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Reportage
Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben

LRS, die Lese-Rechtschreib-Störung, belastet Schulkinder. In der Kinder- und Jugendpsychotherapie soll ihnen Erfolgserlebnisse vermittelt werdene.

Von Martin Winkelheide | 08.05.2018
    Jenn Ireland / The Californian.Second grader Abby Hobbs, center, flips through her brand new copy of Nate the Great , by author Marjorie Weinman Sharmat, while sitting with her classmates in the cafeteria of Wingland Elementary School Friday morning. Around 130 copies of the book were handed out to the school s second grade students by the North Bakersfield Rotary, in an effort to increase interest in reading at home and to improve reading skills. _
    Eine Schwäche beim Lesen und Schreiben kann für Kinder sehr belastend sein. (imago / Zuma Press)
    - Georgy: "Ich bin Georgy und bin zehn Jahre alt."
    - Thorsten Sukale: "Ich bin Thorsten Sukale und Kinder- und Jugend-Psychotherapeut. Georgy war heute das erste Mal seit langer Zeit wieder in ihrer eigenen Schule."
    Wie war es denn?
    - Georgy: "Gut. Es war auch ein schönes Gefühl, dass ich wieder meine Freundinnen sehe."
    - Thorsten Sukale: "Welche Fächer hattest Du denn heute?"
    - Georgy: "Ich hatte Mathe, Deutsch."
    - Thorsten Sukale: "Jetzt würde mich interessieren, wie war es jetzt gerade in Mathe?"
    - Georgy: "Alles war gut."
    - Patrizia: "Mein Name ist Patrizia. Ich bin die Mama von der Georgy. Die Konzentration an sich, ob jetzt in der Schule oder zuhause, war gleich Null. Da ging gar nichts. Sie hat sich auch geweigert, im Unterricht mitzumachen. Sie wollte zuhause nie die Hausaufgaben machen. Daran saßen wir täglich drei Stunden oder auch länger, bis sie überhaupt etwas gemacht hat. Und deswegen haben wir gesagt: Jetzt schauen wir mal, dass wir zu einem Kinderpsychologen kommen. Für mich stehen die Hausaufgaben einfach an erster Stelle. Und wenn sie dem nicht nachkommt, darf sie nichts anderes tun."
    - Thorsten Sukale: "Die Hausaufgaben waren eher ein Kampf. Es gab dann auch verschiedene Konflikte. Haben sich diese Konflikte dann auch auf andere Bereiche, auf andere häusliche Situationen übertragen?"
    - Patrizia: "Auf alles. Ob es jetzt hieß: Mach dich bettfertig. Oder: Räum Mal dein Zimmer auf. Allein schon: Mach dein Bett. Es hat sich auf alles bezogen. Doch, wir hatten jeden Tag Reibereien miteinander. Wir haben viel Zeit damit verbracht, zu diskutieren, anstatt zu genießen."
    - Georgy: "Ich kenne die alle noch nicht so lange, in meiner Klasse habe ich gerne vorgelesen."
    - Thorsten Sukale: "Dann war es ja so, bevor du hier hergekommen bist, gerade in den großen Pausen, da gab es ja immer wieder Streitereien oder Konflikte mit den älteren Jungs."
    - Georgy: "Ja, das stimmt."
    - Thorsten Sukale: "Da habt Ihr Euch manchmal ja so richtig gekloppt, oder?"
    - Georgy: "Ja. Die haben mich auch geschlagen und so gekickt und genervt. Manchmal bin ich zu einem Lehrer gegangen, und manchmal habe ich mich auch gewehrt, wenn die mich geschlagen haben. Dann habe ich sie zurückgeschlagen. Es war schon öfter so, dass keine Lehrer da waren."
    - Thorsten Sukale: "Die Jungs hast du heute aber auch wieder gesehen? Die waren heute auch in der Schule in der großen Pause?"
    - Georgy: "Ja, aber die sind mir gleich aus dem Weg gegangen."
    - Thorsten Sukale: "Die haben sich dann vor dir in Acht genommen?"
    - Georgy: "Die haben sich gleich umgedreht und sind weggelaufen. Und ich auch."
    - Thorsten Sukale: "Das war ja auch das, was wir in der Therapie besprochen haben. Was sind die Möglichkeiten? Was kann man tun, wenn jemand nervt oder wenn jemand auf Dich losgeht. Was Du dann selber tun kannst."
    - Georgy: "Mich haben sie schon am meisten geärgert. Und die haben auch oft Erstklässler geärgert, die sich gar nicht richtig wehren können, und haben sie auch geschlagen. Und dann bin ich oft dahin gegangen und hab gesagt: Bitte lasst die in Ruhe."
    - Thorsten Sukale: "Das war auch ganz wichtig in der Zeit hier in der Tagesklinik, dass Du Dich oft auch für andere eingesetzt hast, dass es Dir wichtig war, wie es anderen geht. Und wenn Du siehst, jemandem geht es nicht so gut, dann gehst Du dahin und hilfst auch. Manchmal war die Hilfe dann nicht so gut. Daran haben wir ja auch gearbeitet. Und das geht jetzt anders. Jetzt hast Du andere Ideen, wie man denen auch helfen kann. Das war auch das Schöne hier in der Tagesklinik. Als Du eine Zeit hier warst, hat man richtig gemerkt, wie Du auch Lust hast, an den Schwierigkeiten auch was zu verändern."
    - Georgy: "Ja, das stimmt."
    - Thorsten Sukale: "Wir mussten nur erst ein paar Sachen verstehen. Ganz wichtig war, zu verstehen, warum Dir Lesen und Schreiben so schwer fällt. Das haben wir jetzt verstanden. Und das kann man auch entsprechend unterstützen."
    - Georgy: "Ich hab da eine Schwäche."
    - Thorsten Sukale: "Wie heißt die?"
    - Georgy: "Schreibe-Lese-Schwäche."
    - Thorsten Sukale: "LRS. Lese-Rechtschreib-Störung. Also, am Anfang war unsere erste Prämisse, ihr so viele Erfolgserlebnisse wie möglich zu vermitteln. Um die Selbstwirksamkeit zu verstärken. Wenn man sich vorstellt: In der Schule kommt man nicht mit. Bei den Hausaufgaben gibt es Streitereien. Der innere Film, der bei Georgy abläuft, war bestimmt durch Scheitern und "funktioniert nicht". Und deswegen war es wichtig, den Fokus zu verändern durch erlebnispädagogische Angebote, durch Musiktherapie, Ergotherapie und Sachen im Alltag, die funktionieren, ihr zu signalisieren: Hey, wenn Du Dich drauf einlässt, dann klappt es auch."