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Restrisiko V-Leute

Im angestrebten NPD-Verbotsverfahren darf es keine führenden V-Leute mehr in der Partei geben, warnt der Politologe Hajo Funke - dann wäre ein Scheitern vorprogrammiert. Unabhängige Ermittler oder Gutachter müssten dies zweifelsfrei sicherstellen.

Das Gespräch führte Doris Simon | 06.12.2012
    Dirk Müller: Ein schwieriger Weg zu einem möglichen Verbot der NPD – heute müssen die Ministerpräsidenten darüber entscheiden, ob sie ein Verfahren gegen die Partei einleiten, nach dem positiven Votum der Innenminister gestern. Danach sieht es aus. Aber anschließend ist dann der Bundestag, und auch die Bundesregierung gefragt. Darüber hat meine Kollegin Doris Simon mit dem Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hajo Funke gesprochen.

    Doris Simon: Eine entscheidende Voraussetzung für ein Verbot sind ja Fakten, die belegen, dass die NPD aktiv kämpferisch gegen unsere demokratische Grundordnung vorgeht. Mindestens genauso wichtig ist, dass keine dieser Informationen von Spitzeln des Verfassungsschutzes kommen darf. Daran war ja der erste Verbotsversuch vor fast zehn Jahren gescheitert. Es dürfen eben auch keine Funktionäre der NPD für den Verfassungsschutz arbeiten. Glauben Sie, dass dieses Mal die Voraussetzungen Ihrer Meinung nach gegeben sind?

    Hajo Funke: Sie sind dann gegeben, wenn genau diese Voraussetzung zweifelsfrei geklärt ist, wenn also das Material V-Leute-frei ist und es keine V-Leute in führenden Positionen gibt, wenn der Antrag eingereicht wird.

    Simon: Es geht um über 2600 Belege, die die NPD belasten. Lässt sich denn da wirklich sicherstellen, dass kein einziges Beweisstück gegen die NPD von einem Informanten des Verfassungsschutzes stammt?

    Funke: Es muss sichergestellt werden. Das geht dann, wenn ein unabhängiger Ermittler oder Gutachter noch einmal die einzelnen Informationen aus den einzelnen Ländern intern prüft und so einen Stempel draufwerfen kann und sagen kann, ja, das ist ohne Zweifel. Wenn da noch irgendwo der eine oder andere zufällig aufgedeckt werden sollte, ist das nicht mehr erheblich. Im Verfahren vor zehn Jahren war es anders: Da hat man tatsächlich unklar gelassen, wer alles V-Mann war, und ganz zentrale Aussagen sind dann von einem knapp 30 Jahre langen V-Mann formuliert worden. Das geht natürlich nicht. Also es ist die Sorgfaltspflicht der Innenminister und dann der Ministerpräsidenten und wo möglich anderer Institutionen, dies zweifelsfrei und damit für das Bundesverfassungsgericht glaubwürdig zu bekunden und zu testieren.

    Simon: Wenn also zum Beispiel bekannt wird, dass ein früher führender Thüringer NPD-Funktionär bis 2011 Informant des Verfassungsschutzes war, das wäre im Zweifel dann auch kein Problem für den Verbotsantrag?

    Funke: Man hat sich ja darauf geeinigt, Anfang dieses Jahres die V-Leute abzuschalten, und geht davon aus, dass dies auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt wird. Eine V-Leute-freie Partei hat die Staatsferne, die man definieren muss, um ein solches Parteienverbot zu beschließen, denn sonst würde man sagen, die Partei ist partiell abhängig vom Staat und gar nicht verbietbar. Also insofern denke ich, dass das noch passt. Wenn aber herauskommen sollte, dass noch solche V-Leute aufgedeckt werden, dann ist ein erneutes Scheitern vorprogrammiert. Deswegen muss man das ausschließen und klar sagen und glaubwürdig versichern können, testieren sozusagen, dass diese V-Leute-Problematik nicht mehr existiert.

    Simon: Herr Professor Funke, was würde denn ein Verbot der NPD, wenn der Antrag, wenn er denn gestellt wird, Erfolg haben sollte, was würde das denn erreichen? Die verbale und die reale Gewalt von Rechtsextremen in Deutschland wird ja nicht allein durch ein Verbot weniger.

    Funke: Nein! Aber die Partei ist, auch wenn sie schwächelt, wie man sagt, der politische Arm einer neonazistischen Kampfbewegung. Das sieht man insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern und auch anderswo. Es gibt ein Hin und Her zwischen Kameradschaften und der Partei. Insofern wäre das Verbot der Partei und damit auch der Ressourcen ein Schlag gegen diese vernetzte Kampfbewegung und ein wichtiger, entscheidender Schritt zur Eindämmung des Alltagsterrors und der Gewalt, die von dieser Bewegung ausgeht.

    Simon: Was sagen Sie denn jenen, die fürchten, dass ein solcher Verbotsantrag die NPD, die ja im Augenblick teilweise ein bisschen schwächelt, erst recht wieder starkmacht?

    Funke: Das sehe ich nicht. Das hängt in der Tat natürlich auch davon ab, ob man tatsächlich dieses Verbotsverfahren wirklich will, öffentlich begleitet und auf die Gefahren, die von dieser Partei ausgehen, wirksam hinweist und zugleich sich neu aufstellt im Sicherheitsbereich - und die Repressionen gegenüber diesen Bewegungen und diesen Netzwerken verstärkt.

    Simon: Der Bundesinnenminister steht ja dem Verbotsantrag skeptisch gegenüber, ebenso die Bundeskanzlerin. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, dass die Bundesregierung und auch der Bundestag einen möglichen Antrag des Bundesrates gegen die NPD in Karlsruhe unterstützen?

    Funke: Also es gibt ja Bedenken, die ausgeräumt werden müssen, glaubwürdig, und wenn dies so ausgeräumt wird, dann sehe ich keine große Gefahr, dass entweder die Innenminister und der Bundesrat, oder eben auch der Bundestag und die Bundesregierung einen solchen Antrag unterstützen, oder sogar mitformulieren.

    Müller: Meine Kollegin Doris Simon mit dem Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hajo Funke im Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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