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Rezension "Steueroase Deutschland"
Zutaten für den Schattenfinanzplatz

Durch den Betrug und durch Steuerflucht entgeht dem Fiskus nach wie vor viel Geld. Und gerade Deutschland spielt hier eine sehr unrühmliche Rolle, wie der Steuerspezialist Markus Meinzer in seinem Buch "Steueroase Deutschland" berichtet.

Von Jule Reimer | 11.01.2016
    Mittels sogenannter Steuer-CDs erhielten Behörden Informationen über mutmaßliche Steuerhinterzieher.
    Mittels sogenannter Steuer-CDs erhielten Behörden Informationen über mutmaßliche Steuerhinterzieher. (dpa / picture alliance / Jan-Peter Kasper)
    Man nehme keine oder geringe Steuern, Verzicht auf Informationsaustausch, Ausschluss der Öffentlichkeit bei Finanzstrafverfahren sowie eine geringe Wirtschaftsaktivität: Fertig ist der Schattenfinanzplatz. Wer die 288 Seiten von Markus Meinzers Buch gelesen hat, kann gar nicht anders als dem Titel "Steueroase Deutschland" zuzustimmen: Denn drei von diesen vier Kriterien, die die Denkfabrik OECD einst aufstellte, treffen auch auf Deutschland zu.
    Markus Meinzer weiß seine These von der Verschattung des hiesigen Finanzplatzes vielseitig zu belegen. Da gibt es zum Beispiel die Liste Lagarde. Eine CD voller Daten griechischer Steuersünder. Zugespielt wurde sie der jetzigen IWF-Chefin Christine Lagarde, als sie noch französische Finanzministerin war. Lagarde übergab die CD 2010 Griechenlands Regierung, wo sie erst verschwand, dann wieder auftauchte. Doch rund um die Liste rankt sich ein Missverständnis:
    "Es geht bei der Lagarde-Liste nicht nur um griechische Anleger bei der HSBC-Privatbank, sondern es geht um 100.000 Anleger aus der ganzen Welt, die dort ihr Geld versteckt hatten, darunter viele wohlhabende Griechen, aber auch viele wohlhabende Deutsche, die ihr Geld dort angelegt hatten. In Nordrhein-Westfalen, wo viele Informationen für die Recherchen dieses Buches bereitgestellt wurden, kam heraus, dass in keinem einzigen von 260 Fällen Anklage erhoben wurde. Für den Rest der Bundesrepublik fehlen jegliche Informationen. Und das zeigt das Grundproblem der Steueroase Deutschland."
    Auch Deutschland hat ein Problem
    Dieses lautet: Staatlich gedeckte Verschwiegenheit und Diskretion waren bislang keinesfalls nur eine Eigenschaft von Bankern in der Schweiz oder auf den Cayman Islands.
    "Es gibt Recherchen von Schweizer Journalisten, die zeigen, wie sie bei acht süddeutschen Banken Geld verstecken wollten, dabei ganz offen dargelegt haben, dass sie Schwarzgeld hier haben. Die wurden ähnlich behandelt wie umgekehrt in der Schweiz deutsche Anleger. Sie wurden willkommen geheißen, es wurde versichert, dass man keine Nachforschungen anstellen würde. Und obendrein bot eine Bank sogar einen Postrückhalteservice an, dass die Post ja nicht über die Grenze kommen und dort für Aufsehen sorgen könnte."
    Und so konnte Deutschland in den zurückliegenden Jahrzehnten Steuersündern aus aller Welt ebenso wie Diktatoren als Fluchtburg dienen. Möglich macht dies eine nationale Gesetzgebung, die Vorgaben der Europäischen Union großzügig auslegt und Bankern und Anlegern ausreichende Schlupflöcher gewährt. Weder deutsche Banker noch deutsche Behörden haben bislang die Pflicht und die Infrastruktur, etwa nigerianischen Steuerfahndern bei der Suche nach in Deutschland angelegten Diktatorengeldern behilflich zu sein.
    "Wir haben laut Bundesbankdaten in Deutschland zwischen 2,5 und 3 Billionen Euro an unversteuerten, verzinsten Anlagen von Steuerausländern. Und nur ein Hundertstel davon sind von der Zinsrichtlinie erfasst. Das heißt, wir haben 99 Prozent dieser Gelder, deren Zinserträge niemals in die Heimatländer gemeldet werden. Also ist Deutschland ähnlich wie die Schweiz eine Steuerfluchtburg."
    Gründe für die Steuerhinterziehung in Deutschland
    Wenn jedoch das Vermögen eines Anlegers das Ergebnis illegaler Steuerhinterziehung ist, wieso kann dieses Geld hier legal angelegt werden? Viele Kniffe machen es möglich: Angefangen beim engen Anwendungsbereich der deutschen Abgeltungsteuer und interessant konstruierten "eigentümerlosen Vermögen", über lasche Strafen für Banker, die ihre Kunden nicht durchleuchten bis hin zu deutschen Geldwäscheregeln, die Steuerhinterziehung nur in Ausnahmefällen als strafbare Vortat definieren.
    "Das ist eine Komplexität hier der Finanzindustrie mit weltweiter Korruption und Steuerhinterziehung, die sucht seinesgleichen."
    Dass Deutschland sich bislang so wenig gegen ausländische Steuerhinterziehung engagieren musste, liegt auch an den europäischen Rahmengesetzen, die ihrerseits diese Schlupflöcher zulassen.
    "In Deutschland haben wir wegen des Einflusses Deutschlands auf die europäische Geldwäschepolitik hier genau haarscharf die Regulierung, die es Deutschland ermöglicht, die Steuerhinterziehung nicht zu ahnden und hier offene Türen für unversteuerte Gelder aus aller Welt aufzustoßen."
    "Steueroase Deutschland" blickt viel in die Geschichte der Steuerhinterziehung, das Buch liest sich ausgesprochen flüssig und streckenweise wie ein Wirtschaftskrimi. Autor Meinzer, der zum Vorstand des internationalen Tax Justice Network gehört, lässt keine Zweifel an seiner moralisierenden Grundhaltung. Er sieht die wohlhabenden Eliten in der Pflicht, sich angemessen an der Finanzierung des Gemeinwesens zu beteiligen – und das auch global.
    Großzügiges Zugehen auf Großkonzerne
    Denn wer bislang meinte, nur Luxemburger Steuerbehörden unterstützten Großkonzerne bei der Steuervermeidung in ihren Heimatstaaten - Stichwort Luxleaks -, sieht sich nach der Lektüre eines Besseren belehrt. Der bayrischen Staatsregierung bescheinigt der Autor einen gezielt laxen Einsatz von Betriebsprüfern. Im Zielkonflikt zwischen Standortpolitik und Steuergerechtigkeit erhalten Großkonzerne in Deutschland durchaus Beratung vom Finanzamt ihres Vertrauens.
    "Besonders während einer Betriebsprüfung ist es in einigen Bundesländern durchaus möglich, dass man hier mit der Finanzverwaltung sehr offen und direkt darüber sprechen kann, wie man bestimmte grenzüberschreitende Verrechnungspreissachverhalte – und darum ging es bei Luxleaks - behandeln würde steuerlich."
    Mehr Transparenz lautet deshalb die zentrale Forderung des Autors. Wie bereits die Banken müssten auch Konzerne weltweit verpflichtet werden, Umsatz, Gewinne und Steuern für jedes Land einzeln auszuweisen – eine Entscheidung, die auf europäischer Ebene im Rahmen der Aktionärsrichtlinie ansteht, jedoch laut Meinzer ausgerechnet vom SPD-geführten deutschen Justizministerium blockiert wird.
    Meinzer und seinen Mitstreitern vom kirchlich finanzierten Netzwerk für Steuergerechtigkeit geht es auch ums große Ganze - um die unwürdige Abhängigkeit der Entwicklungsländer. Deren Finanzsituation wäre um vieles besser, wenn Diktatoren es nicht so leicht gehabt hätten, illegal angeeignete Gelder in die Schweiz, nach Deutschland oder die USA zu schaufeln.
    Immerhin werden es Geldwäscher und Steuerhinterzieher ab jetzt etwas schwerer haben. Seit Januar führen 100 Staaten untereinander einen automatisierten Informationsaustausch für Vermögensanlagen ein – 2017 werden die ersten Kontoauszüge von Steuerausländern automatisiert und digital über Grenzen hinweg an die jeweils heimischen Steuerbehörden geliefert.
    Buchinfos:
    Markus Meinzer: "Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen", 288 Seiten, Verlag C.H.Beck, Preis: 14,95 Euro