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Richtungsstreit in der Alternative für Deutschland
"Der AfD fehlt ein gemeinsames Thema"

Die AfD tue sich schwer, eine gemeinsame Linie zu finden - anders als die Grünen in den 80er-Jahren halte die Partei kein zentrales Thema zusammen, sagte der Politikwissenschaftler Jürgen Falter im Deutschlandfunk. Denn die Euroskepsis sei manchen Mitgliedern egal, der Nationalkonservatismus sei anderen wiederum ein Gräuel.

Jürgen Falter im Gespräch mit Gerd Breker | 03.06.2015
    Prof. Jürgen Falter, Politikwissenschaftler, Universität Mainz
    Falter: "Es gibt genügend Wählerpotenzial auch für eine nationalkonservative Partei". (picture alliance / Erwin Elsner)
    Gerd Breker: Der AfD-Bundesparteitag, er wird verschoben, weil wohl die Leute um Bernd Lucke eine nationalkonservative Unterwanderung der Delegierten fürchten, und damit wäre Luckes Wahl gefährdet gewesen. War das eine berechtigte Sorge?
    Jürgen Falter: Ich glaube, die Sorge war durchaus berechtigt, auch wenn natürlich der Bundesparteitag aus anderen Gründen verschoben wird, zumindest formal, weil es Angst gibt, dass bestimmte Delegiertenwahlen in Nordrhein-Westfalen beispielsweise nicht korrekt verlaufen sind. Und wenn man liest, wie sie verlaufen sind, ist das wohl auch eine berechtigte Sorge. Aber berechtigt ist auch die Sorge von Lucke, dass bei den Delegierten er keine Mehrheit mehr bekommt. Da ist ganz gezielt gesteuert worden, dass eher nationalkonservative Delegierte dann gewählt worden sind in den einzelnen Landesverbänden, und das hätte Lucke, glaube ich, Probleme bereitet. Man will ihn ja in diesen Kreisen weg haben.
    Breker: Nun soll es einen Basisparteitag geben, deswegen komme die Verschiebung dem Bernd Lucke entgegen, weil die Basis auf seiner Seite sei. Stimmt das denn überhaupt noch?
    Falter: Ja, das ist natürlich eine Rechnung, die vielleicht nicht aufgeht. Das weiß er nämlich nicht genau. Bei solchen Basisparteitagen, also Mitgliederparteitagen, wo jeder hinkommen kann, der sich anmeldet, da ist es ganz ungewiss, wer tatsächlich kommt und welche Mehrheiten sich da herausbilden, und es ist durchaus vorstellbar, dass aus den ostdeutschen Landesverbänden oder aus den vier Landesverbänden, wo man Lucke nicht so grün ist, dass sich da besonders viele anmelden, dass die auch kommen, und dann ist natürlich der ganze Vorteil weg.
    "Lucke und Petry können nicht mehr miteinander"
    Breker: Statt um Inhalte geht es bei der Alternative für Deutschland, bei der AfD inzwischen um die Richtung. Kommt das davon, wenn man Euroskepsis mit Rechtspopulismus verbindet?
    Falter: Ja, das Problem ist in der Tat ein inhaltliches und ein formales Problem. Das inhaltliche besteht tatsächlich darin, eine gemeinsame Linie zu finden zwischen Wirtschaftsliberalen und Nationalkonservativen und Wertkonservativen. Das ist schon schwierig genug. Der AfD fehlt ja ein gemeinsames Thema, so wie die Grünen das hatten, was die Grünen zusammengehalten hat trotz aller fürchterlichen Fraktionskämpfe und blutigen Auseinandersetzungen der 80er-Jahre. Die Grünen haben sich nur in der Partei gemausert. Die AfD hat dieses gemeinsame Thema nicht, weil das Eurothema manchen Leuten egal ist und das nationalkonservative Thema oder der ganze Themenbereich anderen ein Gräuel ist. Das ist wirklich ein echtes Problem und wie man da rauskommen kann, ist nicht ganz klar. Und dazu kommt noch ein Persönlichkeitsproblem. Lucke und Petry können nicht mehr miteinander. Das merkt man ganz deutlich.
    Breker: Muss man in der Nachschau sagen, Bernd Lucke und Olaf Henkel waren einfach naiv?
    Falter: Olaf Henkel ist kein naiver Mensch. Lucke vielleicht, aber ich glaube, so naiv waren sie nicht. Die werden die Geister nicht mehr los, die sie riefen, die Geister, die in die Partei geströmt haben, und eine der Hauptauseinandersetzungen zwischen Wirtschaftsliberalen, also Henkel und Lucke und Starbatty und anderen, und den Nationalkonservativen Gauland, Petry und anderen ist ja, wie man sich gegenüber dem rechten Rand verhält, ob man da um Stimmen wirbt bei Leuten, die rechtsextrem sind oder rechtsextreme Anrainer sind, um die Partei stark zu machen, oder ob man sagt, die kommen auf keinen Fall in die Partei, denn das ist der Untergang dessen, was wir uns vorgestellt haben.
    "Es gibt genügend Leute, die sich von der Union nicht mehr vertreten fühlen"
    Breker: Wer hat denn eigentlich die AfD gewählt? Kann die AfD überhaupt zu einer nationalkonservativen Partei jenseits der Union werden?
    Falter: Ja, es gibt genügend Leute, die sich von der Union nicht mehr vertreten fühlen, die die Wanderung der CDU und zum Teil auch der CSU in die Mitte nicht mitmachen wollen, die sich allein gelassen fühlen mit ihren Themen, Familienthemen beispielsweise. Das wären so typische Wertkonservative. Oder Erziehungsthemen, aber auch außenpolitische Themen, die stärkere Betonung der nationalen Souveränität. Ein tief sitzender Anti-Amerikanismus, den man bei vielen AfD-Anhängern findet, bis in die Spitze hinein, das sind alles Dinge, die eine große Rolle spielen dabei, und Lucke ist natürlich da ganz anderer Meinung so wie Henkel. Das sind Transatlantiker, das sind Europäer, die nur den Eurokurs nicht mögen.
    Breker: Hätte denn so eine Partei auch bundesweit Chancen, oder nur in Ostdeutschland?
    Falter: Ich glaube, es gibt genügend Wählerpotenzial auch für eine nationalkonservative Partei. Da ist genügend rechts der CDU und der CSU, die sich allein gelassen fühlen, die nicht für eine der wirklich extremistischen Parteien stimmen wollen. Aber es ist eine Fehlkalkulation, glaube ich. Das Potenzial ist vorhanden. Aber in dem Moment, wo die AfD wirklich nationalkonservativ ist in der Wolle gefärbt wäre, wo der Rand rechts offengelassen würde für alle, die zu ihnen wollen, da wäre die Partei angreifbar, in den Medien angreifbar, der Kritik ausgesetzt, und das würde viele wieder abschrecken. Insofern könnte das Potenzial meines Erachtens gar nicht wirklich ausgeschöpft werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.