Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Restaurierung der "Kreuztragung Christi"
"Grünewalds Tafel ist eines der Hauptwerke"

Matthias Grünewalds "Kreuztragung Christi" ist von beiden Seiten bemalt und wurde im 19. Jahrhundert per Säge getrennt und nach den damaligen Möglichkeiten restauriert. Das hat deutliche Spuren hinterlassen, berichtete der leitende Restaurator der Kunsthalle Karlsruhe, Thomas Heidenreich, im DLF. Pro Tag könne etwa ein Quadratzentimeter bearbeitet werden - insgesamt hat das Bild fast 30.000.

Thomas Heidenreich im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 28.12.2014
    Eine Besucherin der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe betrachtet das Werk "Kreuztragung Christi". Mathis Gothart Nithart - genannt Grünewald - hat es um 1523/25 gemalt. Seit einigen Jahren wird das Werk restauriert.
    Eine Besucherin der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe betrachtet das Werk "Kreuztragung Christi". Mathis Gothart Nithart - genannt Grünewald - hat es um 1523/25 gemalt. Seit einigen Jahren wird das Werk restauriert. (picture alliance / dpa / Uli Deck/)
    Burkhard Müller-Ullrich: Was passiert eigentlich in den deutschen Kunstsammlungen und Museen, wovon man als Besucher keine Ahnung hat? Was für Kunstwerke gibt es, die man nicht sieht, und was passiert mit ihnen? Das sind so Fragen, denen wir in diesen Tagen mit einer Gesprächsreihe nachgehen wollen. "Kunst auf Lager" ist der Titel - und es ist zugleich der Titel einer Vereinigung, eines "Bündnisses zur Erschließung und Sicherung von Museumsdepots", wobei zur Erschließung und Sicherung auch die Finanzierung gehört - es sind also auch geldgebende Stiftungen, öffentliche und private, dabei. Und weil das alles einiges kostet, soll es die Öffentlichkeit auch erfahren - also Erschließung und Sicherung und Finanzierung und Publizität gehören zusammen.
    Heute wollen wir über ein Bild von Matthias Grünewald sprechen, eines der bedeutendsten malerischen Zeugnisse des Spätmittelalters, das - man glaubt es kaum, aber es war damals nicht unüblich - 1883 einfach zersägt wurde, um die Vorder- und Rückseite zu trennen, denn beide waren bemalt. Das Bild, um das es jetzt geht, heißt "die Kreuztragung Christi", es ist um 1525 entstanden und es gehört der Kunsthalle Karlsruhe und dort wird es restauriert. Darüber habe ich mit dem leitenden Restaurator Thomas Heidenreich gesprochen und ihn als erstes gefragt, wie schnell oder wie langsam man denn bei dieser Arbeit vorwärts kommt, denn das Bild misst 1,96 Meter mal 1,52 Meter, und das sind fast 30.000 Quadratzentimeter.
    Thomas Heidenreich: Das kommt ganz darauf an, an welchen Farbpartien der Restaurator arbeitet. Bei Grünewald, speziell bei diesem Bild, schafft er vielleicht einen halben bis einen Quadratzentimeter, wenn es gut läuft, am Tag. Das ist sehr wenig, manchmal auch noch weniger in diesem Fall. Das Bild wurde ja in Tauberbischofsheim in einer Kirche ausgestellt, stand erst mal mittig, man konnte darum herumgehen. Dann wurde es abgehängt an eine Außenwand und man hat nur noch eine Seite gesehen. Um beide Seiten jetzt wieder sichtbar zu machen, wurde die Tafel auseinandergesägt.
    "Dieser ästhetisch unbefriedigende Eindruck"
    Müller-Ullrich: Und dabei ist ein Teil mehr, der andere weniger beschädigt worden, wahrscheinlich je nach Schnittveränderung.
    Heidenreich: Ja, ja. Wahrscheinlich ist das Sägeblatt mehr zur Rückseite hin gesetzt worden als zur Vorderseite hin, sodass die Rückseite, von der wir heute sprechen, ja doch mehr beschädigt ist. Und dieser ästhetisch unbefriedigende Eindruck dieser verfärbten Retuschen, nachgedunkelten Retuschen, verfärbten Überzüge, der wird jetzt abgenommen.
    Müller-Ullrich: Das heißt, da fand vorgängig, nachdem das auseinandergeschnitten wurde, erst mal eine Restaurierung statt. Die Leute haben gesehen, oh, das sieht aber jetzt hässlich aus, also müssen wir das ein bisschen hinkitten. Wie wurde das gemacht, mit was für Mitteln?
    Heidenreich: Die Farbverluste, die wurden wieder aufgekittet mit einem Leim-Kreide-Kitt. Das ist ähnlich wie die Grundierung auf einem Gemälde, dass dieses Material wieder genommen wurde, um Farbausbrüche niveaugleich mit der Originaloberfläche wieder zu kitten und zu strukturieren. Dann wurden diese Fehlstellen retuschiert und teilweise auch sehr viel übers Original drüberretuschiert, also nicht begrenzt auf die eigentliche Fehlstelle, sodass im Laufe der Zeit, nachdem diese Ölfarbretuschen, die ja ziemlich stark nachdunkeln im Laufe der Zeit, jetzt als dunkle Flächen und Flecken zu sehen sind.
    Müller-Ullrich: Diese Restaurierung, wann wurde die vorgenommen? Im 19. Jahrhundert irgendwann?
    Heidenreich: Die Spaltung der Tafel?
    Müller-Ullrich: Ja und diese erste Übermalung oder so.
    Heidenreich: Ja. Die wurde kurz nach 1883 von dem Restaurator Alois Hauser vorgenommen.
    "Da fällt es nicht so auf, wenn die Säge mal verrutscht oder so"
    Müller-Ullrich: Und war das Pfusch, oder kann man sagen, das war damals so, man hatte einfach keine besseren Möglichkeiten?
    Heidenreich: Das war damals so. Das Sensationelle an dieser Tafel ist, dass sie vom Format her doch sehr groß ist. Andere Tafeln, die geteilt wurden, die sind sehr viel kleiner. Da fällt es nicht so auf, wenn die Säge mal verrutscht oder so.
    Müller-Ullrich: Jetzt haben wir heute sehr viel bessere Möglichkeiten, zunächst mal Möglichkeiten des Hinschauens. Gearbeitet wird unter 40-facher Vergrößerung. Das heißt, was Sie eben geschildert haben, dass es auch noch auf die originalen Malschichten überlappt, das kann man weitgehend vermeiden.
    Heidenreich: Ja, ja. Die heutigen Retuschen - aber das kommt erst sehr viel später; nachdem die Freilegung stattgefunden hat, werden die Fehlstellen noch mal nachgekittet, strukturiert und dann retuschiert. Wir beschränken uns jetzt mit den Retuschen wirklich auf die eigentliche Fehlstelle, sodass wir das Original nicht mit unseren Farben übermalen, retuschieren.
    "Nötigenfalls mit dem Skalpell noch mal nachgearbeitet"
    Müller-Ullrich: Sie müssen aber erst mal die alten oder falschen Schichten, die im 19. Jahrhundert da draufgekommen sind, abnehmen. Wie geht das ohne Beschädigung?
    Heidenreich: Das geht mit Lösemitteln. Die Farben sind ja gebunden mit Bindemitteln, die sich auch wieder anlösen lassen. Verschiedene Lösemittel, Lösemittel-Mischungen werden da benutzt. Und in diesem speziellen Fall von Grünewald werden die zu einem Gel angedickt, diese Lösemittel, damit sie nicht so tief ins Malschicht-Gefüge durch die kleinen feinen Risse eindringen, sondern eher an der Oberfläche bleiben und dort wirken können. Dann werden die angelösten Retuschenübermalungen mit einem kleinen Wattebausch, einem Wattestäbchen abgenommen und nötigenfalls mit dem Skalpell noch mal nachgearbeitet, dass man unter dieser 40-fachen Vergrößerung ganz genau sieht, wo ist das Original, wo ist der spätere Zutat, sodass man die genau trennen kann und mit einem Skalpell dann noch abtrennt.
    Müller-Ullrich: Diese Arbeit, die Sie jetzt geschildert haben, die dauert sehr lange. Ein Quadratzentimeter pro Tag, hatten wir gesagt. Das Bild ist sehr groß. Man kann daraus schließen, es wird sehr lange dauern, bis es überhaupt wieder restauriert ist, Jahrzehnte wahrscheinlich. Und das war Ihnen zu lange. Jetzt haben Sie glücklicherweise Geld bekommen, um noch jemanden da dranzusetzen. Aber wie ist das möglich? Kann man da zu zweit nebeneinander arbeiten?
    Heidenreich: Man kann nicht zu zweit gleichzeitig daran arbeiten. Unter dem Mikroskop mit dieser Vergrößerung wackelt das Bild zu sehr, sodass immer nur eine Person mit dem Mikroskop arbeiten kann. Um den Tag voll auszunützen, würde dann in Schichten daran gearbeitet werden.
    Müller-Ullrich: Okay. Dadurch gelingt es, die Gesamtzeit der Restaurierung zu verkürzen. Wie lange wird es denn noch dauern?
    Heidenreich: Das wissen wir jetzt noch nicht.
    Müller-Ullrich: Was hoffen Sie?
    Heidenreich: Ich hoffe mal, dass sich die Zeit vielleicht halbiert, die wir jetzt noch vor uns haben. Kann man nicht sagen. Man weiß nicht, wie das geht. Wir sind ja noch ganz am Anfang. Die zusätzlichen Kräfte sind noch nicht eingestellt. Das muss sich im Laufe der Zeit ergeben, wie schnell man dann vorwärts kommt.
    "Die Grünewald-Tafel ist eines der Hauptwerke der Kunsthalle Karlsruhe"
    Müller-Ullrich: Warum dieses Bild? Es gibt ja sicher bei Ihnen im Haus auch noch andere, die es nötig haben.
    Heidenreich: Die Grünewald-Tafel ist eines der Hauptwerke der Kunsthalle Karlsruhe und es ist natürlich das Bestreben, das dem Publikum nicht so lange vorzuenthalten. Es war aber immerhin bei der Grünewald-Ausstellung 2007/2008 ausgestellt und jetzt gerade vor Kurzem bei einer Präsentation wurde es auch ausgestellt, sodass das Publikum mal einen Zwischenbericht oder eine Zwischenschau hat nehmen können auf das Bild.
    Müller-Ullrich: Wobei es in den Zeiten der Ausstellung natürlich dann auch nicht bearbeitet werden kann.
    Heidenreich: So ist es, ja. Wir machen keine Restaurierungen unter Publikumsaugen. Das wäre viel zu aufwendig, wenn man das Bild mit allem irgendwo hinstellen würde, dass das Publikum zugucken kann. Außerdem hat das Publikum nichts davon, wenn unterm Mikroskop nur gearbeitet wird und sie keine Fortschritte sehen können.
    Müller-Ullrich: Jetzt haben Sie dank der Kulturstiftung der Länder und anderer die Mittel aufstocken können. Sie haben gesagt, dass dieses ein wichtiges Bild ist. Trotzdem, wenn die Mittel beschränkt sind, gibt es immer so ein Ausschließungsverhältnis. Das heißt, alles was in den Grünewald investiert wird, kann nicht woanders hineingehen. Um welches Bild tut es Ihnen leid in dem Fall aus Ihren Beständen, was es auch noch nötig hätte?
    Heidenreich: So stark nötig haben die anderen Bilder der Kunsthalle es nicht. Die sind in einem ja doch sehr guten Zustand. Seit 1920 gibt es festangestellte Restauratoren an der Kunsthalle und dementsprechend gepflegt ist auch der Bestand. Ich kann jetzt nicht sagen, dass andere Bilder darunter leiden, denn wir sind ja auch drei festangestellte Restauratoren an der Kunsthalle. Es wird nicht nur am Grünewald gearbeitet, sondern der tägliche Betrieb geht auch weiter.
    Müller-Ullrich: Thomas Heidenreich, leitender Restaurator der Kunsthalle Karlsruhe, über die von der Kulturstiftung der Länder finanzierte Reparaturarbeit an Matthias Grünewalds "Kreuztragung Christi".
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.