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Rentner an die Rechner

Pensionäre haben beim neugegründeten Tochterunternehmen der Otto Group angeheuert. Damit will der Hamburger Konzern auf den demografischen Wandel reagieren.

Von Verena Herb | 06.08.2012
    Seit sechs Jahren ist der 69-jährige Jochen Michalczyk in Rente. In seiner aktiven Arbeitszeit war er Computerexperte beim Otto-Konzern – 40 Jahre lang:

    "Mein Job was das Controlling. Das heißt, ich habe also den gesamten Ablauf kontrolliert. Vom Auftragseingang bis zum Paketausstoß. Anhand von EDV-Programmen, die ich selber geschrieben habe."

    Vor einiger Zeit klingelte bei ihm das Telefon. Am anderen Ende: Sein alter Arbeitgeber. Ob er nicht zurückkommen wolle in die Firma, als "Berater".

    "Weil wir die alte EDV-Anlage haben, und die soll umgestellt werden auf ein neues System. Nun laufen auch noch sehr viele alte Programme auf der alten Anlage. Und wir Alten sind jetzt aufgefordert, das ein bisschen für die jungen Leute zu dokumentieren. Und denen auch Ratschläge zu geben oder zu sagen: Ok, das wird gar nicht mehr benötigt."

    Das Angebot hat Jochen Michalczyk gerne angenommen. Es gebe ihm …

    " … innere Genugtuung. Ich freue mich darüber. Und sag: Ok, Mensch – ich werde noch anerkannt. Und ich sag mir: Wenn mich die Firma anruft, muss ich ja auch gute Arbeit geleistet haben. Sonst würde man mich nicht anrufen."

    Der Reinbeker ist einer der ersten Pensionäre, die beim neugegründeten Tochterunternehmen der Otto Group – der Senior Expert Consultancy – angeheuert haben. Mit dieser Firma reagiert der Konzern auf den demografischen Wandel, wird Sandra Widmaier, die Personaldirektorin bei Otto – nicht müde zu betonen:

    "Ich habe als Personalchefin so das Gefühl, dass wir jetzt in die Phase kommen, wo man selbigen auch spürt. In dem Sinne, dass es zunehmend schwieriger wird, auch Fach- und Führungskräfte zu rekrutieren. Das ist spürbar momentan in einzelnen Fachgebieten, wie zum Beispiel im Bereich der IT. So dass wir sagen: Ehemalige Mitarbeiter, die sich an unseren Systemen auskennen, die können uns kurzfristig viel, viel besser helfen."

    50 bis 60 Rentner will der Konzern innerhalb eines Jahres einsetzen: fast 1000 Kräfte zwischen 65 und 75 Jahren stünden dafür theoretisch zur Verfügung. Die Reaktivierung ehemaliger Mitarbeiter birgt für die Personalerin Widmaier nur Vorteile:

    "Ein ehemaliger Mitarbeiter, sag ich jetzt mal, ist innerhalb von einem Tag voll arbeitsfähig. Jeden externen Mitarbeiter den sie einstellen, müssen Sie ja erst mal Zeit gewähren, sich in die Systeme einzuarbeiten. Die Kollegen kennenzulernen. Das Arbeitsgebiet kennenzulernen. Das heißt wenn Sie kurzfristig – und darüber sprechen wir ja nur – wenn sie kurzfristigen Einsatz brauchen, ist das aus unserer Sicht eine ideale Lösungsmöglichkeit."

    Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht das kritisch. Uwe Grund, Vorsitzender des DGB Hamburg, warnt vor Beschäftigungsmaßnahmen dieser Art:

    "Wir haben Sorgen. Sorgen deshalb, weil wir befürchten, nun wird es losgehen, dass man sagt, den Facharbeitermangel, den können wir auch dadurch regeln, dass wir alle Rentner wieder in Arbeit schicken. Das klingt jetzt polemisch. Aber ich will deutlich sagen: So hatten wir es in der Leiharbeit."

    Gegen gute Einzellösungen sei zwar nichts einzuwenden, so Uwe Grund

    "Gleichzeitig muss man wissen, Otto baut Personal ab. Und der Widerspruch ist doch offenkundig."

    Immer wieder werden auch Stimmen laut die sagen: Die Rentner nehmen den Jungen die Arbeit weg. Dem widerspricht Pensionär Michalczyk vehement:

    "Dieser Job, den ich jetzt mache, der ist wirklich nur für diesen Zeitraum geschaffen. Sie werden nirgendwo jemanden finden, der 40 Jahre Otto kennt. Der kann noch so viel studiert haben, das geht einfach nicht. So: Und wenn mein Job erledigt ist, dann ist auch dieser Job erledigt. Also wenn man jetzt jemanden einstellen würde, anlernen würde – dem müsste man dann sagen nach einem halben Jahr: Ok, ist zu Ende, kannste nach Hause gehen. Also ich nehme hier keinen Arbeitsplatz weg."

    Momentan ist Michalczyk zwei Tage pro Woche in der Hamburger Zentrale. Er hat einen Vertrag über 50 Tage, befristet bis zum 30.6. nächstes Jahr. Sein Verdienst orientiert sich an dem Gehalt, das er zuletzt im Konzern verdiente.

    "Ich bin bei der Otto Group angestellt. Und der Verdienst ist also 50 Tage im Jahr. Ich muss jeden Tag 8 Stunden arbeiten. Und für die 8 Stunden kriege ich bezahlt. Genommen wird mein Gehalt, was ich vor 6 Jahren hier hatte, was ich dort gemacht habe. Und das wird dann hochgerechnet: Was würde ich jetzt verdienen."

    Wie hoch sein Tagessatz ist, will der 69-Jährige nicht verraten. Außerdem mache er den Job in erster Linie, weil es ihm Spaß bringt mit den jungen Kollegen. Auch, wenn sich so einiges im Arbeitsalltag geändert hat im Vergleich zu früher. Jochen Michalczyk meint:

    "Dass die Zusammenarbeit damals persönlicher war. Wenn man ein Problem hatte, ist man zum Schreibtisch gegangen. Hat mit den Kollegen gesprochen, die da waren. Heutzutage wird alles per Mail gemacht oder es werden Arbeitskreise gebildet. Und dann musste dahin und dahin gehen. Das ist meiner Meinung nach ein bisschen...schlecht."