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Riskante Freiheit

Für Jiri Grusa, Dichter und ehemaliger Botschafter in Deutschland, war der Prager Frühling die Hoffnung einer ganzen Generation auf mehr Freiheit. Man habe 20 Jahre unter der Starre des Kommunismus gelebt, als die Öffnung spürbar wurde. Allerdings habe sich die tschechische Gesellschaft den Kommunismus quasi mit dem Stimmzettel geholt.

Jiri Grusaim Gespräch mit Stefan Koldehoff | 20.08.2008
    Stefan Koldehoff: Weil Spielfilme manchmal eben doch in der Lage sind, Ereignisse und Stimmungen besser zu verdichten als die sicher authentischeren Dokumentaraufnahmen, deshalb sind die Ereignisse von heute vor 40 Jahren vielen wahrscheinlich am stärksten in dieser Form in Erinnerung geblieben, aus der Literaturverfilmung "Die unendliche Leichtigkeit des Seins" zum Beispiel. Gerade war noch war Frühling und Liebe und Leben, und plötzlich rattern schwere Ketten über das Kopfsteinpflaster, die Kameras wackeln und auf dem Wenzelsplatz im Zentrum von Prag stehen russische Panzer und richten ihre Kanonen auf das tschechische Volk. In der Nacht von heute auf morgen vor 40 Jahren endete der Prager Frühling, das wahrscheinlich von Anbeginn an zum Scheitern verurteilte Experiment, einen Kommunismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen. Um drei Uhr nachts meldete damals der Deutschlandfunk, dass die Russen den Versuch blutig beendeten. 98 Menschen starben, Zehntausende wurden verfolgt und verhaftet, weitere Zehntausende flohen und was folgte, waren 30 weitere Jahre Kommunismus. J

    Jiri Grusa war damals 30 Jahre alt und Dichter. Später, nach dem Ende des Kommunismus, wurde er u.a. Botschafter seines Landes in Deutschland und in Österreich. Ihn habe ich gefragt, ob die Ereignisse vom August 1968 für die Intellektuellen des Landes eigentlich überraschend kamen.

    Jiri Grusa: Jein. Das Riskante war in uns. Aber wenn Sie so leben wollen, müssen Sie das irgendwie verdrängt haben. Dennoch, die imperiale Intelligenz der Russen haben wir als höher eingestuft.

    Koldehoff: Sie haben damals schon Gedichtbände veröffentlicht gehabt. Sie haben für Zeitschriften geschrieben. Haben Sie sich als Dichter, als Literat konkret bedroht gefühlt?

    Grusa: Das Schreiben in einem halbtotalitären oder totalitären System ist immer eine riskante Sache.

    Koldehoff: Das heißt, dass heute viel mythologisiert wird, was den Prager Frühling angeht, es war nicht die totale Freiheit?

    Grusa: Ganz gewiss nicht. Es war eine Öffnung ab, sagen wir, 1960, 62, eine Hoffnung für meine Generation, die nichts anderes kannte, wir waren damals 20. Nach dem Kommunisten-take-over dann nach dem Putsch 48, das war 20 Jahre lang, das war unser Leben. Das war die Realität. Für uns war diese Starre des Kommunismus die natürliche Umwelt.

    Koldehoff: Bei uns hier in Deutschland ist gerade eine Studie veröffentlicht worden, aus der hervorgeht, dass die Jugendlichen heute ein sehr merkwürdiges Bild von der DDR haben, dass viele von denen der Meinung sind, das war gar keine Diktatur, so schlimm ist das alles nicht gewesen. Die Staatssicherheit, das war ein ganz normaler Geheimdienst, wie es das heute auch in vielen Ländern gibt. Wie geht es heute den Jugendlichen oder überhaupt der Bevölkerung in Tschechien? Ist es da gelungen, vernünftig mit der kommunistischen Vergangenheit umzugehen?

    Grusa: Weil das eine direktere Erfahrung war und eigentlich ein bisschen mit dem, was wir so schildern, verbunden, ist die Illusion oder die Interpretation des Alten, nicht so, sagen wir, blauäugig wie bei manchen, die die soziale Sicherheit höher einstufen als die individuelle Freiheit. Nun, das ist aber natürlich nur dort möglich, wo sie individuelle Freiheit haben. Da können sie auch kollektivistische Illusionen auf diese Art und Weise entwickeln. In dem Sinne ist das nicht überraschend. Dennoch, ich würde sagen, in der heutigen tschechischen Republik ist das nicht so dramatisch. Natürlich auch jetzt wird nachgedacht, dass das eigentlich gar nicht so schlecht war und dass das eigentlich politisch oder sozialpolitisch sicherer war. Aber es ist keinesfalls nicht so mutiert als in den heutigen Zeiten der deutschen Einheit.

    Koldehoff: Ist das eine Generationenfrage? Ist für eine jüngere Generation in Tschechien, die den Kommunismus vielleicht nicht mehr miterlebt habt, 68 überhaupt noch ein Thema?

    Grusa: Weniger, weniger. Wissen Sie, die Tücke der Freiheit besteht darin, dass wenn man sie hat, nimmt man sie sehr natürlich. Und dabei ist das eine politische Kultur, kein Naturzustand.

    Koldehoff: Was können Kulturschaffende, was können Dichter dagegen tun, dass man die Freiheit als normal gegeben hinnimmt?

    Grusa: Na ja, wissen Sie, das kann man nicht kollektivistisch machen. Das Erlebnis der Freiheit ist die kreative Energie des Individuums, und die muss man riskieren. Und natürlich, die Situationen, in denen, die Sie soeben beschrieben haben, kreieren immer eine gewisse Gefahr, dass man sich eine Wiederholung der totalitären Rettungs- oder Weltrettungsideologien, wieder irgendwie als Kavalierskrankheit ins Haus mit dem Stimmzettel holt. Das war doch die Erfahrung der tschechischen Gesellschaft. Wir waren die einzige Gesellschaft, die sich den Kommunismus mit einem Stimmzettel ins Haus geholt hat wie eine Art Kavalierskrankheit. Nicht unähnlich dem, was den Deutschen im Jahre 33 passiert war.

    Koldehoff: Wie werden Sie den heutigen Abend verbringen? Ist es ein ganz normaler Abend oder schon was Besonderes?

    Grusa: Heute ist das kein normaler Abend. Ich muss das, was wir jetzt machen, ich diskutiere unentwegt, obwohl ich ja irgendwie ruhig mit meiner Frau zum Abendessen gehen wollte. Ich muss ja wieder eine Diskussion gestalten. Aber ich würde das genießen in dem Sinne, dass man heutzutage rückblickend sagen kann, es hat sich gelohnt und verglichen damit, was man heute in Georgien sieht usw., hat das vielleicht auch eine positive Message für die von dort, keine Angst, auch die werden mal abziehen müssen, und zwar schneller als die damals aus Prag.

    Koldehoff: Der Dichter und Diplomat Jiri Grusa über das Ende des Prager Frühlings vor 40 Jahren.