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Rentenpaket
"In der Summe eine Rolle rückwärts"

Am Freitag stimmt der Bundestag über das Rentenpaket ab. Die Große Koalition erwartet eine deutliche Mehrheit. Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup sagte im Deutschlandfunk, die Reform enthalte durchaus sinnvolle Maßnahmen, sei aber nicht gerecht. Falsch sei, die Leistungen nicht von Anfang an aus Steuermitteln zu finanzieren.

Bert Rürup im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.05.2014
    Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup sitzt im Hörsaal des Auditorium Maximum in der Universität Leipzig.
    Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup. (dpa / Peter Endig)
    Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup kritisierte die abschlagsfreie Rente für Arbeitnehmer, die 45 Jahre lang eingezahlt haben, als nicht gerecht. "In den Genuss dieser Regelung kommen nur die, die 1952 und vorher geboren sind", sagte Rürup im Deutschlandfunk. Der Jahrgang 1964 gehe wieder mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente. Es sei jedoch fraglich, ob die Lebensleistung der Jahrgänge um 1952 bei gleichen Beitragsjahren so viel höher sei.
    Zur Mütterrente sagte Rürup, die Regelung habe etwas für sich. Das entscheidende Argument sei jedoch, dass Kindererziehungsleistungen bislang immer als gesamtgesellschaftliche Leistungen aus Steuergeldern bezahlt worden seien. Das sei gegenwärtig nicht der Fall. Die zusätzlichen Leistungen würden aus Beitragsmitteln bezahlt - der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungspflichtigen. Der eigentliche Fehler der Reform sei, dass ein Steuerzuschuss erst etwa ab 2019 geplant sei.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk-Oliver Heckmann: Es kann wohl kein Zweifel bestehen: Die Große Koalition wird am Freitag bei der Abstimmung über das Rentenpaket eine deutliche Mehrheit erhalten. So wird die Rente mit 63 für Personen, die 45 Jahre lang eingezahlt haben, Gesetz werden. Auch die Mütter von Kindern, die vor dem Jahr 1992 geboren wurden, werden bessergestellt.
    Am Telefon ist jetzt Professor Bert Rürup. Er hat als ausgewiesener Rentenexperte jahrelang die Bundesregierung beraten, war Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, anschließend Chefökonom des Finanzdienstleisters AWD. Jetzt ist er Präsident des Handelsblatt Research Institutes und Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Rürup.
    Bert Rürup: Guten Morgen, Herr Heckmann! War ja mächtig lang!
    Heckmann: Das sind einige Funktionen, aber das zur Einordnung für unsere Hörer. - Herr Rürup, der Präsident der Arbeitgebervereinigung, Ingo Kramer, der spricht von einem schwerwiegenden und teuren Fehler. So kräftig sei noch nie aus einer Sozialkasse rausgenommen worden. Geben Sie ihm da Recht?
    Rürup: Na ja, in absoluten Euro-Beträgen dürfte Herr Kramer Recht haben, diese Leistungsverbesserungen kosten nämlich zehn Milliarden pro Jahr. Das sind bis 2030 160 Milliarden. Allerdings, wenn man das mal mit den in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren ausgeschütteten Füllhörnern wie der abschlagsfreien Rente mit 63 oder die '92 eingeführten drei Entgeltpunkte pro Kind, wenn man die Volumina miteinander vergleicht, wird man das nicht mehr sagen können. Das macht allerdings in der Tat die Rente mit 63 und die Mütterrente nicht besser.
    In diesem Paket sind durchaus sinnvolle Maßnahmen. Da kommen wir vielleicht gleich drauf zu sprechen. Aber diese Rente mit 63 und die Mütterrente macht in der Summe diese Rentenreform doch zu einer Art Rolle rückwärts.
    Rürup, Hans-Adalbert "Bert"

    Geboren 1943 in Essen, Nordrhein-Westfalen. Der SPD-Politiker studierte in Köln und Hamburg. Von 1976 bis 2009 leitete er das Fachgebiet Wirtschafts- und Finanzpolitik an der TU Darmstadt. Rürup war Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, anschließend Chefökonom des Finanzdienstleisters AWD. Seit April 2010 ist er Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Als Rentenexperte war er jahrelang Berater der Bundesregierung. Bekannt wurde sein Name durch die umgangssprachlich als Rürup-Rente bezeichnete Basisrente, die 2005 als steuerlich begünstigte Form der privaten Altersvorsorge eingeführt wurde. Seit 2013 ist er Präsident des Handelsblatt Research Institutes.
    Heckmann: Dann nehmen wir uns doch erst mal die Rente mit 63 vor. Es heißt ja, es gehe um Gerechtigkeit. Leute, die 45 Jahre lang eingezahlt haben und jetzt nicht mehr können, die kann man nicht einfach mit Abschlägen bestrafen. Das sagt die SPD und da hat sie doch Recht, oder?
    Rürup: Na ja, wir haben ja schon so eine Ausnahmeregelung. Bei der Einführung der Rente mit 67, bei der Verabschiedung 2007, haben wir ja so eine 45er-Regel schon eingeführt. Die galt aber bis 65. Nun geht man auf 63 runter, aber Gerechtigkeit ist eine schwierige Kategorie. Aber wenn man Gerechtigkeit definiert als Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte, dann wird man diese Regel, die jetzt beschlossen wird, definitiv nicht als gerecht bezeichnen müssen. In den Genuss dieser Regelung kommen nämlich ja nur die, die 1952 und vorher geboren sind, und danach rollt das ja wieder hoch. Und der Jahrgang 1964 geht wieder mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente. Und ob die Lebensleistung eines, sagen wir mal, 1952 geborenen im Vergleich zu der eines 1963 geborenen so viel höher ist bei gleichen Beitragsjahren, das weiß ich nicht.
    Bezahlt wird im Wesentlichen aus Beitragsmitteln
    Heckmann: Der hat aber immerhin länger Zeit, sich darauf einzustellen.
    Rürup: Er hatte ja schon Zeit, sich darauf einzustellen. Das hatte man ja schon. Das heißt, diese beiden Maßnahmen - die Union wollte ja die Rente mit 63 verhindern, genau wie die SPD die Mütterrente verhindern wollte. Jetzt haben wir aber stattliche Überschüsse, Beitragsreserven, die allerdings sehr flüchtig sind, nämlich nicht umsonst rechnet Frau Nahles nur bis 2030. Da macht man beides. Das heißt, man setzt keine Prioritäten.
    Heckmann: Kommen wir mal zu dem anderen Punkt, Herr Rürup. Die Union, Sie haben es gerade schon erwähnt, die sagt ja, es muss endlich die Ungerechtigkeit beseitigt und zumindest abgebaut werden, dass Mütter, deren Kinder vor '92 geboren wurden, schlechtergestellt bleiben als die anderen, und auch das hat doch was für sich.
    Rürup: Das hat in der Tat was für sich. Aber man muss natürlich wissen: Als man die drei Entgeltpunkte eingeführt hat, 1992, sind bestimmte Maßnahmen entfallen. Und außerdem: Im Sozialrecht hat man immer Stichtagsregeln. Mit dem gleichen Argument könnte man jetzt natürlich auch verlangen, dass eigentlich auch die vor 2007 geborenen Kinder, dass dann deren Eltern auch in den Genuss des Elterngeldes kommen können. Das ist so eine komische Debatte. Allerdings das entscheidende Argument ist - man kann das ja so einführen: Bislang wurden Kindererziehungsleistungen, wenn sie von der gesetzlichen Rentenversicherung honoriert worden sind, immer als gesamtgesellschaftliche Leistungen aus Steuermitteln finanziert, und das ist gegenwärtig nicht der Fall. Diese werden im Wesentlichen aus Beitragsmitteln bezahlt, also aus der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungspflichtigen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung. Erst so ab 2019 gibt es einen kleinen, bis auf zwei Milliarden aufwachsenden Steuerzuschuss. Das ist der eigentliche Fehler dieser Mütterrente.
    Heckmann: Wobei die Große Koalition darauf verweist, dass natürlich auch Milliardensummen in die Rentenkassen gespült werden und der Steueranteil steigt, auch auf Betreiben der SPD.
    Rürup: Der Steueranteil steigt. Aber in der Tat: Gegenwärtig die drei Entgeltpunkte, dafür werden ja Beiträge gezahlt vom Bund, und das ist gegenwärtig nicht der Fall. Hier werden diese zusätzlichen Leistungen aus Beitragsmitteln bezahlt und das ist ein substanzieller Unterschied, und den kann man auch nicht dadurch heilen, dass es schon bereits einen beachtlichen Steuerzuschuss gibt. Es gibt ja auch beachtliche andere Fremdleistungen.
    Entlassungsverhalten der Arbeitgeber hat sich signifikant verändert
    Heckmann: Herr Rürup, kommen wir noch mal zurück auf die Rente mit 63. Union und SPD, beide Seiten hatten ja im Prinzip die Bedenken, dass eine Folge sein könnte, dass jetzt in Zukunft massenhaft Arbeitnehmer mit 61 Jahren schon freigesetzt werden, die dann zwei Jahre lang Arbeitslosengeld beziehen, und dem will man jetzt begegnen, indem man die Arbeitslosigkeit zwei Jahre vor dem Vorruhestand, vor dem Alter mit 63, nicht berücksichtigt. Ist damit die Gefahr gebannt?
    Rürup: Das ist der rollierende Stichtag. Die Gefahr hat ja dann immer ein Elternpaar, Mann und Frau. Das heißt, wenn man eine Frühverrentungswelle vor dem 63. Lebensjahr mit Hinweis auf die Arbeitslosigkeit wirklich ernst nimmt, muss das ja heißen, dass die Arbeitgeber sich von ihren Beschäftigten trennen wollen, und das sehe ich eigentlich nicht mehr so gravierend. Nämlich auf der einen Seite ruft man nach Fachkräften, weil man angeblich zu wenig hat, und auf der anderen Seite muss man natürlich sehen: Wer so lange bei einem Betrieb gearbeitet hat, der hat doch eine hohe Qualifikation, von dem sich Arbeitgeber kaum trennen. Und man sieht ja auch, dass die Arbeitgeber ältere Arbeitskräfte fit halten werden. Die ganzen Bemühungen um einen Betrieb, dieses Gesundheitsmanagement und und und, deuten darauf hin. Ich glaube, das Entlassungsverhalten der Arbeitgeber hat sich signifikant in den letzten Jahren verändert im Vergleich zu dem Verhalten, als man noch auf dem Arbeitsmarkt schnell und einfach, wenn man entlassen hat, neue Arbeitskräfte bekommt. Das heißt, die Arbeitgeber sind dabei - und das ist richtig so -, sich darauf einzustellen, dass die Belegschaften älter werden und dass man Alte nicht mehr möglichst günstig abschiebt.
    Heckmann: Das mag sein, Herr Rürup, aber es könnte sich ein anderes Problem ergeben, nämlich vor ein paar Wochen noch hieß es, auch vor allem vonseiten der SPD, diese Regelung, die zwei Jahre vor dem Alter von 63 Arbeitslosigkeit eben nicht anzurechnen, das sei nicht verfassungsfest, weil Arbeitnehmer, die dann mit 61 schuldlos entlassen werden, die dürften sagen, das ist eine ungeheure Ungleichbehandlung gegenüber den anderen. Wie groß ist die Gefahr, dass die ganze Geschichte in Karlsruhe landet?
    Rürup: Ich bin kein Jurist, aber das kann durchaus der Fall sein. Aber das macht diese Regelung nicht besser. Im Prinzip ist diese ganze Regelung schon fragwürdig, nämlich wir hatten ja eine 65er-Regel schon und da waren explizit ausgenommen Zeiten der Arbeitslosigkeit. Und jetzt bringt man hier die Zeiten der Arbeitslosigkeit rein und erkauft sich damit die juristischen Probleme. Hätte man die bereits bestehende Regel verlängert, wären diese Probleme nicht da gewesen, aber hier hat man jetzt die Zeiten der Arbeitslosigkeit mit reingenommen, damit auch - das wird der wahrscheinliche Grund sein - Arbeitnehmer in den neuen Ländern, die ja viel intensiver mit Arbeitslosigkeit konfrontiert worden sind und werden als in den alten Ländern, damit die auch in den Genuss dieser Maßnahmen kommen. Das ist der Hintergedanke dieser Maßnahme.
    Überschüsse werden bald verfrühstückt sein
    Heckmann: Kurze Frage zum Abschluss. Der Wirtschaftsflügel der Union, der hat ja teils Zustimmung signalisiert, auch mit dem Hinweis auf die sogenannte Flexirente. Eine Arbeitsgruppe soll eingerichtet werden. Ist das nicht in der Tat der richtige Ansatz?
    Rürup: Das ist absolut der richtige Ansatz. Wir müssen den Ausstieg aus dem Arbeitsleben flexibilisieren und auch ein Arbeiten über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus muss sich lohnen. Das ist völlig richtig. Das und die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente und die Dynamisierung des Reha-Deckels sind eindeutig die positiven Maßnahmen. Aber noch einmal: Wir stehen vor einem weiteren Alterungsschub. Wir befinden uns gegenwärtig in einer demografischen Pause. Das heißt, weil derzeit die geburtenschwachen Nachkriegsjahrgänge in Rente gehen. Und das bedeutet, dass von der Ausgabenseite kein Druck auf die Sozialkassen kommt, und in Kombination mit der erfreulichen Entwicklung am Arbeitsmarkt hat man jetzt große Beitragsüberschüsse in allen Sozialkassen. Die sind aber relativ bald verfrühstückt und dann kommt der eigentliche Alterungsschub, wenn die Baby-Boomer in Rente gehen, und den hat Frau Nahles in ihren Kalkulationen voll ausgeblendet.
    Heckmann: Der ehemalige Chef der Wirtschaftsweisen, Professor Bert Rürup, jetzt Präsident des Handelsblatt Research Institutes. Herr Rürup, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Rürup: Bitte schön, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.