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Repressionen vor der Wahl

Am 19. März sind in Weißrussland Präsidentschaftswahlen, und der diktatorisch agierende Amtsinhaber Alexander Lukaschenko, der zum dritten Mal antritt, hat die Daumenschrauben vor den Wahlen noch einmal heftig angezogen. Eine unabhängige und freie Berichterstattung ist kaum noch möglich.

Von Gesine Dornblüth | 06.03.2006
    Zhanna Litvina nimmt auf Auslandsreisen nur noch einen Block mit handschriftlichen Notizen mit. Gedrucktes Material wird der Weißrussin bei der Einreise in ihr Land abgenommen. Zhanna Litvina ist Vorsitzende der unabhängigen Weißrussischen Journalisten-Assoziation.

    " Der November des vergangenen Jahres wird einmal als fettgedruckte Zeile in unseren Geschichtsbücher erscheinen. Im November hat der staatliche Monopolbetrieb, der in Weißrussland für den Vertrieb von Druckerzeugnissen zuständig ist, einseitig die Verträge mit den Zeitungen gekündigt. Das war eine beispiellose Aktion, um den Vertrieb unabhängiger Zeitungen zu unterbinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass das auf Anweisung von oben geschah. Zur Zeit werden 16 Zeitungen nicht mehr an die Abonnenten ausgeliefert, und 19 Titel haben Probleme mit dem Verkauf am Kiosk. "

    Bereits im vergangenen Sommer war die "Narodna Volja", eine der letzten kritischen Zeitungen, nach einer Verleumdungsklage zu einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 40.000 Euro verurteilt und damit an den Rand des Ruins getrieben worden. "Dramatisch" sei die Situation der unabhängigen Presse in Weißrussland, so Zhanna Litvina. Fernsehen und Radio sind ohnehin längst unter staatlicher Kontrolle. Im Dezember verabschiedete das von Staatsoberhaupt Lukaschenko beherrschte Parlament dann noch ein Gesetz, das die Arbeit von Journalisten weiter erschwert. Demnach riskiert bis zu drei Jahren Haft, wer den weißrussischen Staat oder dessen Regierung diskreditiert bzw. ausländischen Staaten "Falschinformationen" über die politische, wirtschaftliche, soziale oder militärische Lage in Weißrussland zur Verfügung stellt. Für Journalisten ist es nun nahezu unmöglich, Kritik an der Staatsführung zu veröffentlichen.

    " Ich glaube zwar nicht, dass wir nach dieser Gesetzesänderung massenweise Prozesse bekommen werden und hunderte Journalisten im Gefängnis landen. Aber es wird sicher einige Schauprozesse geben. "

    Kritische Journalisten hätten kaum eine Chance, gegen die staatliche Propaganda anzukommen, erläutert Zhanna Litvina. Die Propaganda habe zur Zeit zwei Ziele. Erstens sollten die Weißrussen glauben, dass nur Lukaschenko für Stabilität im Land sorgen könne. Zweitens sollten seine Konkurrenten im Kampf um das Präsidentenamt diskreditiert werden.

    " Seit einigen Monaten hat man den Eindruck, als stünden wir nicht vor einer Präsidentenwahl, sondern als laufe eine Art Mobilmachung des weißrussischen Volkes gegen die Gefahren, die sich uns von allen Seiten nähern. Die Medien hämmern den Leuten Angst ein. Dass Journalisten dabei mitmachen, werden ihnen die Leute niemals verzeihen. "

    Der Propaganda und dem Druck von staatlicher Seite zu widerstehen, erfordert Mut. Bereits im Jahr 2000 verschwand der Kameramann eines russischen Fernsehteams, Dmitrij Zavadzkij. Was mit ihm geschah, ist bis heute nicht geklärt.

    " Eine weitere Tragödie war der brutale Mord an unserer Kollegin Veronika Tscherkassova am 20. Okt. 2004, wenige Tage nach der Parlamentswahl und dem Verfassungsreferendum. Sie wurde in ihrer Wohnung umgebracht. Sie sollte mit ihrem Material in die Redaktion kommen, kam aber nie an. Die Untersuchung läuft langsam und wir bekommen keine Informationen. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr vermuten wir, dass diese Tragödie mit der beruflichen Tätigkeit von Veronika Tscherkassova zusammenhängt. "

    Ein Jahr später wurde Vasilij Grodnikov, Autor der unabhängigen Zeitung "Narodna Volja", getötet. Gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen hat die Weißrussische Journalistenassoziation mehrfach eine unabhängige Aufklärung dieser Fälle gefordert. Die Regierung verweigert das.

    " Ich versuche, meine Angst mithilfe meiner Überzeugungen zu bekämpfen. Ich weiß, dass das, was ich tue, mein Recht ist. Unser Beruf ist unsere Stärke. Wir müssen Informationen sammeln und verbreiten. Wenn du weißt, was du zu tun hast, ist es leichter, mit der eigenen Angst umzugehen. Besonders in der regionalen Presse ist Selbstzensur ein Problem. In der Hauptstadt Minsk sind wir viele, wir tun uns zusammen, und wir diskutieren die Situation. Aber meine Kollegen in den Regionen sind weniger geschützt. Sie sind den Funktionären dort ausgeliefert. "

    Den Weißrussen bleibt in erster Linie das Internet, um sich zu informieren. Das ist bislang noch weitgehend unzensiert. In Weißrussland gibt es aber nur einen Provider, die staatliche Beltelekom. Am Tag der Parlamentswahl 2004 wurden mindestens 56 unabhängige Seiten blockiert. Am 19. März könnte sich das wiederholen.