Archiv


Rhythmus der Bauchspeicheldrüse

Medizin. - Bei dem Begriff Anatomie fällt der Gedanke schnell auf Bilder von Knochen, Muskeln, Blutgefäßen und Organen. Doch längst ist der medizinische Fachbereich viel tiefer in das Detail gestiegen und widmet sich feinsten Strukturen bis hinunter auf molekulare Ebene. Daher überrascht auch nicht, wenn sich Schwerpunkte der 97. Versammlung der "Anatomischen Gesellschaft" in Halle beispielsweise der interzellulären Kommunikation oder der Chronoendokrinologie - der Frage, wie Hormone unseren Tag- Nacht-Rhythmus beeinflussen - widmen.

    Ein entscheidender Taktgeber für den Einklang der Stoffwechselprozesse mit dem täglichen 24-Stunden-Rhythmus Stoffwechselprozesse in unserem Körper ist das Hormon Melatonin. Gebildet wird der Botenstoff in der Zirbeldrüse, der so genannten Epiphyse, und gelangt von dort in die Blutbahn. Auf diesem Weg wandert das Hormon zu all jenen Zellen, die seine Information mittels passenden Rezeptoren interpretieren können. Solche Zellen, so nahmen Mediziner bislang an, existierten ausschließlich im Gehirn. Professor Elmar Peschke, Anatom an der Martin-Luther-Universität in Halle entdeckte jetzt Melatoninrezeptoren an einer ganz anderen Stelle - in der Bauchspeicheldrüse: "Dieses wichtige Hormon, das zur Mechanistik unserer inneren Uhr gehört, nimmt offenbar entscheidenden Einfluss auch auf die Insulinsekretion." Über den so genannten Melatonin-1A-Rezeptor dämpfe der Botenstoff die Freisetzung des Blutzuckerregulators Insulin.

    Bislang gingen Wissenschaftler davon aus, allein die Nahrungsaufnahme steuere die Insulinproduktion. Sobald wir essen, wird über einen Reflexbogen vom Dünndarm die Bauchspeicheldrüse informiert und beginnt mit der Ausschüttung von Insulin, das dann für die Einlagerung der Glukose in die Muskeln sorgt. Doch das Melatonin sorgt für ein Auf und Ab des Insulinspiegels unabhängig von Essen und Trinken, fanden die Hallenser Wissenschaftler heraus: "Als bei Versuchspersonen die Blutglukose über Infusionen konstant gehalten wurde, zeigte sich, dass in den Nachstunden, wenn der Melatoninspiegel hoch ist, der Insulinspiegel niedrig eingestellt ist, während es sich am Tag genau umgekehrt verhält." Eine zweite Überraschung erbrachten Experimente an isolierten Insulinzellen in der Petrischale: Sie zeigten selbst einen eigenständigen Aktivitätsrhythmus, ganz unabhängig von dem Einfluss des Melatonins, berichtet Peschke: "Dabei unterliegt die Insulinproduktion einem Rhythmus zwischen 22 bis 26 Stunden."

    Gaben die Mediziner etwas von dem Zeithormon auf die Zellen, dann blieb der 24 Stunden Turnus zwar erhalten, verschob sich aber etwas. Die isolierten Zellen in der Petrischale reagieren also genauso wie der gesamte Organismus auf eine Zeitverschiebung, wie etwa einem Jetlag. Daraus schlussfolgert Professor Elmar Peschke, dass der Rhythmus in den Langerhansschen Inseln, in denen die Insulinfabriken sitzen, selbst generiert werde. Inwieweit die Erkenntnisse der Anatomen für die Diabetes-Therapie genutzt werden kann, ist aber noch offen.

    [Quelle: Hartmut Schade]