Samstag, 20. April 2024

Archiv

Revolutionen
"Ausgesprochen emotionale Ereignisse"

Der Begriff Revolution würde heute vorschnell für viele Dinge verwendet, etwa für den Brexit oder die Wahl Trumps, sagte der Publizist Gero von Randow im Deutschlandfunk. Für ihn seien Kriterien für eine Revolution der Freiheitsdrang und die körperliche Beteiligung von Volksmassen - herrschende Kleptokratien würden ihre Dynamik oft falsch einschätzen.

Gero von Randow im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 05.03.2017
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland.
    Die Februarrevolution 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland. (dpa / picture alliance / Ria Novosti)
    Maja Ellmenreich: Revolution herrscht immer und überall, möchte man meinen: Wenn man allein durch die Zeitungen der vergangenen Tage blättert, dann begegnet einem das Wort immer wieder. Das Wort, das mit einem einzigen R aus der gemächlich fortschreitenden Evolution gleich eine radikale Umwälzung, die Revolution, werden lässt. Die Auswirkungen der jüngsten Revolutionen zum Beispiel beschäftigen die Welt weiterhin: die der arabischen von 2011 und der ukrainischen von 2014. Erinnert wurde in der vergangenen Woche auch an die Februar-Revolution von 1917, mit der Russlands Geschichte als Monarchie endete. Und – zum Filmstart von "Der junge Marx" an diesem Kinodonnerstag – wird der Vorabend der industriellen Revolution zum Leben wiedererweckt, zumindest auf der Leinwand.
    - Der Journalist und Publizist Gero von Randow - er ist auch Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" – er hat sich ausführlich mit dem Phänomen der "Revolution" beschäftigt. Vor Kurzem ist sein Buch "Wenn das Volk sich erhebt – Schönheit und Schrecken der Revolution" erschienen. Herr von Randow, wimmelt es in der Weltgeschichte tatsächlich von Revolutionen? Oder ist das bloß ein falscher Eindruck, weil diese politischen, gesellschaftlichen Wendepunkte so viel hergeben an großen Gefühlen und dramatischen Geschichten, dass wir sie besonders gut erinnern?
    Gero von Randow: Ich glaube, Sie haben mit dem zweiten Punkt vollkommen Recht. Das Typische in der Weltgeschichte sind nicht die Revolutionen, wenngleich es fast immer Revolutionäre gegeben hat. Aber in der Tat: Es sind ausgesprochen emotionale Ereignisse, große Gefühlsereignisse, und deswegen sind sie so präsent in unserem Bewusstsein.
    Ellmenreich: Aber sind sie so etwas wie Beschleuniger der Geschichte? Die bringen irgendwie Tempo in doch eher zähe Geschichtsverläufe.
    von Randow: Das ist auch das Problem. Wenn der Geschichtsverlauf zu zäh ist und wenn nichts vorangehen will und wenn die alten Institutionen versuchen, die Veränderungen zu verhindern und den Deckel auf den Topf zu drücken, dann baut sich Spannung auf. Und wenn es nicht anders geht, dann wird diese Spannung gesprengt durch einen revolutionären Prozess.
    Ellmenreich: Sie haben jetzt gerade den Topf genannt. Kann man diese Definition vielleicht von der Küche auch in die Physik holen und versuchen, es so herzuleiten: Druck erzeugt irgendwann Gegendruck und wenn der dann zu hoch ist, sucht er sich ein Ventil?
    von Randow: Ja, so kann man es sagen. Ich habe mal bei der Bundeswehr eine Sprengausbildung gemacht und gelernt: Wenn Sie die brisante Mischung einkapseln, in Metall zum Beispiel, dann knallt es erst recht. Dann entsteht diese unglaubliche Detonation. Und wenn eine Diktatur beispielsweise, wie ich es in Tunesien erlebt habe, nicht bereit ist, dem Veränderungsdruck nachzugeben, dann kann es durchaus sein, dass diese Fesseln gesprengt werden in einem gewaltsamen plötzlichen Akt. Das sieht dann wie Beschleunigung aus, aber im Grunde genommen wird nur eine Veränderung nachgeholt, die schon lange fällig war.
    Ellmenreich: Von außen lässt sich das gut beobachten, aber Diktaturen wollen das nicht sehen, sind blind für solche Ereignisse, für solche nahenden und irgendwie auch zwangsläufigen Ereignisse?
    "Eine herrschende Kleptokratie ist nicht an der Zukunft des Landes interessiert"
    von Randow: Das muss nicht so sein, aber das ist sehr typisch, weil das Leben kurz ist. Und eine herrschende Kleptokratie, wie man sie in Tunesien hatte, ist nicht unbedingt daran interessiert, an der Zukunft eines Landes, sondern unmittelbar an der Gegenwart, in der sie sich bereichern können.
    Ellmenreich: Was genau macht das Faszinosum von Revolutionen aus, jetzt mal nicht was die Beteiligten angeht, die, die mittendrin stecken, sondern wir vielleicht, die von außen draufschauen? Ist es die Tatsache, dass es um alles oder nichts geht, dass es auch eine existenzielle Erfahrung ist, weil in dem Moment alles möglich zu sein scheint?
    von Randow: Da gibt es noch mehr, aber das ist bestimmt ein ganz wichtiger Punkt, dass die Beteiligten wirklich glauben, jetzt ist die Geschichte offen. Und es stellt sich jedes Mal dieses Gefühl ein, endlich ist die bleierne Zeit vorbei. Das ist natürlich auch sehr illusionär, es kommt eigentlich nie so, aber es ist ein schönes Gefühl, dieses Gefühl der Offenheit und der Freiheit.
    Ellmenreich: Woran erkennen Sie eine Revolution? An welchen Eigenschaften machen Sie das fest, bevor Sie von einer Revolution sprechen?
    von Randow: In dem Buch gebe ich keine. Es ist kein wissenschaftliches Buch und ich gebe auch keine wissenschaftliche Definition. Ich glaube, es gibt auch keine. Es sind eher Beschreibungen. Aber was definitiv zu einer Revolution dazugehört, sind zwei Dinge. Das eine ist eine starke körperliche, physische Beteiligung der Bevölkerung und das Zweite – da halte ich es mit dem Mathematiker Condorzet, ein Teilnehmer der Französischen Revolution, der sagte, man sollte dieses Wort nur auf Veränderungen anwenden, deren Ziel die Freiheit war. Weshalb es auch nicht klug ist, heutzutage zum Beispiel bei Trump von Revolutionär zu sprechen, nur weil er ein System zerschlagen will. Das wollten auch andere. Aber dieses Kriterium des Freiheitsdrangs und der körperlichen Beteiligung von Volksmassen, die auf die Straßen gehen, die die Herrschenden in Bedrängnis bringen, das sind ja alles Elemente, die fehlen.
    Ellmenreich: Wenn das Volk sich erhebt - so haben Sie ja Ihr Buch genannt -, dann gilt das nicht für das Volk, das sich - Stichwort Brexit, Stichwort jüngste US-Wahl - mittels Kreuzchen auf dem Wahlzettel erhebt?
    "Eine Revolution kann man nicht wählen"
    von Randow: Nein. Eine Revolution kann man nicht wählen. Im Gegenteil! Funktionierende Wahlen sind eher ein Mittel, eine Revolution zu verhindern. Außerdem: Man muss einfach überlegen, welche Konsequenzen das hätte, wenn man alle diese Veränderungsprozesse, mögen sie noch so schlagartig sein, als Revolution bezeichnet. Was wären denn dann diejenigen, die mit ihren rosa Mützen, den Pussy Hats in Amerika demonstriert haben? Wären das dann Konterrevolutionäre? Wenn man so weit geht, dann verliert dieser Begriff der Revolution seinen Inhalt und wird beliebig und man kann ihn dann auf alles anwenden.
    Ellmenreich: Also gebrauchen wir das Wort für Ihren Geschmack zu häufig?
    von Randow: Ja, definitiv! Wenn man mal googelt, dann haben wir überall Revolutionen im Badezimmer, in der Zahnpflege, im Hi-Fi-Bereich und sonst wo.
    Ellmenreich: Was ist denn mit der digitalen Revolution zum Beispiel, die ja für die einen schon längst Geschichte ist, aber für andere immer noch eine große Herausforderung ist? Würden Sie so einen Umwälzungsprozess, würden Sie da das Wort Revolution gelten lassen?
    von Randow: Ja man sollte da nicht zu dogmatisch sein. Metaphorisch kann man das sicherlich auf beliebige Vorgänge anwenden. Was ich aber meine und wovon ich schreibe, sind Revolutionen im engen Sinne, wenn das Volk sich erhebt.
    Ellmenreich: Dann lassen Sie uns auf genau diese Revolutionen schauen. Wer oder was sind denn eigentlich Feinde von Revolutionen, Zaghaftigkeit, Skrupel?
    "Feind der Veränderung ist die Bequemlichkeit und die Feigheit"
    von Randow: Es gab im 16. Jahrhundert einen französischen Studenten, la Boissiere. Der hat eine Rede über die freiwillige Knechtschaft geschrieben. Und er hat geschrieben, dass auch diejenigen, die die Macht haben, eigentlich nur zwei Beine und zwei Arme und einen Kopf haben und dass letztlich die Unterdrückung vom Gehorchen kommt und nicht umgekehrt. Und deswegen in der Tat ist der Feind der Veränderung in einem unterdrückenden Regime, ist der Feind der Veränderung die Bequemlichkeit und die Feigheit.
    Ellmenreich: Haben denn Revolutionsprozesse, wenn sie erst mal in Gang gesetzt wurden, haben die so was wie ein Eigenleben? Besitzen die eine eigene Dynamik, die losgelöst ist von den Menschen, die sie vielleicht ganz im Kern ursprünglich ausgelöst beziehungsweise erträumt haben?
    von Randow: In gewisser Hinsicht schon. Das sind ja Prozesse, die sich selbst verstärken. Man ist halt mit Gleichgesinnten zusammen und jeder möchte den anderen überbieten an Radikalität, was auch gewissermaßen notwendig ist, damit eine Revolution zu ihrem Ziel kommt. Sie schießt dann auch meistens ein bisschen über das Ziel hinaus und wird zu radikal, wird zurückgenommen, das ist dann ihr Ende. Und danach besieht man sich das, was angerichtet wurde, und die Geschichte verläuft auf einem anderen Pfad.
    Ellmenreich: Oder sie scheitert. – Nun sind gescheiterte Revolutionen ja nicht selten. Jetzt wollen wir hier keine Gebrauchsanleitung verfassen, aber welche Fehler begehen denn Revolutionäre Ihrer Beobachtung nach am häufigsten, bevor die Sache scheitert?
    von Randow: Ich glaube ja nicht, dass Revolutionen scheitern können, weil revolutionäre Anläufe scheitern sogar meistens, aber ich stelle mir unter diesem Prozess doch etwas sehr Langfristiges vor. Sehen Sie, die Franzosen oder auch die Deutschen haben weit über 100 Jahre gebraucht, Revolutionsgeschichte, bis sie anständige Demokratien hatten. So was dauert eben lange. Und auch diese Arabische Revolution, von der man jetzt sagt, sie sei gescheitert, da kann ich nur sagen: Es war der erste Anlauf oder der eineinhalbte Anlauf. Es hat 1988 schon einen in Algerien gegeben. Aber das sind Anläufe und die werden wiederkommen, wenn die Regimes sich nicht verändern. Was können Revolutionäre falsch machen? – Ja alles! Ich glaube auch nicht, dass die Revolutionäre die Dinge in der Hand halten. Sie können teilweise auf der Woge surfen und dann gehen Sie unter wie jeder Surfer. Das sind historische Prozesse, die niemand steuert.
    Ellmenreich: Wenn es mehrere Anläufe braucht, wie Sie gerade beschrieben haben, dann kann man wahrscheinlich den Erfolg einer Revolution nur schwer messen, weil man gar nicht genau weiß, wann sie aufhört?
    "Erfolg lässt sich an der Präsenz im Bewusstsein messen"
    von Randow: So ist es ganz bestimmt. Den Erfolg einer Revolution kann man vielleicht daran messen, wie präsent sie im Bewusstsein eines Volkes ist. Die Französische Revolution, alles in allem genommen, war schon ein Erfolg, was auch damit zu tun hat, dass selbst heute noch ihre Hauptlosung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" die offizielle Losung der Französischen Republik ist.
    Ellmenreich: Von Theodor Fontane stammt der Satz: "Wer mit 19 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Revolutionär ist, der hat keinen Verstand." Gibt es so eine Verknüpfung zwischen Alter und Revolutionsbereitschaft? Haben Sie so etwas beobachtet?
    von Randow: Das hat man mir, als ich mich linksradikal engagierte in meiner Jugendzeit, ja auch gesagt und ich habe diesen Spruch gehasst. Aber er ist natürlich wahr. Es gibt eine Arbeitsteilung zwischen den Generationen, die entsteht ganz natürlich. Es gibt da sehr schöne Zitate. Ich habe da einen Studenten aus dem 19. Jahrhundert, der sagte, wir sind noch nicht verbraucht, wir sind noch neu, wir mussten nicht in den Vorzimmern schon unsere Courage abgeben, wir haben noch nicht diese ganzen Kompromisse eingehen müssen. Das ist ein Faktor.
    Und der zweite Faktor ist: Es ist sehr aufreibend, sich als Revolutionär zu verstehen und an der Veränderung der Verhältnisse und möglichst auch an einer rapiden Veränderung teilnehmen zu wollen. Es ist sehr aufreibend. Das ist eher was für junge Leute.
    Ellmenreich: Gero von Randow, lassen Sie uns zum Schluss noch mal vielleicht in die Glaskugel schauen. Sie haben vorhin schon gesagt, dass die jüngste US-Wahl, auch der Brexit für Sie keine Revolutionen seien. Wo sehen Sie denn vielleicht die nächste Revolution heraufziehen, die vielleicht noch gar keinen Namen trägt als Revolution?
    von Randow: Ich würde übrigens nicht sagen, dass ich auf Revolutionen hoffe, weil es letztlich vermeidbare Unglücksfälle der Geschichte sind. Aber sie werden unvermeidbar, wenn sich Systeme nicht ändern. Und diese Erstarrung der Systeme sehe ich leider in Nordafrika. Ich nehme an, dass sich grundlegende Veränderungen im arabischen Raum nur erzielen lassen, wenn die Bevölkerung sich wieder einbringt und eventuell auch den Weg einer Revolution geht oder eines Aufstandes. Das kann sehr gut sein. Wir sehen übrigens auch – das ist noch keine Revolution, das ist schon beeindruckend -, wie das Volk in einem Land wie Rumänien gegen seine kleptokratische und korrupte Führungsschicht auf die Straßen geht und einen Kompromiss nach dem anderen erzwingt. So etwas kann zu einer Revolution werden - durchaus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.