Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Ringkampf

1987 brannte in Frankfurt am Main aus bis heute mysteriösen Gründen das Opernhaus nieder. Dieser Vorfall dient Thea Dorn als Folie für ihren zweiten Roman "Ringkampf". Die 26jährige Autorin debütierte 1994 im Krimi-Fach und wurde für ihre ebenfalls im Rotbuch Verlag erschienene "Berliner Aufklärung" mit dem Raymond-Chandler-Preis ausgezeichnet. Väterlichst bescheinigte die Frankfurter Allgemeine der jungen Dame Unterhaltsamkeit und Intelligenz, und die BILD-Zeitung adelte Frau Dorn gar zur "Krimientdeckung des Jahres" hinab. Wenn man zu allem hört, die Autorin lehre nicht nur Philosophie an der FU Berlin, nein sie habe auch Gesang studiert.... - dann schwebt bereits die Wunderkind-Aura im Raum. Und von einer derart Hochbegabten erwartet man schon einiges. Aber nicht nur läßt Thea Dorns zweites Buch solche Erwartungen völlig unerfüllt - was möglicher-, nämlich menschlicherweise sehr gerecht ist -, sondern der Roman ist auf eine trübe Weise ärgerlich.

Alban Nikolai Herbst | 01.01.1980
    Darüber hilft auch sein vielversprechender Plot nicht hinweg, und der seltsame Mix aus Fiktion und Realität erst recht nicht. In Frau Dorns Version ist eine Inszenierung von Wagners "Ring des Nibelungen" des damaligen Brandes wegen unvollendet geblieben und soll nun, nach Wiederaufbau der Oper und zu Beginn des Romans, zuendegeführt werden. Nur sind damals die Regiebücher mitverbrannt, die Opernleitung hat mittlerweile gewechselt und auch der Dirigent ist jemand anderes. So ist ziemlich klar: Hauen und Stechen wird's geben und Intrigen, Kompetenzhaschereien und Liebeshändel. Für ein detektivisches Spiel als Oper in der Oper eine wirklich hübsche Ausgangssituation.

    Leider hat es Frau Dorn mittlerweile weniger weit in ihrer kriminalistischen als heftiger zu einer semantischen Ambition getragen. Die dann so klingt: "Der Gott sank am Boden zusammen. Verzweifelt schlug seine Lunge mit den Flügeln." Vielleicht ist das komisch gemeint. Aber da es nicht ein abgegriffenes Bild gibt, das die Autorin nicht noch einmal angreifen würde, hat man von dieser Art Komik schnell genug: "Noch nie gehörte Musik dröhnte in seinen Ohren. Auf roten Tatzen kroch das Feuer näher. Tausend Zungen leckten nach ihm. Schön ist auch: Der rote Hahn hatte Frankfurt aus dem Schlaf gekräht. (...) Reglos kauerten die Junkies im Opernpark. Horror und Heroin kämpften um ihre Pupillen."

    Und dann, ganz besonders ausgesucht: "Am Bremsweg des Orchesters bemaß sich die Autorität des Dirigenten." So geht das Seite um Seite, nein: Absatz um Absatz!, über knapp 250 Seiten hinweg. Inhaltlich erfahren wir, daß es an der Oper schwule Menschen gibt. Das ist in der Tat sensationell. Erst recht, daß homosexuelle Dirigenten ihre jungen Geliebten gerne aus sagen wir: Abhängigen rekrutieren. "Schweißperlen der Anstrengung standen in dem blassen Gesicht, auf dem die erst kürzlich vergangene Jünglingszeit ihre Mondkrater zurückgelassen hatte." Soweit Frau Dorns Metaphern-Akne. Oder ein Blick ins Interieur des schwulen Obermusikanten, einer Kreuzung von Georg Solti mit Rosa von Praunheim: "Die farbigen Glasblätter des Muranoleuchters zitterten fein wie Pappellaub. (...) Vorwitzige Putten streckten ihre Köpfe aus dem Stuckfries hervor." Auch mit ihrer Bildung hält Frau Dorn nicht hinterm Berg: "Der Regisseur durchwühlte seine Hosentaschen nach einem Kaugummi. Er schraubte, drehte und würgte den Streifen, als gelte es, Laokoon den Schlangen doch noch zu entwinden."

    Zwar versichert eine altbekannte Vorbemerkung, es seien Handlung und Personen frei erfunden, aber wenn sich der Frankfurter Kulturdezernent durch seine Silbermähne streicht, geht, wer an Herrn Hoffmann denkt, kaum fehl. Zumal Frau Dorn, die also gern mit Bauholz winkt, ergänzt: "(...) seine Amtszeit ging zu Ende. Als Schutzherr einer blühenden Kulturlandschaft hatte er aus Frankfurt scheiden wollen. (...) Was blieb, war nurmehr Wallenstein am Grabesrand." Und aus Gary Bertiny, der mit ihrem Wiederaufbau die Frankfurter Oper übernahm und den in Frankfurt sowieso keiner mochte, und auch Frau Dorn mochte ihn offenbar nicht, wird nun ein Benito-zwar-nicht-Mussolini-aber, was könnt' man nehmen?: okay, Bellini, na ja. Eine Freundin von Masken ist diese Autorin jedenfalls nicht, eher schon hat sie's mit neuen Kleidern von Kaisern; die ihren dummen Lesern vorzuführen, wird sie nicht einen Augenblick müde. Und wenn auch Bertiny vor Amtsantritt - als streitbarer Israeli, der er ist - von allem Anfang an klargestellt hatte, er werde auf keinen Fall Wagner dirigieren, läßt ihn nun Frau Dorn zu einem Bayreuth-Jünger werden; es kommt ihr eben nicht auf Genauigkeiten an, sondern sie hält es mit schick zurechtgeschminkter Demagogie. Da macht sich die Mussolini-Anspielung ganz besonders schön.

    Flott ist auch der libertäre Feminismus, auf dem die Autorin durch Sexuelles galoppiert: "Cora spannte ihre Schenkel und gab dem Callboy die Sporen. Beherzt voltigiert sie ihren inversen Machismo: Ihr Gast präsentierte sich wie der Rekrut beim großen Zapfenstreich. Zwischen ihren Schenkeln ging er in die Knie. Seine Zunge hielt, was sein Schwanz versprach. Auch seine Handarbeit ließ keine Wünsche offen."

    Das soll zynisch sein, zugestanden. Nur daß die vorgeblichen Gemeinheiten nicht den Sprung aus den "St. Pauli Nachrichten" hinausschaffen, zumal man später wieder sowas zu lesen bekommt: "Die Ouvertüre gelangte an den Punkt, an dem es sie drängte, Szenisches auszuscheiden. (...) Im Ochestergraben faßte Verwirrung um sich." Ungelenkheiten dieser Art lassen einen alles gewollt-Ironische nicht glauben, sondern zementieren den Eindruck, Frau Dorn sei schlichterdings stilistisch nicht begabt: "Sie leckte ihre rotbenagelten Finger."

    Um die Bedeutung dieses Buches auf den Punkt und die Rezension zum Ende gelangen zu lassen, ein allerletztes Zitat: "Der Tag, an dem die Oper Frankfurt zum zweiten Mal niederbrannte, war einer unter vielen."