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Rheinland-Pfalz
Wie der Alleebau versagt

Zwar wird die "Deutsche Alleenstraße" als touristisches Highlight vermarktet. Die Realität sieht allerdings ernüchternd aus. Denn die Bäume am Straßenrand haben es schwer - mächtige Lobbyisten mögen sie gar nicht und dem Alltag im Straßenverkehr sind auch nicht alle Jungbäume gewachsen.

Von Anke Petermann | 20.07.2016
    Allee mit herbstlich verfärbten Birken bei Speyer.
    Allee bei Speyer: In Rheinland-Pfalz stoßen Baumalleen an ihre Grenzen. (picture alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Der kurze Allee-Abschnitt kurz vorm Ortsausgang von Bad Kreuznach ist in Sekunden durchquert. Es folgt eine einseitige Baumreihe. Und auch die endet hinterm Ortsschild. Was sich tun lässt, um hier eine Allee entstehen zu lassen - drei Männer vom örtlichen LBM, dem Landesbetrieb Mobilität, wollen das gemeinsam mit Jürgen Joras vom ADAC Mittelrhein erkunden. Sie lenken ihr Auto rechts ran, steigen aus, streifen orangefarbene Westen über. Thomas Fischer wiegt bedenklich den Kopf.
    "Nur 2,50 Meter Abstand zur Fahrbahn!"
    Entwässerungsmulde, Radweg, Weinberge säumen die Straße. Bäume könnte er deshalb nur mit zweieinhalb Meter Abstand pflanzen, fünf weniger als die neuen Sicherheitsrichtlinien vorschreiben. Fischer schaut zum Chef. Norbert Olk senkt den Daumen für die eine Straßenseite und wedelt für die andere mit der Hand die Bedenken weg.
    "Wir sind hier im Altbereich. Das ist Lückenschluss. Mehr ist das nicht. Darum auch nicht so viele: vier, fünf, bis hier runter."
    Eine Handvoll neuer Bäume - gebongt. Weil sie Anhängsel einer alten Baumreihe sind, dürfen sie näher am Straßenrand stehen als die eigentlich vorgeschriebenen 7,50 Meter. Auf jeder Seite 7,50 Meter Sicherheitsabstand plus Straßenbreite ergeben mehr als 20 Meter Abstand zwischen zwei Baumreihen – die Neuzeit-Allee kann also gar nicht mehr zum Hain zusammenwachsen.
    Die Lücke ist Programm
    Hier hinter Bad Kreuznach sowieso nicht, denn die neuen Bäumchen müssen ja auf ein Gegenüber verzichten. Das Loch in der Alleenstraße bleibt auch nach der geplanten Neupflanzung. Lücke ist sozusagen Programm, vor allem da, wo der Verlauf der "Deutschen Alleenstraße" mit der "Naheweinstraße" identisch ist.
    "Hier ist halt ganz problematisch, die Anlieger, die Winzer, kämpfen gegen jeden Baum."
    Bäume werfen Schatten auf Weinreben, Winzer mögen sie deshalb nicht. Bäume sind hölzerne Unfallrisiken.
    Bäume treten nicht zur Seite
    Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat e. V. ist deshalb strikt gegen eine Willkommenskultur für Alleebäume. Die Versicherungswirtschaft hat in diesem Verein ein gewichtiges Wort mitzureden. Er propagiert die "Fehler verzeihende Straße", an der kein Hindernis mehr Unfalltod oder Schwerverletzte verursachen soll. Doch bislang ist es keiner Baumschule gelungen, Fehler verzeihende Linden und Kastanien zu erziehen.
    "Ein Alleebaum weicht nicht aus", gibt Jürgen Joras zu, andererseits springe er ja auch nicht auf die Fahrbahn. Der ehrenamtliche ADAC-Touristikexperte setzt sich wieder ins Auto, folgt den Männern vom LBM und schiebt nach:
    "Wenn ich mich falsch verhalte im Straßenverkehr, dann nutzt mir auch ein Slogan "Fehler verzeihende Straße" nichts, dann sind die Probleme da."
    Nächste Station Richtung Bad Sobernheim. Norbert Olk, Herr der Straßen in der Kreuznacher Region, winkt ab: Bahnlinie zur Linken, baumfeindliche Winzer als Grundstückseigner zur Rechten – kein Platz für Alleebäume.
    Deutsche Bahn frisiert schlecht
    Der eine Baum, der da steht und noch keine Allee macht, sieht aus wie schlecht frisiert. Zur einen Seite ragen die Äste weit über die Straße, auf der anderen sind sie rasiert, sodass kein Zweiglein oberhalb der Schienen wächst.
    "Die Bahn will ihren Bahnkörper ja freihalten. Dann schneiden die im Vorbeifahren diese Äste, die da mehr oder weniger drüber ragen, ab. Der Baum wird also beschädigt – ist ja ein Lebewesen – und verwundet. Und auf der anderen Seite ist die Statik des Baums nicht mehr gewährleistet, der ja normalerweise eine runde Krone hat. Und hier wächst die einseitig über die Straße."
    Erläutert Joras und prophezeit:
    "Über kurz oder lang werden diese Äste abbrechen und liegen auf der Straße rum. Da macht sich aber die Bahn keine Gedanken."
    Alleebäume, die Äste verlieren – geht gar nicht. Früher oder später muss der von der Bahn verunstaltete vermutlich abgeholzt werden.
    "Fahren wir weiter!"
    Gut, dass ab und an Schilder darauf hinweisen, dass wir die "Deutsche Alleenstraße" befahren. "Lückenhafte Baumreihenpiste" wäre zweifellos passender, lässt sich aber touristisch schwer vermarkten.
    Ein paar Kilometer weiter Richtung Hunsrück ein sonniger, trockener Hang mit ein paar mickrigen Spitzahornen hinter einer Schutzplanke. Das Zeug zum stattlichen Alleebaum, weiß Thomas Fischer, hat nicht jeder.
    "Wir haben ja keinen Vorgarten, sondern wir haben die Bäume an der freien Strecke. Die werden drei Jahre unterhalten und dann müssen sie selbst durchkommen. Und von denen sind leider nur ein paar durchgekommen, es haben leider nicht alle geschafft. Wenn wir die pflanzen als Hochstamm, dann kommen die aus einer verwöhnten Baumschule und tun sich dann extrem schwer, sich an trockenen Hängen langfristig zu etablieren. Gehätschelt und verzogen auf der Baum-Penne, nicht fähig, sich ans harte Leben hinter einer Schutzplanke zu gewöhnen, angerempelt von Mähmaschinen der Straßenmeisterei."
    Verzogene Zöglinge
    Fischer klingt ein wenig genervt vom grünen Nachwuchs.
    Im Allee-Pisa-Test ist der deutsche Baumschüler durchgefallen: Tritt nicht höflich zur Seite, nimmt jeden Fahrfehler übel, wirft sein Geäst achtlos von sich und ist nicht tough genug, eine Trockenperiode durchzustehen.
    Kein Wunder also, dass der Straßenbaum nicht zum Serienmodell taugt. So sehr sich die Männer vom ADAC und LBM auch mühen – gegen den Widerstand von Winzern, Eisenbahnern und Unfallversicherern werden sie das Blätterdach über der "Deutschen Alleenstraße" kaum schließen können.