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Rhönraderfinder Otto Feick
Patent für zwei Reifen und sechs Sprossen

Hätte der politisch aktive Eisenbahnschlosser Otto Feick nicht wegen Sabotage im Gefängnis gesessen, wäre das Rhönrad vielleicht niemals in Serie gegangen. In der Haft erinnert er sich an ein Experiment aus Kindertagen. Nach seiner Entlassung wird sein Traum Wirklichkeit: Am 8. November 1925 erhält Otto Feick das Patent auf sein Rhönrad.

Von Thomas Jaedicke | 08.11.2015
    Eine junge Teilnehmerin turnt am im Mai 2013 in Mannheim während der Deutschen Meisterschaften im Rhönradturnen eine Übung.
    Der politische Aktivist erfüllt sich mit der Erfindung des Rhönrades und dem Erhalt des Patents 1925 einen Kindheitstraum. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    "Als Schuljunge ließ ich in Reichenbach zwei von mir miteinander leidlich verbundene Radreifen, die ich mir aus der Dorfschmiede meines Großvaters holte, einen kleinen Hang hinunterrollen."
    Otto Feick sitzt 1921 in einer düsteren Mainzer Gefängniszelle, als er sich, wie er später in seinen Erinnerungen schreibt, an ein Experiment seiner Kindheit erinnert. Aufrecht zwischen den beiden Reifen stehend, kullerte er die Wiese hinter seinem Elternhaus hinunter.
    "Ich stellte mich dann in dieses wackelige Vehikel hinein, band die Füße mit Schnur fest, hielt mich dabei an den Reifen, welcher mir beim Rollen die Finger quetschte."
    Ein populärer Aktivist hinter Gittern
    Doch jetzt ist der 31-jährige Eisenbahnschlosser hinter Gittern: Die Franzosen, die die Pfalz seit dem Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 besetzt halten, haben Otto Feick und andere Kollegen wegen Sabotage verurteilt. Voll beladene Güterzüge, die von Ludwigshafen nach Frankreich rollen sollten, wurden von den Eisenbahnern nicht abgefertigt oder entgleisten "aus heiterem Himmel".
    Otto Feick war politisch aktiv. 1919 gründete er einen Arbeitersportverein. Nur wer fit ist, kann seine kostbare Arbeitskraft erhalten, so das Credo der Bewegung. Der parteilose Gewerkschafter kämpfte für bessere soziale Verhältnisse. Schon am Tag nach seiner Verhaftung gingen in Ludwigshafen 20.000 auf die Straße, um seine Freilassung zu erzwingen. Doch der populäre Aktivist muss noch zwei Jahre absitzen.
    "1923 war ein Jahr, da wurden im Laufe des Jahres aus der Pfalz 5.000 Eisenbahner ausgewiesen von den Franzosen. Und Feick wurde dann ´23 auch ausgewiesen aus der Pfalz, und er ist dann in die Rhön gezogen, wo seine Frau herstammte."
    Vom metallenen Ungetüm zum Exportschlager
    Gerd Häßel kommt wie Otto Feick aus Reichenbach in der Pfalz. Seit 45 Jahren sammelt er Material über den vielseitigen Tüftler, der am 8. November 1925 das Patent für seinen Kindheitstraum, das Rhönrad, erhält. In der Rhön gründet Feick eine kleine Metallwerkstatt, wo er mit zwei Kollegen die Produktion aufnimmt. 80 bis 100 Reichsmark kostet damals so ein metallenes Ungetüm; trotz des ziemlich hohen Preises dauert es nicht lange, bis die ersten Rhönräder bei Sportfesten auftauchen.
    "Eine Stunde lang sind sie einmarschiert. 40.000 deutsche Jungs und Männer. 20.000 Mädels."
    Obwohl die Nationalsozialisten - wie zum Beispiel beim großen Deutschen Turnfest 1933 in Stuttgart - immer wieder auf die imposante optische Wirkung der in Reihe und Glied rollenden Räder setzen, können die konservativen Turnvereine mit dem beweglichen Turnmöbel nichts anfangen.
    Gegen den Widerstand im eigenen Land versucht Otto Feick nun umso intensiver, aus seinem sperrigen Sportgerät einen Exportschlager, ein weltweites "Must-have", zu machen.
    "Zu seiner Zeit, also in den 30er-Jahren, war er schon in gewisser Weise ein Superstar. Feick selbst hatte ja so eine Turntruppe zusammengestellt und ist mit denen in der ganzen Welt rumgereist.
    In Europa gab es kein Land, wo er nicht war und auch USA natürlich."
    Leben am finanziellen Abgrund
    "Zehntausend Räder rollen um die Welt", titelt 1937 eine Zeitschrift. Nach einer Vorführung vor dem britischen Königshaus werden Piloten der Royal Air Force zwecks kostengünstiger Simulation von Flugabläufen zum Rhönradturnen verpflichtet.
    Illustrierte Blätter drucken eindrucksvolle Bilder schwungvoll rotierender Rhönräder auf New Yorker Wolkenkratzern. Doch die ausgedehnten Vermarktungstourneen von Otto Feicks bunter Artistentruppe, die er überwiegend selbst finanziert, sind kostspielig. Immer wieder jongliert Feick am finanziellen Abgrund, muss teilweise sogar die Patentrechte verpfänden. Dann kommt der nächste Krieg.
    "Und nach dem Krieg, da war Deutschland ja nach wie vor nicht beliebt. Und das Rhönrad war ein deutsches Rad oder ein Nazi-Rad teilweise auch. Da hat man dann auch in anderen Ländern Abstand davon genommen."
    Zwar gibt es inzwischen sogar Weltmeisterschaften, aber auch in Otto Feicks Mutterland ist das Rhönradturnen nie über den Status einer Randsportart hinausgekommen. Der Erfinder des Rhönrads, Otto Feick, starb 1959, 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, gesundheitlich angeschlagen und völlig verarmt in der Rhön.