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Richard Arnold über die Willkommenskultur
"Bürgermeister sollen sich an die Spitze der Bewegung setzen"

Der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, fordert von anderen Stadtoberhäuptern mehr Engagement für Flüchtlinge. Es sei nicht immer eine Frage des Geldes, sondern der Herangehensweise, sagte der CDU-Politiker im DLF. An der Basis würden aber auch mehr Ressourcen benötigt.

Richard Arnold im Gespräch mit Doris Simon | 08.10.2015
    Richard Arnold, Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, CDU
    Richard Arnold, Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, CDU (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Arnold sagte, in der Bevölkerung gebe ein "überwältigendes Engagement" und einen großen Willen, die Menschen aufzunehmen. "Und da appelliere ich auch, dass die Bürgermeister sich an die Spitze dieser Bewegung setzen." Wichtig sei vor allem Bildung. Die sei das wichtigste Mittel der Integration. Über Bildung würden Werte und "unsere Spielregeln" vermittelt. Der CDU-Politiker mahnte, wenn man für mehr Lehrer erst nach Geld frage und auf formalen Wege eine Stelle beantrage, funktioniere es nicht. "Dann ist die Katze den Baum rauf." Arnold betonte: "Es ist nicht immer eine Frage des Geldes, sondern des Herangehens."
    Er sprach sich auch gegen eine zentrale Unterbringung von Flüchtlingen aus. Die Menschen müssten schnell verteilt werden. Arnold sagte weiter, er habe in Schwäbisch Gmünd mit öffentlichen Aufrufen, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, viel erreicht. Auch Gespräche mit Besitzern von leerstehenden Gewerbeimmobilien seien erfolgreich gewesen. Der Oberbürgermeister sprach sich aber gegen Enteignungen aus. "Von Zwangsmaßnahmen halte ich nichts."
    Der CDU-Politiker forderte, die Kommunen müssten auch mehr Ressourcen für Integration bekommen. Eine Möglichkeit dafür wäre, das Instrument der "Gemeinschaftsaufgabe" zu nutzen. "Warum schaffen wir nicht eine Gemeinschaftsaufgabe für Integration und Flüchtlingsschutz?"

    Das Interview in voller Länge:
    Doris Simon: Was deutsche Städte und Gemeinden in den letzten Monaten geschafft haben, das lässt den berühmt berüchtigten deutschen Organisationsfimmel in einem ganz anderen Licht erscheinen. Niemals wäre es den Verwaltungen ohne Organisationswillen und Talent gelungen, in wenigen Monaten Hunderttausende von Menschen aufzunehmen, zu versorgen und ihnen wenigstens fürs erste ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Aber jetzt sagen viele in Städten und Gemeinden, Stopp, wir können nicht mehr, die Grenze ist erreicht. Sie fordern einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, so wie 34 CDU-Politiker und Funktionäre größtenteils von der Basis. Die haben gestern in einem offenen Brief kritisiert, die Kanzlerin vertrete nicht mehr CDU-Positionen in der Flüchtlingsfrage und ein großer Teil der CDU-Wähler fühle sich deshalb von der Regierung nicht mehr vertreten. - Richard Arnold (CDU) ist Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd und jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Richard Arnold: Guten Morgen.
    Simon: Herr Arnold, hätten Sie den offenen Brief an die Kanzlerin auch unterschrieben?
    Arnold: Nein, den hätte ich nicht unterschrieben, weil ich finde, dass wir Kurs halten sollten und dass wir mit Mut führen sollten. Ich bin da ganz bei der Kanzlerin.
    Simon: Was meinen Sie mit Kurs halten sollten?
    Arnold: Damit meine ich, dass die Menschen, die zu uns kommen, dass wir da die Menschen sehen mit ihren Fähigkeiten und Talenten, und dass die, die bei uns sind, dass wir die integrieren. Das vollzieht sich im Alltag, das vollzieht sich in der Gemeinde, in der Kommune. Dort findet die Integration auch statt.
    Flüchtlinge und Asylbewerber dezentral unterbringen
    Simon: Haben Sie in Schwäbisch Gmünd keine Probleme mit Unterbringung und Integration von Flüchtlingen?
    Arnold: Wir haben natürlich. Das ist eine Herausforderung auch für uns hier in Schwäbisch Gmünd, aber wir packen das an, ganz pragmatisch, und wir setzen hier vor allem darauf, dass wir die Flüchtlinge und Asylbewerber dezentral unterbringen. Ich habe als Oberbürgermeister einen Aufruf gestartet und war überwältigt über das Echo. Ich habe 80 Wohnungen spontan gemeldet bekommen durch die Bürger, die bisher überhaupt gar nicht am Wohnungsmarkt waren. Und übrigens haben davon nicht nur die Flüchtlinge profitiert, sondern auch andere, die unsere Unterstützung brauchen, die in Wohnungsnot waren.
    Simon: Herr Arnold, hätten Sie auch ein Rezept für Städte, die jetzt schon keine Wohnungen mehr haben auf dem Markt, was die machen können, wo sie jetzt einfach regelmäßig Flüchtlinge zugeteilt bekommen?
    Arnold: Da gibt es keine allgemeinen Rezepte. Aber ich glaube einfach, dass es darauf ankommt, dass die Bürgermeister und dass die Oberbürgermeister, dass die sich auch gemeinsam mit ihrer Bürgerschaft daran machen müssen und diese Herausforderung meistern sollten. Wir haben ja ein überwältigendes Engagement der Bürger in dieser Zeit und einen großen Willen, dass man diese Menschen aufnimmt, und da appelliere ich auch dran, dass die Bürgermeister sich an die Spitze dieser Bewegung setzen und dann auch handeln. Wir haben damit in Schwäbisch Gmünd sehr großen Erfolg gehabt.
    Simon: Bleiben wir noch mal beim Wohnraum. Wohnen ist ja und Häuser sind ja gerade - nicht nur das Vorurteil will es - in Baden-Württemberg sehr wichtig, also auch bei Ihnen in Schwäbisch Gmünd. Sie haben aufgerufen, dass man Wohnungen zur Verfügung stellt. In Stuttgart überlegt man jetzt einen anderen Weg. Weil es da so wenige Wohnungen gibt, überlegt man Enteignungen. Ist das im Land der Häuslebauer der richtige Weg?
    Arnold: Nein! Davon halte ich auch gar nichts. Das muss ich Ihnen sagen. Weil jede Zwangsmaßnahme, die Sie da bringen, die schafft Verdruss. Es ist natürlich nachvollziehbar, wenn irgendwo eine Immobilie, eine Gewerbeimmobilie leer steht, dass man die dann nutzbar macht, weil man da wirklich in Not ist. Aber da setze ich eher auf die Gespräche und da haben wir hier auch großen Erfolg gehabt, indem dass wir mit den Menschen, mit den Betroffenen dann gesprochen haben, und wir haben in der Regel dann auch diesen Wohnraum zur Verfügung gestellt bekommen. Von Zwangsmaßnahmen halte ich nichts. Das ist das stärkste Mittel, das der Staat hat, und das sollten wir nicht einfach so jetzt einsetzen. So weit sind wir noch nicht.
    "Auf die Lehrer setze ich. Die sind ausgezeichnet"
    Simon: Sie, Herr Arnold, haben als Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd ja auch versucht, Flüchtlinge zu integrieren, etwa indem sie kleine Tätigkeiten machen konnten, bei der Landesgartenschau zum Beispiel. Das war ein Erfolg. Aber ganz ehrlich: Funktioniert so was auch, wenn es nicht um ein paar hundert Flüchtlinge geht, sondern um Tausende, vielleicht noch 10.000 Flüchtlinge in großen Städten?
    Arnold: Das ist natürlich klar. Ich bin jetzt der Oberbürgermeister einer schwäbischen Kleinstadt mit 60.000 Einwohnern. Da haben Sie natürlich noch einen anderen Umgang, wie wenn Sie nachher eine Großstadt haben wie Berlin oder entsprechende Bezirke. Da ist es natürlich viel, viel schwieriger. Trotzdem: Es ist so, dass wir auf jeden Fall die Menschen, die da zu uns kommen, dass wir denen diese Angebote machen müssen und dass wir auch auf Bildung setzen müssen. Bildung ist das wichtigste Mittel auch der Integration. Über Bildung definiert sich auch die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft. Über Bildung vermittele ich auch Werte. Über Bildung lernen die Menschen auch unsere Spielregeln kennen.
    Simon: Schwäbisch Gmünd, Ihre Gemeinde, ist eine sehr reiche Stadt. Würden Sie das mit der Bildung auch armen Kommunen empfehlen, auch durchaus mit dem Hinweis, selbst wenn ihr euch verschuldet, das muss gemacht werden?
    Arnold: Die Bildung ist das A und O. Es ist auch nicht immer eine Frage des Geldes, will ich an dieser Stelle sagen. Wir sind zwar in Baden-Württemberg, aber wir gehören jetzt nicht zu den reichsten Städten. Ich bin beeindruckt davon, von unseren Schulen und vor allem von unseren Lehrern, was die leisten und was die bringen. Sehen Sie, auch in Schwäbisch Gmünd kommen in der Woche drei bis fünf Kinder an, die überhaupt keine Deutsch-Kenntnisse haben und die dann in die Schulen aufgenommen und dort auch integriert werden müssen. Wenn wir da erst nach dem Geld fragen und dann erst auf formalem Wege entsprechende Stellen beantragen würden, ja bis dahin ist, so sagt man in Schwaben, die Katze den Baum rauf. Das funktioniert so nicht. Es ist nicht immer eine Frage des Geldes, sondern wirklich des Herangehens.
    Die Lehrerschaft, die wir haben, die Erfahrung habe ich gemacht, auf die setze ich. Die sind ausgezeichnet und haben das auch wirklich im Griff. Die baden-württembergische Landesregierung hat jetzt nachgelegt auch an den Berufsschulen. Die Berufsschulen sind eine ganz wichtige Institution, wenn es darum geht, die Flüchtlinge und die Asylbewerber auch fit zu machen für einen Arbeitsmarkt.
    "Wir brauchen eine Gemeinschaftsaufgabe für Integration und Flüchtlingsschutz"
    Simon: Kommen wir noch mal zurück auf die Kritik an dem Kurs der Bundeskanzlerin, der ja offenbar auch Ihr Kurs ist, Herr Arnold. Wir haben ja zuletzt häufig Meldungen gehört über Gewalt vor allem in den großen Aufnahmelagern zwischen Flüchtlingen und Asylbewerbern. Das macht vielen Menschen so richtig Angst. Wie sieht das denn bei Ihnen an der Basis aus? Gibt es da diese Ängste und wie gehen Sie damit um?
    Arnold: Ja, es gibt diese Ängste, aber wir haben jetzt nicht Gewalttaten unter den Flüchtlingen oder Asylbewerbern mehr oder weniger als sonst in unserer Gesellschaft. Das können wir jetzt hier nicht feststellen. Es ist halt auch ein Ausdruck, das wissen wir alle, wenn die Menschen in Massen untergebracht werden - dann ist es egal, woher die kommen -, dass es da dann zu Schwierigkeiten kommt. Wenn zum Beispiel in Erstaufnahmestellen, wie wir sie auch haben in Baden-Württemberg, anstatt tausend dann plötzlich 5000 Menschen sind, das macht die Lage natürlich unübersichtlich und das führt natürlich dann auch zu Aggressionen. Es wurden auch Fehler gemacht ganz pragmatisch. Zum Beispiel während des Ramadans wurde Essen ausgegeben, Schweinefleisch wurde gereicht und dergleichen, und da kam es zu Unruhen dann in der Schlange. Oder es hieß, das Essen ist ausgegangen, dann hat sich das durchgesprochen bis in die Schlange. Das hängt auch damit zusammen, dass in Massen untergebracht wird, und deswegen sollten wir ganz schnell zu einer Verteilung dann auch kommen.
    Simon: Was könnte Ihre oberste Parteichefin tun, um ihren Kurs, persönlich Ihren, Herr Arnold, und den Kurs der Kanzlerin, noch besser bei Basis und Menschen zu verkaufen?
    Arnold: Noch einmal: Ich fand das sehr gut von der Bundeskanzlerin, dass sie gesagt hat, dass das ganze Jammern und das Angst machen nichts bringt, dass man Furcht nicht mit Furcht bekämpft, sondern dass man zupackt, dass man anpackt und dass wir die Probleme jetzt lösen müssen. Und da ist sie natürlich schon darauf angewiesen, dass das vor Ort in den Gemeinden und in den Städten auch gelingt. Deshalb wie beim Konjunkturprogramm, das damals aufgelegt wurde 2009, noch einmal rangehen, die Kommunen direkt unterstützen und ihnen entsprechend natürlich auch die Ressourcen für Integration zukommen lassen.
    Ein Gedanke treibt mich da um. Wir haben ja das Instrument der Gemeinschaftsaufgaben. Wir haben das für die Verbesserung der Agrarstruktur oder des Küstenschutzes. Ich frage mich, warum schaffen wir denn nicht eine Gemeinschaftsaufgabe für Integration und Flüchtlingsschutz? Das würde die Kommunen, die Länder und den Bund in eine Lage versetzen, wirklich beherzt gemeinsam diese Aufgabe auch anzugehen und die Ressourcen dann entsprechend zu verteilen. Wir brauchen an der Basis mehr Ressourcen. Wir brauchen aber auch an der Basis entsprechend den Mut und das Engagement. Und wir brauchen auch den Zuspruch derer, der Bürger, die sich freiwillig engagieren, dass auch sie weiter am Ball bleiben.
    Simon: Die engagierte Meinung von Richard Arnold (CDU), dem Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd. Vielen Dank dafür!
    Arnold: Vielen Dank, Frau Simon.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.