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Reportagen aus der Südsee

Mark Twain gilt nicht nur als Vater von Tom Sawyer, sondern ist auch bekannt für seine vielen Expeditionen. Seinen Ruf als Reiseschriftsteller begründete er 1866 mit seiner Berichterstattung von den Hawaii-Inseln.

Von Dr. Eberhard Falcke | 24.04.2010
    Zwei Tätigkeiten hat Mark Twain sein Leben lang ausgeübt: das Reisen und das Schreiben. Es begann damit, dass er als Fünfzehnjähriger seine ersten Artikel fabrizierte, als Schriftsetzer sein Geld in den großen Städten verdiente, als Schiffslotse den Mississippi befuhr und mit der Postkutsche den Wilden Westen bereiste. Einen Großteil des Stoffes, den er in seinen Werken verarbeitete, sammelte er auf seinen Streifzügen durch die Welt. Daher war es die Reiseschriftstellerei, die zu seinem Ruhm entscheidend beitrug. Seinen ersten Erfolg als humoristischer Erzähler erntete Twain 1865 mit seiner heute eher kuriosen als zündenden Geschichte "Der gefeierte Springfrosch von Calaveras County". Seinen Ruf als Reiseschriftsteller hingegen begründete er ein Jahr darauf mit der Berichterstattung über seinen Besuch auf den Hawaii-Inseln.

    "Das war ein Auftrag einer kalifornischen Tageszeitung, ungefähr fünfundzwanzig Reportagen aus Hawaii zu schreiben über den Zeitraum von vier Wochen. Und Mark Twain ist hingefahren und ist dann vier Monate lang dort geblieben, hat eigentlich seinen Auftrag mehr oder weniger erfüllt. Das heißt, er sollte eigentlich über die Zuckerindustrie schreiben, hat aber dann, ausschweifend, wie er nun einmal ist, über alle möglichen Themen geschrieben und die Zuckerindustrie erst so ganz am Schluss nebenbei abgehandelt."

    Alexander Pechmann hat diese Reportagen nun erstmals ins Deutsche übertragen und herausgegeben. Versehen mit informativen Anmerkungen, einem aufschlussreichen Nachwort und ein paar ergänzenden Tagebucheinträgen ist daraus ein schöner Band geworden. Vor allem aber ein bemerkenswerter Band. Schließlich lässt sich mit einigem Recht behaupten, dass er Mark Twains erste umfangreichere Schrift darstellt. Denn obwohl Twains Reisebriefe von den Sandwich-Inseln, wie sie damals noch hießen, gegen ein Honorar von jeweils zwanzig Dollar in der Sacramento Daily Union erschienen und zu des Autors Lebzeiten nie die Gestalt eines Buches annahmen, besitzen sie dennoch alle Qualitäten eines für sich stehenden Werkes. Und zwar ebenso aus stilistischen wie aus sachlichen Gründen.
    Twain zeichnete hier ein überaus lebendiges und abwechslungsreiches Bild vom Hawaii jener Zeit, das sich in einer viele Jahrzehnte anhaltenden Umbruchphase befand. Hawaii war ein Schnittpunkt widerstreitender kolonialer und strategischer Interessen, bei denen vor allem Großbritannien und die USA miteinander konkurrierten. Der Berichterstatter zögerte nicht, seinen Landsleuten werbend vor Augen zu führen, wie lohnend es wäre, sich Hawaii anzueignen.

    "Man muss zugeben, dass ein Handel, der so viel einbringt und mit keinem Risiko und geringen Ausgaben für die USA verbunden ist, unterstützt und ein für alle Mal gesichert werden sollte. Es gibt zwei Möglichkeiten, dies zu tun: Der Kongress sollte die hohen Zölle etwas mindern, und die Inseln sollten von Amerikanern besiedelt werden. Zu diesem Zweck sind Dampf-schiefe unverzichtbar."

    In jener Zeit befürwortete Twain noch eine imperialistische Interessenpolitik, die er später, als sie um die Wende zum Zwanzigsten Jahrhundert mit dem spanisch-amerikanischen Krieg dominant geworden war, schärfstes angreifen sollte. Trotzdem zeigt er sich in diesen Reportagen keineswegs nur als Propagandist US-amerikanischer Strategien. Das hätte weder der Reizbarkeit seines Temperaments noch seinem Blick für Gegensätze und Unvereinbarkeiten entsprochen. Passioniert und mit beträchtlichem journalistischem Impetus widmete er sich vielmehr allen Aspekten des hawaiianischen Lebens, der Geschichte, dem Alltag, der Politik, der Religion und den sozialen Veränderungen, so dass seine Berichte eine differenzierte Moment-Aufnahme von der Inselgruppe in der Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts abgeben.
    Dennoch frönte Twain bei allem Sachinteresse auch hier bereits der fröhlichen Wissenschaft seiner unbefangenen, durch handfeste Erfahrungen geleiteten Beobachtung mit humoristischer oder satirischer Note.

    "Wenn man in Honolulu mit einem Fremden ins Gespräch kommt, dann spricht man ihn am besten zunächst mit »Kapitän« an. Man beobachte ihn genau, und wenn man an seinem Gesichtsausdruck erkennt, dass man auf der falschen Spur ist, frage man ihn, wo er predigt. Die Bevölkerung besteht zur Hälfte aus Kapitänen und Geistlichen. Das dritte Viertel besteht aus gewöhnlichen Eingeborenen und ausländischen Händlern und das letzte Viertel aus leitenden Beamten der hawaiischen Regierung. Und auf jeden von ihnen kommen ungefähr drei Katzen."
    Twain entstammte einfachen Verhältnissen, als Journalist und Schriftsteller war er ein völlig unakademischer, von formaler Bildung unbeleckter Autodidakt. Gerade daraus resultierte die Freiheit, Beweglichkeit und Frische seiner Sichtweise. Da mischen sich Anekdotisches und sachkundige Darlegungen, wie etwa über die Zuckerplantagen, mit höchst komischen Ausführungen über die Tücken der Seekrankheit, der Skorpione oder der ha-waiianischen Pferde. Ohne akademische Schablonen folgte Twain vor allem seinen unmittelbaren, mit wacher Intelligenz interpretierten Eindrücken. So entwickelte er einen neuen Stil des Reiseberichts: hochgradig unterhaltsam, frei von steifen Bildungsallüren, ganz aus der Erlebnisweise eines freien Geistes heraus.

    "Der Erfolg dieser Hawaii-Reportagen war dann der Grund für eine lange Vortragsreise, die den Namen Mark Twain ... im ganzen Land ... richtig populär gemacht hat."

    Die "Post aus Hawaii" kommt direkt aus der Fülle von Twains literarischem Talent, aus dem Kern seines geistigen Temperaments. Zudem bezeugt das Buch die journalistischen Aspekte seiner Arbeit, die für sein Werk immer wichtig bleiben sollten. Und wer wissen will, wie Hawaii zu einem multiethnischen US-Bundesstaat an der Schnittstelle zwischen Amerika und Asien werden konnte, bekommt hier Antworten von größter Anschaulichkeit.

    Mark Twain: "Post aus Hawaii"
    Herausgegeben und übersetzt von Alexander Pechmann, Mareverlag, Hamburg 2010, 367 Seiten, 24 Euro