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Retromania mit Piepsern und klobigen Pixeln

Ständig kommen neuen Computerspiele auf den Markt. Und dennoch gibt es Fans, die das völlig anders sehen: Sie spielen nur alte Spiele. Genauer: Neue alte Spiele. Denn für die alten Computer werden immer noch neue Spiele gemacht, die sich aber anfühlen, als kämen sie direkt aus der Zeitmaschine.

Von Christian Schiffer | 06.12.2011
    Die Formel für ein gutes Computerspiel scheint einfach: Neu ist besser als alt. Neue Spiele sehen einfach schöner aus und hören sich besser an. Und dennoch gibt es Fans, die das völlig anders sehen: Sie spielen nur alte Spiele. Genauer: Neue alte Spiele. Denn für die alten Computer werden immer noch neue Spiele gemacht, die sich aber anfühlen, als kämen sie direkt aus der Zeitmaschine.

    Ist es ein Frosch, der da auf dem Bildschirm herumspringt? Oder eine Katze? Es ist gar nicht so leicht zu erkennen, was man in dem Spiel "It‘s Magic 2" nun eigentlich genau steuert, angesichts der grellbunten, unscharfen und klobigen Grafik. Und dennoch fühlt man sich als alter C64-Veteran sofort zu Hause: Der Joystick knirscht, aus den Boxen dröhnt piepsiger Minimalsound, statt zwölf Knöpfen gibt es nur zwei. Der C64, der vor fast 30 Jahren in Deutschland auf den Markt kam, wurde wegen seiner runden Ecken von seinen Fans damals liebevoll "Brotkasten" genannt. Manch einer packt in diese alte Kiste knackfrisches Brot von heute, eben auch "It's Magic 2", das zwar aussieht, als hätte es Jahrzehnte auf dem Buckel, aber erst 2008 entwickelt wurde, - als neues Spiel für einen uralten Computer. Milo Mundt arbeitet bei Protovision, einem kleinen Computerspielstudio, das sich auf neue Spiele für den C64 spezialisiert hat:

    "Wir programmieren einerseits für den C64, weil es eine Jugenderinnerung von uns ist, nicht nur am C64 zu spielen, sondern auch Kreativität und seine Visionen umzusetzen. Der andere Grund ist die Überschaubarkeit und der Minimalismus den der C64 mit sich bringt. Der bringt Stil und Charme mit sich."

    Wie viele Spiele für den C64 genau erschienen sind, weiß niemand so genau. Von 17.000 kommerziellen Spielen ist die Rede, hinzukommen aber noch unüberschaubar viele selbstprogrammierte Titel. Und dennoch gibt es einen Nischenmarkt für Spiele, die angesichts ihrer angestaubten Technik kaum noch einen Jugendlichen hinter dem Christbaum hervorlocken würden. Dasselbe gilt sogar für längst vergessene Konsolen, etwa dem "Lynx" von Atari oder die "Dreamcast" der Firma Sega. Für diese Konsole stellt die Münchner Firma "Redspotgames" immer noch Spiele her und verkauft sie in die ganze Welt. Dabei geht es nicht nur um das Stück Software an sich, sondern auch um das drum herum, sagt Franz Marl, der "Redspotgames" gegründet hat:

    "Ich persönlich habe keine Lust, mir eine neues Spiel zu kaufen, das mit einer zweiseitigen Schwarz-Weiß-Anleitung daherkommt. Für die Dreamcast gäbe es die Möglichkeit Spiele zum Download anzubieten, die man sich auf CD brennt und dann abspielen kann. Das Problem dabei ist. Möchte man das? Möchte man 20 Euro für ein Download-Spiel zahlen, wo man dann eine mit Edding beschriftete CD brennt und dann spielt? Das ist nicht unser Qualitätsstandard."

    Die Macher und die Fans neuer Spiele für alte Maschinen, erinnern ein wenig an Vinyl-Sammler. Es geht nicht nur um Nullen und Einser, es geht um Haptik und um das Festhalten an lieb gewonnen Ritualen, etwa das Rattern des Diskettenlaufwerks oder die minutenlange Wartezeit, bis das Spiel überhaupt startet. Und im Falle der Sega-Dreamcast-Konsole auch darum, sie vor dem Vergessen zu retten. Franz Marl:

    "Das ist ein wichtiger Punkt, warum wir das machen. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem eine neue Generation, aber auch ältere Menschen gar nicht mehr wissen, was die Dreamcast war und die ganzen Vorzüge gar nicht mitbekommen haben. Es ist also eine Art von Revival aber was Videospiele anbelangt, auch eine Art von Bildung."

    Neue Spiele für alte Konsolen zu programmieren erscheint etwas bizarr, schließlich ist kaum ein Medium mit solchen Zukunftsversprechungen aufgeladen, wie das Computerspiel. Es geht hier immer um das nächste große Ding, um die neueste Grafik, die innovativsten Steuerungsmethoden. Über Spiele, die erst in einigen Jahren erscheinen, wird jetzt schon in Fachzeitschriften seitenlang berichtet, auf Messen wie der Gamescom warten Fans oft stundenlang in der Schlange um einen kurzen Blick auf ein Spiel riskieren zu dürfen, das in einigen Monaten erscheint. Die neuen Spiele für die alten Konsolen sind das Gegenteil dieses anstrengenden Marketing-Hypes: Bei ihnen weiß jeder schon vorher, dass wegen der Grafik die Augen wehtun werden und der Sound dünn aus den Boxen piepsen wird. Spaß wird es aber trotzdem machen. Und darum geht es heute schließlich genauso wie vor 30 Jahren.