsgehilfin machen wollte, findet sie über ihren Mann, den Berliner Sezessionisten Emil Rudolf Weiß, schnell Anschluss an die hiesige Künstlerszene. Lernte Georg Kolbe, Joachim Ringelnatz und Hans Siemsen kennen und wird zum Prototyp der emanzipierten Frau in der Weimarer Republik. Alexandra Demberger:
"Sie ist eine der ersten Bildhauerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts, die wirtschaftlich unabhängig werden konnten durch ihren Beruf. Und zum anderen ist das Besondere an Renée Sintenis, dass sie auch eine mediale Wirksamkeit hatte, durch ihr faszinierendes Äußeres. Sie war ja sehr groß, 1 Meter 80, hat sich dann auch den modischen Kurzhaarschnitt, den Bubi-Kopf, zugelegt und wird in den 20er-Jahren zum Inbegriff der neuen Frau."
Öffentlich gerierte sie sich allerdings nie als Sprachrohr der Frauen. In der Kunst wie im Privatleben gab sie sich unpolitisch, weswegen sie während des NS-Regimes auch relativ unbehelligt blieb und sich zurückzog.
Die Ausstellung ordnet all das mit Fotos und ausführlichen Wandtexten bestens ein. Und sie macht dabei auch klar: Sintenis handwerklich sowieso hervorragende Arbeiten sind auch inhaltlich mehr als nur Zierde oder Eskapismus. Sie zeigen eine tiefe Empathie und Leidenschaft und wie in den Porträts oder Masken, die die heimlichen Stars der Ausstellung jenseits des Bären sind, auch eine Melancholie und Verletzlichkeit.