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Rieble: Man kann nicht jede Fußnote überprüfen

Was am Ende einer Doktorarbeit an wissenschaftlichen Wert rauskomme, könne man vorab nicht wissen, so Volker Rieble von der LMU München. Man müsse sich aber als Doktorvater die Frage stellen, nach welchen Maßstäben man eine Arbeit bewerte.

Volker Rieble im Gespräch mit Jörg Biesler | 01.12.2011
    Jörg Biesler: Volker Rieble ist Professor für Arbeitsrecht und Bürgerliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, und er ist Autor des Buches "Das Wissenschaftsplagiat". Guten Tag, Herr Rieble!

    Volker Rieble: Grüß Gott!

    Biesler: Sie haben die Dissertation von Bernd Althusmann gelesen, ein Täuschungsvorsatz liege nicht vor, sagt die Universität Potsdam, es seien nur wissenschaftliche Mängel. Wie sehen Sie das?

    Rieble: Nun, es ist so, dass die Verwaltungsgerichte in anderen Promotionsentzugsverfahren immer gesagt haben: wenn man ein größeres Ausmaß an Übernahmen hat, vergleichbar mit diesem Fall, dass dann der Vorsatz immer vermutet wird. Hier hat man jetzt anders entschieden. Das heißt, Herr Althusmann ist letztlich mit der Ausrede davongekommen, dass er nicht weiß, dass man wortwörtliche Übernahme mit Gänsefüßchen auszeichnen muss. Das ist einigermaßen skurril, vielleicht auch von einem politischen Schonungsvorsatz getragen. Die Folgewirkungen sind vor allem erheblich, denn all die anderen Plagiatoren werden sich jetzt natürlich auf die Entscheidung der Potsdamer Fakultät berufen.

    Biesler: Sie haben andere Dissertationen erwähnt: Karl-Theodor zu Guttenberg wäre da zu nennen, Veronika Saß, Silvana Koch-Mehrin, Jorgo Chatzimarkakis, das sind alles Dissertationen, die aberkannt worden sind. Einen deutlichen Unterschied zwischen der von Bernd Althusmann und den jetzt gerade erwähnten, die allesamt aberkannt wurden, sehen Sie also nicht?

    Rieble: Es gibt einen Unterschied gegenüber manchen der Dissertationen. Wenn Sie abschreiben und Sie haben gar keine Fußnote, dann ist es noch mal deutlich härter. Aber wenn sie wortwörtlich abschreiben und in der Fußnote dann nur schreiben, vergleiche Originalautor, dann kommt kein Leser drauf, dass das kein Text von Ihnen ist, sondern dass der geklaut ist. Dementsprechend haben wir in der Wissenschaft eigentlich – übrigens seit vielen Hundert Jahren – die Konvention, dass wortwörtliche Textübernahmen auch entsprechend ausgezeichnet werden müssen. Aber in der Tat gibt es auch eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Quelle genannt wird, aber die Übernahme des Originaltextes nicht ausgezeichnet ist.

    Biesler: Die Arbeit ist ja bewertet worden mit der schlechtestmöglichen Note – rite heißt das akademisch, zu Deutsch könnte man sagen: So gerade noch durch, also genügend könnte man es übersetzen. Das ist also wohl auch eine Arbeit, die nicht unbedingt wegen des wissenschaftlichen Interesses geschrieben wurde, also jedenfalls kann man das vermuten, sondern eher schnell zusammengenagelt, wie eben auch die eine oder andere Arbeit, die wir vorhin schon erwähnt hatten. Die Frage ist doch eigentlich, wozu man eigentlich eine solche Arbeit verfasst und welche Funktion, welchen Wert dabei das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse hat. Scheint in vielen Fällen wenig davon vorhanden zu sein.

    Rieble: Nun ist es so, wenn der Doktorand anfängt, die Arbeit zu schreiben, dann sind die Vorsätze immer groß. Nicht jeder kann da am Ende mit der Arbeit dasjenige einlösen, was er sich vorgenommen hat. Die Bewertung mit rite sagt eigentlich nur, dass der wissenschaftliche Ertrag bescheiden ist. Über den weiß man aber vorher nichts. Es wird auch kaum ein Promotionskandidat zum Doktorvater kommen und sagen: Bitte, ich möchte promovieren, aber nur um der zwei Buchstaben wegen, nur, damit die Visitenkarte schöner ist. Das wissen Sie ja vorher nicht. Und es wäre aus meiner Sicht auch sozusagen eher kontraproduktiv zu sagen: Ich lasse jetzt nur noch solche Menschen zur Promotion zu, bei denen ich mir von vornherein sicher sein kann, dass da auch was ganz besonders Gutes bei rauskommt. Wissenschaft ist ein Suchprozess, und der führt nicht notwendig immer zu einem tollen Ergebnis. Auch viele Naturwissenschaftler machen Experimente, bei denen am Ende nichts herauskommt.

    Biesler: Ja, die Frage ist nur, wie man dieses Ergebnis dann bewertet. Also es scheint ja hier doch eine ganze Reihe von Arbeiten gegeben zu haben, die bewertet worden sind, obwohl sie diesen Wert überhaupt nicht darstellen, der mit der Note ausgedrückt wurde, ob sie nun rite ist oder wie bei Karl Theodor zu Guttenberg das summa cum laude. Müssen die Latten hier höher gelegt werden an den Hochschulen?

    Rieble: Die Frage ist: Was ist der Beurteilungsmaßstab für die Notengebung? Bislang war es so, dass die Note eigentlich sich auf den Inhalt bezieht, da kann man also auch bei der Arbeit von Herrn zu Guttenberg durchaus sich die Frage stellen, wie man zu dieser tollen Note hat kommen können, obwohl es eigentlich nur eine eher feuilletonistische Schau war, die da geboten worden ist, aber bei den anderen Plagiaten, die ich jetzt so im Laufe meines Lebens gesehen habe, ist es eigentlich anders. Dann haben wir einen mittleren oder auch schlechten wissenschaftlichen Ertrag, also intellektuellen Gehalt der Arbeit. Und wenn man jetzt in die Benotung auch noch die Zitate oder die Zitatlautbarkeit mit einfließen lassen wollte, würde das ja heißen, dass der Doktorvater die Aufgabe hat, jede einzelne Fußnote nachzuschauen.

    Ich kann Ihnen versichern, wenn das sozusagen das Ergebnis dieser Entscheidung sein soll, dann gehen die Promotionen rapide zurück, weil kein normaler Wissenschaftler so viel Zeit hat, um den Fußnotenhelfer für seinen Doktoranden zu spielen.

    Biesler: Was wäre also zu tun?

    Riebler: Nun, sicherlich muss man Doktoranden sorgfältig aussuchen. Das machen aber die meisten Kollegen. Sie müssen ja auch sehen, dass in den Plagiat-Diskussionen wirklich nur die faulen Eier auftauchen. Über all die guten, einwandfreien, seriösen und teilweise auch überaus ertragreichen Arbeiten spricht ja kein Mensch. Ich sage mal, interessant zum Beispiel, einige wirklich gelungene Politiker-Dissertationen mal vorzustellen, um zu zeigen, dass es auch anders geht: Zum Beispiel hat die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel gerade eine sehr schöne Arbeit geschrieben, oder auch die Dissertation von Norbert Röttgen ist ganz spannend, aber über die Positiv-Beispiele spricht eben keiner, und da …

    Biesler: Jetzt haben Sie drüber gesprochen, Herr Rieble. Vielen Dank!

    Rieble: Wir haben drüber gesprochen!

    Biesler: Dann haben wir da auch ein wenig Gerechtigkeit den Politikern widerfahren lassen. Volker Rieple war das, Jura-Professor an der LMU in München. Er sprach zur Entscheidung der Universität Potsdam, den Doktortitel des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann nicht abzuerkennen. Danke schön, Herr Rieble!

    Rieble: Bitte schön!


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