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"Coworking-Spaces" - das sind Büro- und Arbeitsgemeinschaften auf Zeit. Dort arbeitet vor allem die "Laptop–Elite": Designer, Blogger, Online-Berater, Journalisten. Alles gut ausgebildete junge Leute, die ihre freiberufliche Arbeit hochhalten - und oftmals am Rande des Prekariats leben.

Von Ingeborg Breuer | 15.07.2010
    "Ich kam aus dem Ausland zurück und dann hab ich sofort angefangen mich selbstständig zu machen. Und dann hab ich das Unperfekthaus für mich entdeckt und das war ziemlich gut."

    Matthias Seidig ist selbstständiger Airbrusher. Das heißt er lackiert vorzugsweise Metallteile – zum Beispiel von Motorrädern oder auch von Modellautos – mit der Spritzpistole. Seit 2008 hat er einen Atelierplatz im "Unperfekthaus" in Essen. Das ist ein "Ort für Kreative", wo vorwiegend jüngere Menschen -– Künstler, Musiker, Designer – einen Raum bekommen können, um ihre Ideen auszuprobieren. Zu günstigsten Konditionen. Matthias Seidig zahlt für seinen Werkstattplatz gerade einmal 40 Euro für drei Monate. Das Unperfekthaus steht offen für Besucher, die den Kreativen bei ihrer Arbeit zusehen – oder auch deren Arbeiten erwerben können:

    "Hier hat man viele Kontakte mit Leuten, die hier was Ähnliches machen und das war für mich in der Anfangsphase total wichtig. Als ich angefangen hab als Existenzgründer, da habe ich das richtig gebraucht. Und ich ziehe auch immer noch gute Aufträge für mich raus."

    Die Zahl sogenannter "Solo-Selbstständiger", die wie Matthias Seidig ohne Mitarbeiter und mit wenig Betriebskosten ein eigenes kleines "Geschäft" betreiben, nimmt zu. Dies stellt auch Dr. Werner Eichhorst vom Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit fest, Mitverfasser einer Studie über "Traditionelle Beschäftigungsverhältnisse im Wandel":

    "Wir haben etwas mehr Selbstständige in den letzten zehn Jahren. Insbesondere bei jüngeren Personen in großstädtischen Milieus können wir in dieser Kreativwirtschaft doch eine deutliche Zunahmen von selbstständigen Tätigkeiten beobachten."

    Glaubt man Trendforschern, will eine immer größer werdende Zahl vor allem junger, gut ausgebildeter Menschen aus monotonen Arbeitsroutinen ausbrechen und sucht nach Spaß und Sinn mehr als nach Status und Geld in der eigenen Arbeit. Die Lebensform des "Micro Entrepreneurs", des Kleinunternehmers, so Zukunftsforscher Matthias Horx, sei im Kommen, während der "9to5-Job", also die Festanstellung mit geregelter Arbeitszeit, an Attraktivität verliere.

    Vor allem Menschen, die für ihre Arbeit kaum mehr als Notebook, Internet und Mobiltelefon brauchen, wählen oft den Weg in die Selbstständigkeit – als Grafikdesigner, Softwareentwickler, Blogger, Journalisten oder Webingenieure. So stellt auch Werner Eichhorst fest, "dass bei akademisch gebildeten Personen die Neigung zugenommen hat, selbstständig zu sein. Im Bereich Medien, Internet, Grafikdesign, also künstlerischen Tendenzen, dass in dem kreativwirtschaftlichen Bereich der Laptop, das Handy den eigenen Arbeitsplatz, quasi auch das eigene Unternehmen darstellen."

    "Meconomy" nennt Marcus Albers, Journalist und freier Autor, in seinem im Frühjahr erschienenen Buch diesen Trend zur Soloselbstständigkeit:

    "Der Begriff Meconomy soll ausdrücken, dass zunehmend die kleinste wirtschaftliche Einheit mit der der Einzelne am Markt agiert, er selbst ist: 'Me' und vielleicht noch mein Laptop und mein Adressbuch und das, was in meinem Kopf drin steckt, das ist mein Kapital und mehr brauche ich nicht. Die Hürde in die Selbstständigkeit ist sehr viel geringer geworden."

    Zunehmend findet man solche "Soloselbstständigen" in sogenannten Coworking-Spaces, wie zum Beispiel im Unperfekthaus in Essen. Coworking Spaces sind Arbeits- und Bürogemeinschaften der neuen Art, in denen man stunden-, tage- oder monatsweise zu günstigen Konditionen einen Atelierplatz, einen Schreibtisch oder auch einen Meetingraum buchen kann. Dort treffen sich Kreative und Wissensarbeiter, die einerseits ihre berufliche Freiheit zwar schätzen, denen aber zu Hause, im "Home-Office", die Decke auf den Kopf fällt. Die Kontakt zu anderen Freiberuflern suchen, um sich auszutauschen oder manchmal auch ein gemeinsames Projekt zu planen. Madeleine von Mohl, Mitbegründerin des wohl bekanntesten Co-Working-Space in Deutschland, des Berliner Betahauses:

    "Da sind nette Kollegen, eine Infrastruktur und eine gewisse Zeitstruktur in meinem Alltag. Und wir haben ja diesen preiswerten Flexdesks. 79 Euro im Monat, 12 Tage. Das Luxuspaket 229 Euro, das ist mein eigener Tisch, da kann ich meine Sachen lassen, Schließfach und so weiter. Plus ein paar Meetingraumstunden. Und dann kann ich um 18 Uhr nach Hause gehen und habe zum ersten Mal wieder so ein Gefühl von Feierabend."

    Im April 2009 gründete Madeleine von Mohl mit anderen das Betahaus in einem bis dahin leer stehenden Gewerbegebäude in Berlin Kreuzberg. Unten im Café gibt es Latte Macchiato und Mittagstisch. Zwei Etagen höher befinden sich die "open spaces", die "Arbeitsräume für Kreative": drei große, loftähnliche Hallen, aus Spanplatten und Tischböcken zusammengezimmerte Tische, Energiesparbirnen, die von der Decke baumeln. Notebooks stehen auf allen Tischen.

    Mohl: "Da sitzt eine kleine Kommunikationsagentur, hier ein Filmer, der dreht gerade einen Film über Coworking-Spaces, dann hinten sitzt eine Truppe, die haben eine Studie herausgebracht über I-Phone-Applikationen. Hier sitzt ein Programmierer. Linda Trutmann ist Journalistin, die schreibt gerade an einem Artikel über die 100 jungen Deutschen, von denen man noch etwas hören wird."

    Auch Georgi Kobilarov, der zusammen mit einem Freund eine Softwarefirma gründete, sitzt im Betahaus. 350 Euro bezahlt er monatlich für die beiden Schreibtische, ein kleines eigenes Büro käme ihn teurer. Zudem schätzt er die produktive Atmosphäre im Haus, die Kontakte zu anderen Kreativen. Georgi Kobilarov ist den Schritt in die Selbstständigkeit freiwillig gegangen:

    "Ich hab bewusst Selbstständigkeit gewählt, da ich meinen noch lange gültigen Uniforschungsvertrag gekündigt habe – selber - und gesagt habe, ne, das ist es nicht. Ob es später schwieriger wird, weiß ich nicht. Es wird schon irgendwie klappen, nur der Weg, man muss sich durchbeißen. Zumal wir Produktentwicklung machen und in Vorleistung gehen, bevor was reinkommt."

    Ohne Frage hat die Freiheit der "Meconomy" ein Doppelgesicht. Denn da ist einerseits die Freiheit des selbstbestimmten Arbeitens. Doch andererseits ist man auch frei von allen Sicherheiten, die der Sozialstaat für einen bereitstellt. So mancher Soloselbstständige hangelt sich von Job zu Job. Und wenn einmal Auftragsflaute herrscht, gibt es keine Reserven, die zu überbrücken.
    Eichhorst: "Was wir auch beobachten, ist, dass einige der Selbstständigen nicht systematische Altersvorsorge betreiben und letztlich dann auch zu wenig Rücklagen bilden für das Alter. Obwohl da ja steuerliche Anreize gegeben sind, werden diese aber nicht wahrgenommen."

    Algerie: "Meine Rentenversicherung, die ich über den Arbeitgeber hatte, die habe ich erst mal auf Eis gelegt, möchte die natürlich schon wieder aufgreifen."

    Nicole Algerie, 30, war lange Zeit festangestellte Grafikerin. Derzeit ist sie arbeitslos und - Existenzgründerin:

    "Ist heute mein erster Tag hier und ich bin Grafikdesignerin und möchte mich jetzt aus der Arbeitslosigkeit selbstständig machen. Und möchte aber auch schon mal so ein bisschen unter Leute kommen, Kontakte knüpfen. Es ist für mich eine gute Form des Arbeitens, dass man sich projektweise zusammenschließt mit den Leuten, wo man meint, das passt für das Projekt."

    Projekt – das ist das magische Wort der Soloselbstständigen – auch im Beta-Haus. Denn wer hier arbeitet, rechnet in "Projekten", in Aufträgen. Für eine begrenzte Zeit, für eine bestimmte Summe Geld. Für Manchen eine spannende Herausforderung. Aber viele der kreativen Freiberufler geben durchaus zu, dass Existenzangst ihr ständiger Begleiter ist. Auch Markus Albers, Autor von "Meconomy":

    "Ich bin auch Vater, ich muss eine Familie ernähren, ich bin nicht einer von den jungen kreativen Hüpfern, die den ganzen Tag im Café sitzen und sagen, ich mach mal, was mir Spaß macht, das gar nicht. Es ist eine ganz fundamentale Unsicherheit, die da in das Leben Einzug hält. Und das macht einen manchmal ganz kirre, das geht mir auch so."

    Allerdings, meint Marcus Albers auch "wir haben keine Wahl. Es ist so, da können Sie mit jedem großen Unternehmen in Deutschland sprechen, die Frage, wird Arbeit zunehmend Projektarbeit? Na klar! Gibt es noch in Zukunft die lebenslange Festanstellung? Natürlich nicht mehr! Wie lange bleibt man bei einem Unternehmen? Immer kürzer!"

    Werner Eichhorst fordert, auf Dauer müssten die neuen Selbstständigen sozial besser abgesichert werden:

    "Wir haben ja derzeit das Problem, dass die selbstständige Tätigkeit in dem Bereich, über den wir gerade sprechen, nicht systematisch einbezogen ist in die Altersvorsorge und auch nicht in die Arbeitslosenversicherung. Letztlich denke ich, dass da die Notwendigkeit besteht, die unterschiedlichen Erwerbsformen in einem ähnlichen Umfang in die Sozialversicherungen einzubeziehen. Also die Unterscheidung zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit ein Stück weit überflüssig zu machen."

    Lässt sich also in den sogenannten "Coworking Spaces" ansatzweise die Zukunft der Arbeit besichtigen? Eine Zukunft, in der die Arbeit vielleicht bunter, aber eben auch prekärer wird? Ja, meint Hildegard Maria Nickel, Professorin für Arbeitssoziologie an der Humboldt-Universität in Berlin:

    "Ich gehe davon aus, dass das zunehmen wird, insbesondere bei denen, die aus den akademischen Bildungsgängen kommen. Die also nach dem Studium in der Regel prekäre Beschäftigung finden in Unternehmen, im Wissenschaftsbereich oder in der Kreativwirtschaft. Dann oft Soloselbstständige sind und sich tatsächlich auch selbst die Projekte organisieren müssen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten."

    Auch Ursula Vranken geht davon aus, dass die Zahl der Selbstständigen zunehmen wird. Die Arbeitswissenschaftlerin und Geschäftsführerin einer Managementberatungsfirma hat Einblick in die Personalpolitik vieler Unternehmen. Und sieht da die Tendenz, feste Arbeitsplätze auszulagern:

    "Wir haben in den letzten Jahren eine Welle von Outsourcing erlebt in den Unternehmen. Und diese Unternehmen haben heute häufig Freiberufler beschäftigt, die diese Dienstleistungen anbieten. Und von der Perspektive der Freiberufler ist es wiederum interessant zu sagen, wir sitzen nicht alle einzeln wo, sondern wir können dem Kunden auch eine komplette Palette der Dienstleistungen anbieten. Und dafür ist es gut, sich projektweise in solchen Räumlichkeiten zu treffen."

    In Räumlichkeiten wie den "Zeiträumen" in Köln-Braunsfeld. Einem Coworking Space mit stundenweise mietbaren Schreibtischen, ganzen Büros oder Konferenzräumen. Auch Ursula Vranken hat dort ihren Platz. Denn da die Unternehmerin vorwiegend bei ihren Kunden vor Ort arbeitet, ist "Coworken" für sie die ökonomischste Lösung. Ein jederzeit kündbares, gemietetes Büro, in dem eine Sekretärin sitzt, während sie selbst meist on tour ist:

    "Das heißt ich habe ein Büro, das ich manchmal zwei Wochen nicht besuche, dafür aber eine Mitarbeiterin hier sitzen habe, die Telefon und Ähnliches aufrechterhält. Ich selber mich aber nicht um so Dinge kümmern muss, wie, hat die Reinigungsfrau das Büro sauber gemacht oder sind Patronen im Drucker? Das heißt, die gesamte Infrastruktur wird für mich abgewickelt, und das ist ein Supervorteil, weil ich mit meinem Laptop komme und das aufgeklappt wird und ich kann ans Netz dran."

    Bei der Einrichtung der Kölner "Zeiträume" berücksichtigte Gründerin Jacqueline Boyce vor allem die Situation junger Mütter, die selbstständig arbeiten. Sie bietet deshalb neben Büroraum auch eine Kindertagesstätte für Ein- bis Dreijährige an. Der zweijährige Tobias wird gerade von seiner Mutter dort abgeliefert.

    Dann geht Tobias Mutter, eine Webdesignerin, eine Etage höher, sucht sich einen freien Schreibtisch und klappt ihr Laptop auf. Und wenn Tobias Sehnsucht nach seiner Mutter hat, kann sie in zwei Minuten bei ihrem Sohn sein. Jacqueline Boyce:

    "Also viele Frauen möchten heute beides, möchten Mutter sein, möchten im Beruf bleiben. Wir merken das an dem Anmeldungsbedarf bei uns in der Kindertagesstätte. Das heißt, wir müssen gucken, dass wir Konzepte finden, wo wir unsere unterschiedlichen Lebenswelten besser miteinander verzahnen."

    Wird also demnächst das Denken in Projekten geläufiger als in Rentenversicherungsjahren? Werden Festangestellte zunehmend durch Freiberufler ersetzt? Und zahlt man für einen Platz im Büro demnächst selbst? Noch sind es vor allem junge Menschen, die in solchen Arbeitsformen zu finden sind.

    Eichhorst: "Wir sind derzeit in der Situation, dass wir nicht absehen können, ob nicht langfristig diese Personen auch im Zuge der Familiengründung dann ein konventionelles Beschäftigungsverhältnis aufnehmen. Ich gehe davon aus, dass ein nennenswerter Anteil dieser Personen, die zwischen Ende 20 und Mitte 30 selbstständig tätig sind, mit 40 oder 45 eine abhängige Beschäftigung aufnehmen und dann versuchen, mehr Stabilität in ihr Leben zu bekommen."

    Hildegard Maria Nickel, Arbeitssoziologin in Berlin, ist sich da nicht so sicher. Denn die festen, stabilen Jobs, von denen Werner Eichhorst gerade sprach, sieht sie zunehmend schwinden:

    "Die sind Anfang 30, Mitte 30 und die sind in diesen prekären Beschäftigungsformen und sagen ja auch, dass sie nichts anderes suchen. Auch weil die Alternativen nicht sind, dass sich was anderes finden lässt. Und insofern, diese Art von Normalität neben der Normalarbeit wird sich durchsetzen."