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Risiken für Merkels Stabilitätsunion

Der auf dem EU-Gipfel in Brüssel beschlossene Euro-Plus-Vertrag über eine Fiskalunion muss nun mit dem geltenden Lissabon-Vertrag in Einklang gebracht werden. Joachim Fritz-Vannahme, Europa-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung, hält es für wahrscheinlich, dass der britische Premier David Cameron dazu den Europäischen Gerichtshof anruft.

Joachim Fritz-Vannahme im Gespräch mit Peter Kapern | 16.12.2011
    Peter Kapern: Es soll das bessere, das wirtschaftlich stabilere Europa werden: die Stabilitätsunion, auf die sich die EU-Staaten heute vor genau einer Woche geeinigt haben. Nicht alle 27 Mitgliedsstaaten wollen mitziehen. Großbritannien scherte ja beim EU-Gipfel aus und eine Reihe anderer Regierungen will zunächst einmal hören, was die jeweiligen nationalen Parlamente dazu zu sagen haben. Trotzdem aber war Bundeskanzlerin Angela Merkel voller Zuversicht, als sie in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember in Brüssel vor die Presse ging.

    O-Ton Angela Merkel: "Wir haben, glaube ich, deutlich gemacht, dass Europa den Ernst der Lage erkannt hat, und zwar alle miteinander haben wir das deutlich gemacht, und dass wir entschlossen sind, auch die Lehren zu ziehen aus den Fehlern der Vergangenheit, die gezogen werden müssen. Man kann sagen, es ist der Durchbruch zur Stabilitätsunion. Die Stabilitätsunion, die Fiskalunion wird schrittweise in den nächsten Jahren fortentwickelt werden, aber der Durchbruch in diese Union ist jetzt geschaffen."

    Kapern: Angela Merkel heute vor einer Woche. Und bei uns am Telefon jetzt Joachim Fritz-Vannahme, Europaexperte der Bertelsmann-Stiftung. Guten Tag!

    Joachim Fritz-Vannahme: Schönen guten Tag.

    Kapern: Herr Vannahme, sprechen wir darüber, was nach einer Woche von der Aufbruchstimmung noch übrig ist. Zunächst einmal hat sich herausgestellt, wie schwierig es ist, den geplanten Euro-Plus-Vertrag mit dem geltenden Lissabon-Vertrag in Einklang zu bringen. Der Lissabon-Vertrag kann nicht durch den neuen Vertrag ausgehebelt werden, hat die EU-Kommission gesagt. Wird das neue Abkommen also ein zahnloser Tiger, steht das schon fest?

    Fritz-Vannahme: Das ist vielleicht ein bisschen voreilig, das eine Woche nach dem Ereignis schon zu sagen. Aber die Mühen der Ebenen werden auf jeden Fall anstrengender und vielleicht auch viel langwieriger werden, als Sarkozy und Merkel sich das noch vor einer Woche ausgemalt haben, denn die beiden wollen ja eigentlich zumindest die Umrisse dieses Vertrages bis zum März fertig bekommen. Da redet ja nicht nur die Kommission gegen an, da redet ja auch Herr Rompuy gegen an, der Präsident des Europäischen Rates, der nun in vier Wochen noch mal ganz gerne alle Staats- und Regierungschefs in Brüssel zusammenrufen möchte. Alle heißt natürlich auch David Cameron, auch den Briten, der klar nein gesagt hat. Also da deuten sich jetzt schon Schwierigkeiten innerhalb der 27 an, gar nicht zu reden von den Schwierigkeiten, die Frau Merkel vielleicht in Karlsruhe erwarten, vielleicht auch im Deutschen Bundestag erwarten, oder vielleicht sogar beim Europäischen Gerichtshof erwarten.

    Kapern: Bleiben wir noch mal beim Problem der Zusammenfügung der existierenden Verträge mit diesem geplanten neuen Vertrag. Der Kernpunkt dieses neuen Vertrages soll ja die automatischen Sanktionen gegen Defizitsünder sein. Aber was kann denn diese Regelung noch wert sein, wenn sich eben diese Defizitländer im Zweifelsfall darauf berufen können, dass der Lissabon-Vertrag das höherrangige Rechtsgut ist?

    Fritz-Vannahme: Ich sehe dieses Problem nicht so sehr bei den 17, die diesen Pakt am Ende zu Gunsten des Euro unterschreiben werden, sondern ich sehe das Risiko viel größer bei denen, die nicht Teil dieser Euro-Gruppe sind, allen voran natürlich die Briten, die genau diesen juristischen Weg begehen könnten und wahrscheinlich auch beschreiten werden, um sich Gehör zu verschaffen, um sich Einfluss zu verschaffen, den sie sonst verlieren würden. Also dass Herr Cameron den Europäischen Gerichtshof anruft, um die Vereinbarkeit, die Kompatibilität zwischen dem kommenden Vertrag und dem Vertrag von Lissabon einmal grundsätzlich feststellen zu lassen, ist durchaus wahrscheinlich. Ich kann mir sehr gut auch vorstellen, dass der Kommissionspräsident Barroso einen solchen Schachzug vornimmt. Also da sind einige Fragen offen, einige Unwägbarkeiten. Es ist ja, wenn wir von dem Vertrag von Lissabon reden, auch der Vertrag selber ein bisschen widersprüchlich. Auf der einen Seite erklärt er den Euro zur Währung dieser Europäischen Union der 27. Da gibt es dann zwei sogenannte Opt-Outs, nämlich die Dänen und die Briten, die von Anfang an nicht dabei sein wollten, aber im Prinzip steht das ja so im Vertrag drin. Im Prinzip steht im Vertrag auch, dass man eine verstärkte Zusammenarbeit auf verschiedenen Feldern wagen und anstreben kann, der dann hinterher die anderen beitreten. Das ist ja ungefähr der Grundgedanke, der dem Vorstoß von Frau Merkel und Herrn Sarkozy zugrunde liegt.

    Kapern: Sie haben eben den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht bereits genannt. Wie groß ist die Gefahr, dass das, was sich Merkel und Sarkozy dort vorgenommen haben, gar nicht in Deutschland rechtskonform umzusetzen ist?

    Fritz-Vannahme: Na ja, erst müssten wir natürlich sehen, was das Recht, das gesetzte Recht sein soll. Aber ich nehme mal ein Beispiel heraus: Alle europäischen Parlamente sind ja in Unruhe geraten bei dem Begriff der automatischen Sanktionen. Denn wenn es ums Geld geht, wenn es ums Budget geht, dann ist das Hoheitsrecht der Parlamente, und zwar der nationalen Parlamente. Wenn man jetzt hier mehr oder weniger vorgeschaltet einen Prozess hat, bei dem erst mal die Kommission sagt, ist das denn hier in Ordnung, was als Budget in Deutschland, in Italien oder sonst wo vorgelegt wird, und im Zweifelsfall dann auch mal sagen kann, nein, das ist es nicht, wie fühlt sich dann eigentlich ein Parlamentarier? Fühlt er sich nicht vollkommen übergangen? Also da sind noch Dinge auszuloten, die im Augenblick als Problem erkannt sind - Frau Merkel ist sich dieses Problems vollauf bewusst -, aber die noch keine praktische Lösung haben, und die praktische Lösung kann ja eigentlich nur im Rechtstext gefunden werden.

    Kapern: Wie groß ist die Gefahr, dass wir relativ bald, in ein paar Wochen schon feststellen, dass alles das, was dort vor einer Woche so vollmundig angekündigt worden ist, doch alles Europa nicht aus der Klemme helfen wird?

    Fritz-Vannahme: Nun, da spielen Sie natürlich auf die Reaktion der sogenannten Finanzmärkte an. Die sind tatsächlich vollkommen unberechenbar und unvorhersehbar. Für den Augenblick wirkt es so, als ob sich da einiges beruhigt hätte, aber wenn wir etwa hören, dass die IWF-Chefin Lagarde im Augenblick die Gefahr einer Rezession - und zwar einer weltweiten Rezession - an die Wand malt, dann kann man sich schon vorstellen, dass diese Finanzmärkte mit ihrer Geduld sehr, sehr schnell auch wieder zu Ende sein werden und dann ein Wettlauf der Zeit nicht mehr zu gewinnen ist. Der Ehrgeiz von Merkel und Sarkozy war ja, das möglichst schnell über die Bühne zu bringen, um diesen beruhigenden Effekt zu erzeugen, aber ob das funktioniert, wird man in den nächsten zwei, drei Wochen sehen, und mein Gefühl ist, dass das nicht so ruhig bleibt wie im Augenblick - bis März, bis die Umrisse des neuen Vertrages sichtbar werden.

    Kapern: Joachim Fritz-Vannahme, Europaexperte bei der Bertelsmann-Stiftung. Ich bedanke mich für das Gespräch und auf Wiederhören! Schönen Tag noch!

    Fritz-Vannahme: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.