Donnerstag, 18. April 2024

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Report über die "Generation Global"
Die neuen Altruisten

Das Zukunftsinstitut hat weltweit eine junge Gruppe von Kosmopoliten ausgemacht, die globale Probleme vor die eigenen stellt. "Wir beobachten einen schleichenden Wertewandel", sagte Analystin Lena Papasabbas im Dlf. Das nationalstaatliche System und das Links-Rechts-Denken sei den Jungen fremd.

Lena Papasabbas im Corsogespräch mit Tanja Runow | 18.07.2017
    Lena Papasabbas vom Frankfurter Zukunftsinstitut (Bild: Zukunftsinstitut / Martin Joppen )
    Lena Papasabbas hat Hoffnung für die Zukunft (Zukunftsinstitut / Martin Joppen)
    (Collage)
    Angela Merkel: Wir haben Lust auf Zukunft.
    Martin Schulz: Es ist nichts weniger als unsere Pflicht und Verantwortung, endlich die Zukunft anzupacken.
    Angela Merkel: Bislang haben wir weder in der Energie-, noch in der Umweltpolitik dauerhaft tragfähige, globale Antworten gefunden.
    Martin Schulz: Die Zukunft eines modernen Deutschlands.
    Angela Merkel: Wir wollen einen zukunftsfesten Umgang – auch mit den weltweiten natürlich Ressourcen weiter entwickeln.
    Martin Schulz: Endlich die Zukunft anpacken!
    Angela Merkel: So ein Regierungsprogramm aufzuschreiben ist ja interessant – hier können Sie einfach noch mal ein bisschen träumen!
    Martin Schulz: Deutschland kann mehr! (Collage Ende)
    Tanja Runow: Deutschland kann mehr – so klingt Gestaltungswillen in der aktuellen Politik. Möglicherweise muss da noch mal eine neue Generation ran, um tatsächlich eine Wende einzuleiten, in puncto Klimapolitik zum Beispiel. Und die steht auch tatsächlich schon in den Startlöchern. Jedenfalls, wenn man einem aktuellen Report des Frankfurter Zukunftsinstituts glauben darf. Der Trend- und Zukunfts-Think-Tank um Matthias Horx hat gestern neue Ergebnisse vorgestellt. "Generation Global" heißt der Report, und die Rede ist da von einer neuen Generation von Weltbürgern mit beneidenswert altruistischen Werten, die gerade überall auf der Welt heranwachse. Lena Papasabbas vom Zukunftsinstitut ist eine der Autorinnen des Reports – guten Tag.
    Lena Papasabbas: Hallo, guten Tag.
    "Erlebnisse werden wichtiger, als Besitz"
    Runow: "Die heranwachsende Generation Global", schreiben Sie, "nimmt den Planeten als ihr Zuhause ernst und versteht globale Belange – wie den Klimaschutz und Umweltverschmutzung – als ihre eigenen". Endlich mal jemand, habe ich beim lesen gedacht. Worauf stützen Sie denn Ihre Erkenntnisse?
    Papasabbas: Man kann das an ganz verschiedenen Punkten sehen, dass da eine neue Generation heranwächst, die irgendwie eine neue Haltung hat. Ein klassisches Beispiel – worüber wir eigentlich auch auf dieses Thema gekommen sind – ist die Veränderung von Statussymbolen. Also wir können beobachten, dass ehemals als erstrebenswert angesehene Statussymbole, wie Autos zum Beispiel oder teure Uhren oder Titel oder Klamotten mit einer bestimmten Marke drauf, dass die irgendwie Marktanteile verlieren, dass die nicht mehr als so was Besonderes, als so was Erstrebenswertes angesehen werden von jungen Leuten. Und dann kann man sehen, dass zum Beispiel Erlebnisse und Erfahrungen sehr viel wichtiger werden, als jetzt Besitz oder Eigentum. Das sieht man zum Beispiel auf Social Networks wie Facebook sehr gut: Mit was da Leuten sich profilieren, sind mehr Erlebnisse und Erfahrungen als irgendwelche Dinge, die man besitzt.
    "Das Fahrrad ersetzt das Auto"
    Runow: Man könnte aber auch den Eindruck haben, die werden einfach durch neue Statussymbole ersetzt. Also, das Designer-Kastenfahrrad statt dem SUV, den ich übrigens überall noch sehe auf den Straßen.
    Papasabbas: Ja, das stimmt. Und das ist auch so, dass man sagen kann, das Fahrrad zum Beispiel ersetzt teilweise das Statussymbol Auto. Aber eben auch, weil es nachhaltiger ist. Und das ist so interessant: Dass dieses materielle Ding, was ja das Fahrrad immer noch ist, eigentlich aber durch einen nicht-materiellen Wert so wichtig wird. Es macht die Stadt zu einem lebenswerteren Raum, es ist nicht so laut, es riecht nicht schlecht, es ist ungefährlicher – und aufgrund dieser immateriellen Werte wird das als was Tolles erachtet, als was Erstrebenswertes, was dem Auto vorzuziehen ist.
    Die Welt steht nicht vor dem Untergang
    Runow: Die Gruppe, die Sie untersucht haben, die ist relativ groß. Das sind junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren – auf der ganzen Welt. Und Sie sagen aber selbst: Das sind erst mal nur Nischen, in denen Sie forschen. Wie groß ist denn dieser Anteil, kann man das sagen, an der gesamten Generation?
    Papasabbas: Das kommt sehr darauf an, wie man das definiert. Also wir gehen zunächst mal eben von dieser Mikro-Ebene aus, diesen Beobachtungen. Das ist ja sehr soft, zu sagen, da ist irgendwie eine neue Haltung und die Leute ticken anders. Das ist ja erst mal sehr schwer an Zahlen festzumachen. Dann gibt es allerdings auch die Zahlenseite. Das machen wir nicht selber als Zukunftsinstitut, sondern die Zahlen erheben andere. Und wenn wir uns das anschauen, dann ergibt sich ein Bild, was eigentlich sehr, sehr stark dem widerspricht, was wir täglich in den Medien sehen. Nämlich, dass die Welt eigentlich kurz vor dem Untergang ist und sowieso eigentlich nur noch Egozentriker rumlaufen, die die Umwelt zerstören und andere ausbeuten und so weiter. Wenn wir auf die Zahlen schauen, sehen wir was ganz anderes: Da können wir sehen, dass weltweit die Armut zurückgeht. Wir können sehen, dass Hunger zurückgeht. Wir sehen, dass Krieg und Gewalt in Europa zurückgeht, dass Demokratie auf dem Vormarsch ist, dass immer mehr Menschen lesen und schreiben können.
    "Es ist noch viel zu tun"
    Runow: Also, eigentlich könnten wir uns schon zurücklehnen.
    Papasabbas: Das würde ich so nicht sagen – es ist auf jeden Fall noch viel zu tun! Aber interessant an diesen Entwicklungen ist, dass überall auf der Welt sich eine globale Mittelschicht entwickelt. Und dass diese Menschen, die jetzt in diese Mittelschicht schon hineingeboren werden – erstmals ist das eine Generation von Leuten, die sich keine Gedanken machen müssen darüber, was sie am nächsten Tag essen können, wie sie körperlich unversehrt bleiben können.
    Runow: Aber vielleicht schon darüber, ob sie im Alter auf einmal arm sind, weil sie keine Rente haben oder so, in prekären Beschäftigungsverhältnissen.
    Papasabbas: Ja, sicherlich. Dennoch ist dieser Luxus, diese Freiheit von existenziellen Ängsten und Nöten, das ist eine Grundbedingung für diese neue Haltung.
    "Das System ist für junge Leute befremdlich"
    Runow: Nun sagen wir, es gibt diese neue Generation Global, die was verändern will in puncto Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Umgang miteinander. Und die trifft jetzt auf eine Generation Merkel oder ein ähnliches nationalstaatlich orientiertes Pendant, das eher so auf den Status Quo setzt. Hat da der Wertewandel eine Chance?
    Papasabbas: Ja, das ist ja… von außen betrachtet wirkt das ja immer so, als würde sich da gar nichts tun unter den jungen Leuten. Wenn man auf die Zahlen guckt, dann ist sowohl Brexit, als auch Trump, als auch AfD, das sind alles Phänomene der älteren Generation. Also die jungen Leute haben da einfach teilweise sich total rausgehalten, sind nicht wählen gegangen.
    Runow: Ja warum?
    Papasabbas: Ja, warum ist das so? Das liegt vor allen Dingen daran, dass dieses System, dieses nationalstaatliche und dies nach Rechts und Links geordnete, diese politische Landschaft, dass das für diese junge Generation Global total befremdlich ist. Denn in einer globalisierten Welt ist dieses Rechts-Links, das ist sehr, sehr begrenzt. Damit kommt man nicht besonders weit. Das bedeutet aber nicht, dass es den Menschen egal ist. In Wirklichkeit werden, spätestens seit der Flüchtlingskrise in Deutschland, fast täglich in Europa neue Initiativen gegründet, die sich engagieren in alle möglichen Bereiche – aber eben nicht innerhalb dieser Parteienlandschaft.
    "Kleine, schleichende Prozesse"
    Runow: Sie prophezeien eigentlich, dass es sich parallel weiterentwickeln wird. Parallel zu diesem politischen System wird es diese Initiativen geben – und die können dann auch was verändern.
    Papasabbas: Genau. Diese Veränderungen sind eben keine besonders umwälzenden, sondern das sind eher kleine, schleichende Prozesse. Ich denke, es wird nicht so sein, dass das eine das andere ersetzt, sondern es wird beides nebeneinander weiterexistieren, noch eine ganze Weile. Es wird Menschen geben, die eher post-kapitalistisch denken, die eher nicht-materialistisch leben wollen. Und gleichzeitig gibt es natürlich immer noch die, die irgendwie einen fetten SUV fahren wollen und den und den Titel und dieses Gehalt auf dem Konto haben.
    Runow: Also all unsere Hoffnung liegt auf der Generation Global und den schleichenden Veränderungen, die sie hoffentlich mit sich bringen wird. Lena Papasabbas war das, vom Frankfurter Zukunftsinstitut. Dessen neueste Zukunftsvision, der "Generation Global Report", ist gestern erschienen und war Thema unseres Gesprächs – vielen Dank!
    Papasabbas: Ja, gerne! Freut mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.