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Republik der Säufer

In dem Film "Portraits deutscher Alkoholiker" erzählen drei Männer und Frauen ihre Geschichte. Dabei interessiert sich die Regisseurin Carolin Schmitz für die kleinen Tricks und großen Selbsttäuschungen – wobei sie eine insgesamt alkoholkranke Gesellschaft zeigt.

Von Josef Schnelle | 28.07.2011
    "Keiner trinkt aus niedrigen Motiven. Sondern er trinkt weils heut so erfolgreich war, weil die Sonne scheint, wenn einem was in die Hose gegangen ist. Weil der Sohn eine Prüfung vermasselt hat."

    Eine Männerstimme aus dem Film von Carolin Schmitz "Portraits deutscher Alkoholiker". Es ist nur eine Stimme. Kein Bild der sechs Gesprächspartner der Regisseurin wird in diesem Film zu sehen sein. Man könnte also sagen, der Film ist ein illustriertes Hörstück. Um so interessanter und aufschlussreicher ist das visuelle Konzept des Films. Während wir die Geschichten der drei Männer und drei Frauen hören, die von ihrer Alkoholsucht berichten, streift die Kamera durch menschenleere Räum, an modernen Fertigungsanlagen vorbei und erinnert in ihrer strengen Bildkomposition manchmal sogar an den amerikanischen Kunstfilmer James Benning, bei dem kein Grashalm sich rührt. Ein Gerichtssaal, ein Operationsraum, idyllische Vorgärten, ein Garagentrakt, ein Bahnhof und ein Flughafen zeigen die Lebenswelten der Protagonisten – ein Deutschland, das offenbar nur mit Strömen von Alkohol zu ertragen ist. Die Suchtkranken in diesem Film sind keine Drop-Outs oder Obdachlose am Rande der Gesellschaft. Es handelt sich vielmehr um ganz normale Menschen – zum Beispiel einen Rechtsanwalt, eine Narkoseschwester, einen IT-Spezialisten und eine Hausfrau, die gelernt haben ihre Sucht mitten im Alltag auszuleben. Ohne Tricks geht das natürlich nicht. Da ist beispielsweise die Sache mit den griffbereiten Briefumschlägen.

    "Es kam ja schon mal vor, dass ein Kunde um sechs reinkam oder um zehn vor sechs. Und es schloss sich ein längeres Beratungsgespräch an. Dass so ein Kunde mich in die schwierige Situation brachte länger zu bleiben als bis halb sieben. Da musste ich jetzt für mich einen Ausweg finden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und hatte dann auf meiner Ladenkasse nen Stapel Briefumschläge liegen. Wenn ich entweder sah, es kommt ein Kunde rein oder es saß schon ein Kunde im Geschäft. Dann hab ich diesen Stapel Briefumschläge gegriffen und hatte direkt mein Auto da geparkt. Kofferraum auf. Die Briefe da rein. Kofferraum wieder zu, denn die Briefe brauchte ich ja noch. Bin dann den Schnaps kaufen gegangen. Bin dann noch nebenan in meine Wohnung. Hab einen vorgetrunken und hab dann mit dem Kunden ganz normal das Gespräch weitergeführt."

    Vielleicht gerade weil keine Kamera sie beobachtet sind die Gesprächspartner außergewöhnlich offen und detailreich. Carolin Schmitz geht es, - auch wenn der Titel ihres Films wie der einer Diplomarbeit klingt - nicht um psychologische Fallstudien. Sie interessiert sich vielmehr für die Strukturen der Alkoholsucht, für die kleinen Tricks und die großen Selbsttäuschungen, für den Balanceakt zwischen der maximalen Befriedigung der Sucht und dem Optimum der Verschleierung. Niemand soll etwas merken. Gesellschaftliche oder private Ereignisse bei denen es üblich ist zu trinken, sind dann hochwillkommen, auch wenn es sich jeweils um eine gefährliche Grenzüberschreitung handelt.

    "Ich erinnere mich, dass ich in der Schwangerschaft gewisse Mühe hatte nicht zu trinken. Ich weiß aber, dass ich schon im Krankenhaus nach der Entbindung Sekt geordert habe und getrunken habe trotz des Stillens. Hielt ich aber für nicht weiter bedenklich."

    Die moralische Keule der gängigen Sozialreportage holt Carolin Schmitz nie heraus. Hinter den Statements der Suchtkranken, - auch, wenn sie manchmal sogar mit Witz und Selbstironie gespickt sind - lauern dennoch, das spürt man mit Unbehagen, gescheiterte Biografien. Doch durch die gewissermaßen asynchrone Bild-Ton-Montage wird klar, dass es ihr nicht um einzelne Alkoholkranke geht. Sie zeigt vielmehr eine insgesamt alkoholkranke Gesellschaft. Das wahre Gift steckt in der sterilen Ordnung der Dinge, die in der Wahrnehmung dieses Film mehr und mehr zerbröckelt. Die Gezeiten des Alkoholkonsums halten unsere Gesellschaft offenbar genauso zusammen wie die Wogen des Kaffeegenusses und die Stürme des Nikotinkonsums. Nüchtern bleiben allein die Bilder dieses fast experimentellen, eindrucksvollen Films.