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Revolution der syrischen Medien

Die Medienlandschaft in Syrien ist kaum wiederzuerkennen. Nach Jahrzehnten der strengen Zensur, sind seit dem Aufstand gegen das Assad-Regime unzählige neue Medien entstanden. Einige sitzen im Ausland und arbeiten mit Korrespondenten in Syrien zusammen. Andere arbeiten im Untergrund.

Von Mona Naggar | 12.10.2013
    Bei Radio Al-Kull laufen die Mittagsnachrichten. Es geht um Kämpfe zwischen Rebellen und Regierungstruppen in Aleppo, um die jüngsten Zahlen von Toten in Damaskus und um syrische Flüchtlingskinder. Al-Kull sitzt in Istanbul und sendet über Internet. Korrespondenten in Syrien versorgen die Redaktion mit aktuellen Berichten. Das Radio ist seit April auf Sendung.

    Noch nie gab es so viele syrische Zeitungen, Nachrichtenportale, Radio- und Fernsehsender. Viele entstanden durch Bürgerjournalisten, die über den Aufstand gegen das Regime von Präsident Bashar Al-Assad berichtet haben. Sie stellten selbstgedrehte Videos ins Netz, veröffentlichen auf Facebook Nachrichten über Demonstrationen und Übergriffe der Sicherheitskräfte in ihrer Stadt oder gaben eigene Zeitungen heraus, die sie in ihrem Viertel verteilten. Dann sind sie immer professioneller geworden. Ein Beispiel ist "Enab Baladi". Die Wochenzeitung wurde Anfang 2012 in Darayya, einem Vorort von Damaskus gegründet. Der Chefredakteur Natour, der eigentlich Buchhalter ist, war von Anfang an dabei:

    "Am Anfang war unsere Arbeit sehr eng mit dem Engagement für die Revolution verbunden. Die Zeitung war sozusagen unser Beitrag zur Revolution. Das hat sich geändert. Wir sind immer noch für die Revolution, wir können nicht neutral sein, aber wir sind professioneller und kritischer geworden. Durch Trainings bei verschiedenen internationalen Medienorganisationen haben wir das journalistische Handwerk gelernt. Mit unseren Berichten haben wir schon einige Probleme mit Oppositionsgruppen bekommen, etwa mit den islamistischen Gruppierungen. Auch Themen, die mit Frauen und Sexualität zu tun haben, sind schwierig. Als wir über vergewaltigte Frauen in Darayya geschrieben haben, gab es viel Kritik."

    "Enab Baladi" erscheint elektronisch und in Papierform. Ungefähr 1000 Exemplare werden im türkischen Gazientap gedruckt, finanziert von ASML, der syrisch-französischen Organisation zur Unterstützung freier Medien. Die Zeitung wird im Norden Syriens, in den Gebieten, die unter Kontrolle der Rebellen sind, verteilt. In der Ausgabe von Anfang Oktober geht es um die jüngsten militärischen Entwicklungen, um die Auswirkungen des Bürgerkrieges auf Studenten oder um den blühenden Schrotthandel in einigen Teilen Syriens. Zu den Autoren gehört auch Azza. Die 21-jährige Frau studiert zwar Architektur, hat aber ihre Leidenschaft für den Journalismus entdeckt:

    "Ich schreibe viel über die Situation von Flüchtlingen und die Lage der Kinder. Ich stamme aus Darayya, wohne aber in Damaskus. Wenn ich zu meinem früheren Wohnort fahre, um Interviews zu machen, dann kann ich nicht einfach die Hauptstraße nehmen, denn dort stehen Checkpoints von Regierungstruppen, die immer wieder Männer und Frauen verhaften. Ich nehme Schleichwege. Anstatt einer Stunde, bin ich dann vier oder fünf Stunden unterwegs. Manchmal gerate in Gebiete, wo Kämpfe toben, wie letztens in Ghouta."

    Azza, Natour und die anderen Journalisten von "Enab Baladi" träumen davon, eines Tages, wenn der Krieg vorbei ist, eine Tageszeitung für ganz Syrien zu machen. Ehrgeizige Pläne hat auch Nawar. Der 26-jährige Journalist arbeitet für die kleine Nachrichtenagentur "Syria Newsdesk". Sie besteht seit einem Jahr:

    "Unser Ziel ist es die Nachrichtenagentur für Syrien zu werden. Das haben wir noch nicht erreicht, aber wir sind auf dem Weg. Wir haben uns schon einen guten Ruf aufgebaut. Reuters nimmt ab und zu Material von uns, Djazeera und BBC auch."

    "Syria Newsdesk", das von der holländischen Organisation Free Press Unlimited finanziert wird, arbeitet mit einem dichten Korrespondentennetz in verschiedenen Teilen Syriens zusammen. Die Reporter, allesamt Bürgerjournalisten, werden vor ihrer Arbeit für die Agentur von der Redaktion in Workshops geschult. Ahmad, der Chefredakteur der Nachrichtenagentur glaubt, dass zweieinhalb Jahre nach Ausbruch des Aufstandes gegen Assad sich die neuen Medien in einer Umbruchphase befinden:

    "Die Revolutionsmedien entwickeln sich weiter. Einige werden zum Sprachrohr bestimmter politischer Gruppierungen und werden auch von ihnen finanziert. Andere gehen ein, weil ehrenamtliche Arbeit unter diesen schwierigen Bedingungen in Syrien nicht mehr tragbar ist. Wiederum andere professionalisieren sich und schlagen einen neuen Weg ein."