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Riesensaurier erschüttert Stammesgeschichte

Paläontologie. - Angesichts ihrer Häufigkeit sorgen Meldungen von sensationellen Fossilienfunden in China mittlerweile nur noch bedingt für Aufregung. Doch der jüngste Fund, über den das Fachblatt "Nature" nun berichtet, könnte bisherige Theorien zur Evolution der Vögel auf den Kopf stellen. Chinesische Paläontologen haben in der Mongolei Knochen von einem gigantischen vogelähnlichen Dinosaurier entdeckt.

Von Michael Stang | 13.06.2007
    Die Iren Dabasu Formation in der Inneren Mongolei ist für ihre spektakulären Dinosaurierfossilien bekannt. Da ein Paläontologenteam der chinesischen Akademie der Wissenschaften dort kürzlich spektakuläre Wirbeltierfossilien entdeckt hatte, drehte die japanische Fernsehanstalt NHK einen Dokumentarfilm über den Fundort. Hauptdarsteller war der Paläontologe Xi Xung. Als er die Szene nachstellte, wie er die Fossilien entdeckt hatte, griff er willkürlich nach einem Knochen, der aus dem Boden ragte. Alsbald merkte der Forscher, dass er nicht irgendeinen Wirbeltierknochen gefunden hatte.

    " Wenige Minuten später begriffen wir, dass wir hier keinen normalen Dinosaurierknochen in der Hand hielten, sondern etwas viel Größeres. Bald darauf entdeckten wir weitere Knochen: einen Unterkiefer, Wirbel, Teile der unteren Gliedmaßen. Nach der Präparation im Labor war dann klar, dass wir einen gigantischen Oviraptor gefunden hatten. "

    Bislang waren solche Oviraptoren - zu Deutsch: Eierdiebe -, eine Gruppe gefiederter Dinosaurier, als hüfthohe Räuber bekannt, die wahrscheinlich nur selten mehr als 35 Kilogramm auf die Waage brachten. Der neue Fund übertrumpft dieses Gewicht jedoch um ein Vielfaches: Der zu Recht als Gigantoraptor bezeichnete Dinosaurier brachte es zu Lebzeiten wahrscheinlich auf 1400 Kilogramm.

    " Das Fossil zeigt zudem viele vogelähnliche Merkmale, etwa einen zahnlosen Schnabel und das bei einem so unglaublich großen Tier. Vogelartig sind auch die langen Arme, dazu die Form und Größe der Fingerknochen, sowie das Verhältnis der Beinknochen. Alles in allem finden wir hier viele Vogelcharakteristika. "

    Mit seinen acht Metern Körperlänge und dreieinhalb Metern Hüfthöhe dürfte er eine mächtige Erscheinung am Ende der Kreidezeit vor rund 70 Millionen Jahren gewesen sein.

    " Wir gehen davon aus, dass Gigantoraptor auch schon Federn hatte, auch wenn uns der direkte Beweis noch fehlt, jedoch sind alle nahverwandten Vertreter gefiedert. Wir glauben, dass die Federn bei Gigantoraptor tendenziell schon in Richtung Flug angelegt waren und nicht primär als Isolierschicht dienten. "

    Allerdings dürfte das Tier viel zu schwer gewesen sein, als dass es hätte fliegen können. Es hätte komplizierter Federstrukturen und eines größeren Federkleides bedurft, um diesen Koloss in die Luft zu bekommen. Dabei hatte das gefundene Tier seine endgültige Körpergröße noch nicht einmal erreicht. Im Labor fanden Xi Xung und seine Kollegen an den Oberschenkelknochen und am Wadenbein Wachstumslinien. Diese belegen, dass der Gigantoraptor mit seinen 1,4 Tonnen nicht ausgewachsen war. Die Existenz eines solchen vogelähnlichen Riesen wurde bislang nicht für möglich gehalten.
    " Im Hinblick auf den Ursprung der Vögel oder die Merkmale, die ein Tier zu einem Vogel machen, wirft dieser Fund viele Fragen auf. Bislang galt, dass die Tiere, aus denen irgendwann die ersten Vögel hervorgegangen sind, relativ klein waren. Gigantoraptor fällt aber völlig aus diesem Raster. Er hat nicht nur viele, sondern zum Teil sogar mehr vogelähnliche Merkmale als seine kleinen Verwandten. Das erschüttert unser Verständnis von der Evolution vogeltypischer Merkmale. "

    Ein direkter Vogelvorfahr war Gigantoraptor wahrscheinlich nicht, jedoch zeigt dieser Fund ein weiteres Mal, wie komplex die Evolution der Wirbeltiere ist. Wo genau der vogelähnliche Riese seinen Platz im Stammbaum bekommt, können erst kommende Analysen und weitere Fossilienfunde zeigen. Dann können die Paläontologen aus Peking vielleicht auch klären, was Gigantoraptor gefressen hat, um so einen großen Körper mit ausreichend Energie versorgen zu können.