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Rente
Zu wenig Geld für zu viele Wünsche

In den Koalitionsverhandlungen haben CDU und SPD ihre Pläne für die Rentenpolitik formuliert. Die Liste mit Vorschlägen ist lang. Längst nicht alles wird sich finanzieren lassen, wenn die Kosten nicht auf die kommende Generation abgewälzt werden sollen.

Von Stefan Maas | 21.11.2013
    "Bei der Rente ist uns wichtig, dass auch die junge Generation weiß, dass wir dafür sorgen wollen, dass sie eine sichere, auskömmliche Rente hat, aber mit einer ganz soliden Finanzierung auch. Das gehört sich für die Generationengerechtigkeit."
    Wann immer Ursula von der Leyen in den letzten Wochen vor Kameras und Mikrofone trat, er durfte nie fehlen. Der Hinweis auf die Generationengerechtigkeit. Damit ist die Bundesarbeitsministerin nicht allein. Mantraartig versprechen bei den Koalitionsverhandlungen alle: Wir denken auch an die Zukunft.
    "Also, jetzt hier im Willy-Brandt-Haus sitzend, muss ich sagen, kommt mir das Ganze schon extrem gegenwartsbezogen vor."
    Philipp Mißfelder, der Chef der Jungen Union, hat die große Verhandlungsrunde extra früher verlassen. Die tagt an diesem Dienstag in der SPD-Zentrale, um über die Ergebnisse zu reden, die die Arbeitsgruppen bereits vorgelegt haben. Die Raumsuche – ich kenne mich hier ja nicht aus, sagt der Christdemokrat – endet im Willy's, einem kleinen Café im Willy-Brandt-Haus. Der 34-Jährige bestellt einen Cappuccino.
    "Es wird viel über Ausgabensteigerungen gesprochen, über mehr Umverteilung. Egal, welches Thema aufgerufen wird. Irgendwie fällt jeder Seite ständig etwas Neues ein, wo man noch mehr Geld raushauen kann."
    Stichwort Rente: Die Union möchte Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, mehr Geld geben; die SPD setzt sich dafür ein, dass diejenigen, die 45 Jahre lang Beiträge einbezahlt haben, mit 63 wieder abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Beide Seiten wollen die Rentenleistungen unter anderem für Erwerbsunfähige erhöhen. Und kleine Renten sollen bis zu einer Höhe von 850 Euro brutto aufgestockt werden können. Die Rentenwunschliste ist lang. Mögliche Mehrkosten, je nach Rechenmodell: 20 Milliarden Euro und mehr.
    "Aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten gibt es keinen Grund, warum Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, weniger bekommen sollten."
    Der Renten-Beitragssatz könnte eigentlich sinken - wird es aber wohl nicht
    Sagt Johannes Geyer, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
    "Gleichzeitig fragt man sich aber, was jetzt aus ökonomischer Notwendigkeit dazu zwingt, diesen Schritt jetzt nachzuholen, wo man darüber redet, wie man die Rente überhaupt zukunftsfest macht. Ist diese Ausgabe dann notwendig? Können wir uns die dann leisten?"
    Denn allein die Mütterente wird rund 6,5 Milliarden Euro kosten. Pro Jahr. Die Mindestrente könnte, abhängig davon, wie sich der Bezieherkreis am Ende definiert, mit jährlich drei bis sieben Milliarden Euro zu Buche schlagen.
    "Was schwierig abzuschätzen ist, sind die Kosten von der Möglichkeit, mit 63 ohne Abschläge in Rente zu gehen. Weil man nicht weiß, wer das in Anspruch nimmt und wer nicht."
    Zusätzliche Leistungen sollten auf jeden Fall aus Steuermitteln bezahlt werden, meint der Ökonom - also von allen - und nicht nur von denen, die in die Rentenkasse einbezahlen. Ansonsten nämlich würden vor allem die jungen Beitragszahler noch weiter belastet. Zur Zeit ist die Rentenkasse gut gefüllt; so gut, dass der Beitragssatz Anfang 2014 eigentlich um 0,6 auf 18,3 Prozent sinken könnte. Könnte – aber wohl nicht wird – dafür ist die Wunschliste der Groß-Koalitionäre einfach zu lang. Wie bewertet Geyer die bisher geplanten Änderungen? Man dürfe das nicht nur schwarz-weiß betrachten, sagt er. Manche geplanten Maßnahmen kämen heutigen Rentner zugute, manche zukünftigen. Aber:
    "Was man wahrscheinlich sagen kann, ist, dass die meisten Maßnahmen, die jetzt besprochen werden, tendenziell die Kosten der Rentenversicherung erhöhen. Und bestimmte Reformen, die vor einigen Jahren vorgenommen wurden, ein Stück weit zurücknehmen und dadurch die Kosten für die sehr viel jüngeren Generationen absehbar höher werden, die die dann aufbringen müssen zur Finanzierung des Rentensystems."
    "Das gehört sich für die Generationengerechtigkeit."
    Heute geht etwa jeder achte eingenommene Steuereuro für Zinszahlungen drauf
    Stichwort Schulden. In Hochzeiten der Finanzkrise wurde eine Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, die für Bund und Länder gilt und besagt, wie und bis wann sie ihre Haushaltsdefizite senken müssen. CDU-Politiker Mißfelder warnt die potenziellen Koalitionspartner davor, die Schuldenbremse nun aufzuweichen.
    "Es klingt ungewöhnlich, aber es ist so, die Jüngeren wünschen sich, dass das älteste Kabinettsmitglied im Amt bleibt und eine möglichst starke Stellung hat, denn er ist der Garant dafür, dass für die Zukunft wir das Thema Verschuldungspolitik ernst nehmen."
    Er, das ist Wolfgang Schäuble. Der Finanzminister. Und Verhandlungsführer für die CDU in der Arbeitsgruppe Finanzen. Die hat gestern in ihrer letzten Sitzung festgelegt, was heute die Kanzlerin noch einmal bestätigte: Ab 2015 soll der Bund keine neuen Schulden mehr aufnehmen. Gleichzeitig soll der Schuldenberg schrumpfen. Von jetzt rund 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf unter 70 Prozent im Jahr 2017.
    Die Absicht, Schulden abzubauen und keine neuen machen zu wollen ist gut für alle Generationen, denn heute geht etwa jeder achte eingenommene Steuereuro für Zinszahlungen drauf. Allerdings haben CDU, CSU und SPD viele und teure Wünsche, die sich – über die Rentenpläne hinaus – Stand heute - auf Mehrkosten von 50 Milliarden Euro summieren. Doch die Prognose der Steuerschätzer spricht lediglich von einem 15-Milliarden-Euro-Plus bis 2017. Da die von der SPD gewünschten Steuererhöhungen wohl vom Tisch sind, ist nun der Rotstift gefragt. Die Wunschliste der Großkoalitionäre soll auf unter zehn Milliarden Euro zusammengestrichen werden. Die Mütterrente würde davon zwei Drittel ausmachen. Das Kürzen werden die drei Parteivorsitzenden deshalb selbst in die Hand nehmen. In der kommenden Woche. In kleiner Runde. Dann, erst dann werden die Jungen wissen, wie teuer die dritte Große Koalition sie zu stehen kommt – auch noch lange nach ihrem Ende.