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Ringen um die Flüchtlingsquote
Streit um das Wörtchen "freiwillig"

Da es mit der Freiwilligkeit bei der Verteilung der Flüchtlinge auf alle europäischen Staaten bislang nicht funktioniert hat, kommen allmählich auch Zwangsmaßnahmen ins Gespräch - gegen Staaten, die sich einer gemeinsamen Lösung verschließen. Aber ist es der EU überhaupt möglich, solche Druckmittel einzusetzen?

Von Jörg Münchenberg | 21.09.2015
    Ein Flüchtling schaut am 15.09.2015 vor dem geschlossenen Grenzübergang nach Ungarn bei Horgos in Serbien durch den Grenzzaun.
    Polen, Ungarn Tschechien und die Slowakei wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen müssen. (picture alliance / dpa / Gregor Fischer)
    Den ganzen Tag über wurde noch hektisch in Prag und Brüssel verhandelt, um ein Scheitern des morgigen Sondertreffens der Innenminister zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf die EU-Mitgliedsländer zu verhindern.
    Eines aber zeichnet sich bereits ab: eine verbindlichen Quote, wie von der EU-Kommission ursprünglich vorgeschlagen, werden die sogenannten Visegrad-Staaten weiterhin ablehnen. Polen, Ungarn Tschechien und die Slowakei wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viele Flüchtlinge sie aufnehmen müssen. Diese Position bekräftigte heute Mittag der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka. Ähnlich hatte sich aber schon beim regulären Treffen der Innenminister vor einer Woche in Brüssel der polnische Staatssekretär Pjotr Stachanczyk geäußert:
    "Das grundlegende Element unseres Standpunktes ist einfach: Wir müssen die Kontrolle über die Prozedur ausüben, wir müssen wissen, wer da kommt, wie viel Personen kommen und das muss alles von unserer Entscheidung abhängen".
    Die Sturheit der Visegrad-Staaten in dieser Frage dürfte letztlich dazu führen, dass sich die Innenminister zwar auf einen Verteilungsschlüssel, aber eben nicht auf eine verbindliche Quote einigen werden. Umgekehrt aber wird Deutschland darauf pochen, dass der Abschlusstext nicht das Wort "freiwillig" enthält. Ein Streitpunkt des heutigen Tages.
    Eine Verteilung ohne feste Quote ist wahrscheinlich
    Dabei gäbe es eigentlich einen viel einfacheren Weg – die Innenminister könnten mit qualifizierter Mehrheit entscheiden und damit die Visegrad-Staaten überstimmen. Das fordert etwa auch der Vorsitzende der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt:
    "Wir sind schon ein bisschen verrückt in Europa. Wenn die Einstimmigkeit nicht notwendig ist und wir mit qualifizierter Mehrheit entscheiden können, machen wir es trotzdem einstimmig und umgekehrt. Nein, das ist eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit und das sollten wir auch tun. Und mit dem positiven Druck aus dem Europäischen Parlament, aus Deutschland, Frankreich und von anderen Ländern sollte das möglich sein".
    Doch in Europa werden andere Rechnungen aufgemacht. Die luxemburgische Ratspräsidentschaft will bei diesem sensiblen Thema eine politische Kraftprobe unbedingt vermeiden. Daher könnte es wohl morgen nicht einmal eine Abstimmung über den Kommissionsvorschlag geben. Vielmehr werden die Staaten eine Verteilung ohne feste Quote abnicken – das wäre trotzdem ein erster Schritt, sagt der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz:
    "Die verpflichtende Quote wird nur ganz schwer zu erreichen sein. Deshalb sollte man kleine Zwischenschritte machen und sich vor allen Dingen darauf konzentrieren, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten, also 20 der 28 in jedem Fall bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Entlastung für Österreich und Deutschland könnte darin bestehen, dass diese 19, 20 Länder sagen, ja okay, wir nehmen Flüchtlinge auf. Das wäre ja auch schon was".
    Aber eben keine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik. Offen ist aber auch noch, welche Flüchtlinge aus welchen Ländern jetzt umverteilt werden. Ob also nur Italien und Griechenland entlastet werden oder auch Kroatien und Slowenien. Ungarn ist längst außen vor, zum einen weil sich das Land ohnehin nicht beteiligen will. Zudem gibt es dort auch nur noch wenige tausend Flüchtlinge.
    Das frei gewordene Kontingent – laut EU-Kommissionsvorschlag sollten ursprünglich 54.000 Flüchtlinge aus Ungarn umverteilt werden - soll jetzt für andere Staaten genutzt werden. Offen ist schließlich auch noch, unter welchen Bedingungen sich Mitgliedstaaten freikaufen können. Dies sollte laut Kommissionsvorschlag unter "außergewöhnlichen Umständen" für eine befristete Zeit möglich sein. Doch mit 6.500 Euro pro Person kämen die Verweigerer viel zu billig davon, heißt es bei einigen Mitgliedsländern.
    "Das Recht auf Asyl mit Füßen zu treten, ist keine Alternative in unserer Wertegemeinschaft. Und deswegen war es mir auch wichtig, aufzurütteln und wach zu rütteln und zu sagen: Es ist auch eine Frage der Solidarität, welche finanziellen Mittel wir - die Nettozahler - anderen überweisen. Das hat auch etwas mit Nachholbedarf und Solidarität zu tun", so die unmissverständliche Drohung des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann bei seinem Besuch in Berlin vor knapp einer Woche an die Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Doch Sanktionen - über den Hebel von Vertragsverletzungsverfahren formal möglich - lehnen die meisten anderen Mitgliedsstaaten ab. Daher werden sie weder morgen noch beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs am Mittwoch eine Rolle spielen.
    Auch das Thema Flüchtlingsquoten steht dort nicht auf der Tagesordnung, herrscht in diesem Gremium doch das Prinzip der Einstimmigkeit. Stattdessen sollen sich die Staats- und Regierungschefs einmal grundsätzlich Gedanken über die bislang chaotische und von nationalen Egoismen getriebene europäische Flüchtlingspolitik machen.