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Riskante Flucht nach Europa
Abschreckungskampagne in Abidjan

Viele Menschen in Afrika wissen nichts von den Gefahren einer Reise ohne Papiere. Deswegen geht eine kleine NGO in die armen Vororte von Abidjan (Elfenbeinküste) und organisiert dort Infoabende zur illegalen Migration - mit zum Teil drastischen Bildern.

Von Anne Francoise Weber | 30.10.2018
    Ein gekentertes Flüchtlingsboot in der Ägäis.
    Mit Bildern dieser Art sollen Menschen in der Elfenbeinküste von der Flucht abgehalten werden (AFP / Ozan Kose)
    Freitagabend in Abobo, einem ärmeren Vorort von Abidjan. Neben einer Moschee sind auf der Straße Plastikstühle aufgereiht - rund hundert Männer sitzen in den vorderen Reihen, ungefähr ebenso viele Frauen in den Reihen dahinter, dabei sind auch viele Kinder. Sie alle schauen auf eine Leinwand, auf der furchtbare Bilder zu sehen sind. Menschen, die in der Wüste verdurstet sind - verrenkte Körper im Sand, Gesichter, die im Leid erstarrt sind, Hände, die noch nach etwas greifen wollen.
    Marc Koné Wossama von der Nichtregierungsorganisation SOS Immigration clandestine lässt die Bilder wirken, dann gibt er seinem Assistenten ein Zeichen, die darunter laufende Koranrezitation leiser zu stellen und erklärt: "Reisen ist ein Recht. Aber man muss seine Reise organisieren, um nicht sein Leben aufs Spiel zu setzen. Das Abenteuer zu wagen und seinen Angehörigen helfen zu wollen, ist nicht verwerflich. Aber man muss den legalen Weg nehmen, sonst kann es uns das Leben kosten. So wie diese jungen Menschen, die nicht den richtigen Weg genommen haben und in der Wüste geblieben sind."
    Nach den Bilder aus der Wüste folgen Aufnahmen von kenternden Booten auf dem Mittelmeer. Auf den Film über die Zustände in libyschen Gefängnissen verzichtet Marc Wossama heute - zwischendrin hat es schon ein wenig angefangen zu tröpfeln - doch nur wenige der Zuschauer sind aufgestanden und gegangen, die meisten hören bis zum Ende aufmerksam zu. Unter ihnen ist auch Maimouna Koné. Die Frau um die 40 findet, viele weitere Moscheen sollten solche Informationsveranstaltungen organisieren - denn viele Leute wüssten nicht, was sie erwarte, wenn sie sich auf den Weg machten.
    Heimlicher Aufbruch nach Europa
    Für sie ist die wichtigste Botschaft: "Es gibt Geld in Europa, aber auch hier – man kann überall Geld verdienen. Und wenn man stirbt, wird man nicht mit seinem Geld begraben. Also ist so eine Migration sinnlos."
    Der Imam der Moschee, die den Abend in Zusammenarbeit mit der kleinen Organisation und ihrem italienischen Partner organisiert hat, erklärt, dass er nicht weiß, welche jungen Leute die Absicht haben, ihr Glück in Europa zu suchen - oft würden sie ihre Pläne verheimlichen, bis sie aufbrechen. An den reichen Norden richtet er einen Appell: "Die Europäische Union und der Westen müssen die legale Migration vereinfachen. Und die, die dorthin kommen, müssen gut aufgenommen werden. Denn sie sind hier weggegangen, weil sie Arbeit brauchten, um ihre Familien zu retten. Die, die ihr Leben verloren haben, hatten tausende von Angehörigen, die auf sie gezählt haben. Normalerweise sind das Jungs, die noch sehr klein sind. Ihre Familie hatte viel Hoffnung auf sie gesetzt. Die Europäische Union muss eine Lösung finden und uns helfen, diese jungen Leute aus ihrem Elend zu holen."
    Gründe, sein Glück im Norden zu suchen, gibt es viele. Armut und Arbeitslosigkeit zum Beispiel - aber es sind nicht unbedingt die Allerärmsten, die sich aufmachen, zumal für die Kosten der Reise ein gewisses Kapital nötig ist. Einer Studie der Internationalen Organisation für Migration zufolge hatten über 80 Prozent derer, die das Land verlassen haben, zuvor eine bezahlte Arbeit.
    Das gilt auch für Seny Ehouman. Der junge Fußballspieler hatte eine Ausbildung als Schuster gemacht und eine kleine Schuhfirma gegründet. Doch er wollte die Chance auf eine Fußball-Karriere nicht aufgeben und hat sich deshalb auf den Weg gemacht - über Libyen aufs Mittelmeer, wo er als einer der wenigen Überlebenden aus einem Schiffsunglück geborgen wurde. Danach wurde er in Libyen inhaftiert, konnte fliehen und erlebte viel Gewalt in Tripoli, bis ihn seine Regierung zusammen mit vielen anderen zurückholte. Die Regierung der Elfenbeinküste ist sehr stolz darauf, über 3000 ihrer Staatsbürger aus Libyen zurückgebracht zu haben.
    Vorwürfe gegen Behörden-Mitarbeiter
    Doch Seny ist unzufrieden: "Man hat sich nicht um uns gekümmert. Als wir zurückkamen, hat man uns umgerechnet knapp 50 Euro gegeben, ein paar Säcke Reis und ein bisschen Wasser und dann hat man uns auf der Straße gelassen und gesagt: Ihr könnt ja nach Hause gehen."
    Senys Familie wollte ihn nicht aufnehmen, er hat bis jetzt keine feste Unterkunft. Und wirft Mitarbeitern verschiedener Behörden vor, sich an den internationalen Hilfsgeldern zu bereichern, die eigentlich für die Rückkehrer bestimmt seien.
    So weit gehen die Mitarbeiter von SOS Immigration Clandestine nicht. In ihrem kleinen Büro bereiten sie die nächsten Infoabende vor und machen Einzelberatung für Ausreisewillige und Rückkehrer. Sie finden, dass sich die Regierung durchaus des Themas annimmt. Allerdings sei man nicht offen genug für Vorschläge aus der Zivilgesellschaft, wie zum Beispiel, junge Leute bei Behördengängen zu unterstützen, um ihnen den Weg in die berufliche Selbstständigkeit zu erleichtern.
    Besonders um die Rückkehrer müsse man sich kümmern, erklärt Generalsekretär Issouf Ouattara im Büro der kleinen Organisation: "Viele von ihnen haben sich wegen dieser schlechten Versorgung noch einmal auf den Weg gemacht. Ein guter Umgang mit diesen Rückkehrern würde die Migration beträchtlich senken. Denn all diese Menschen haben noch Kontakt zu andern, die noch in Libyen sind - wenn die hören, dass es den Rückkehrern immer noch nicht gut geht, bleiben sie lieber in Libyen und versuchen, weiterhin nach Europa zu kommen."
    Auch wenn das Team von SOS Immigration Clandestine für legale Migration wirbt, weiß es doch genau, dass es gerade für einen jungen mittellosen Mann schwierig ist, ein Visum für Frankreich, Spanien oder Deutschland zu bekommen.
    Deswegen hat der Vorsitzende Marc Wossama, der vor über zehn Jahren selbst Angehörige bei einem Schiffsunglück verloren hat, noch eine andere Botschaft: "Das wahre Glück liegt nirgendwo anders als in unserem Herkunftsland. Die Elfenbeinküste ist ein Land voller Möglichkeiten. Wir müssen geduldig, ausdauernd und kreativ sein, dann können wir gut abschneiden."