Mittwoch, 24. April 2024

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Ritter: Italiener im Ausland könnten noch Prodi-Mehrheit erreichen

Ulrich Ritter, ehemaliger Leiter der Italien-Redaktion der Deutschen Welle, glaubt nicht, dass Silvio Berlusconi als Oppositionsführer zur Verfügung stehen wird. Die noch nicht ausgezählten Stimmen der Italiener im Ausland könnten eine gespaltene Mehrheit im Senat und Abgeordnetenhaus verhindern, da man davon ausgehen, dass sie eher für die Mitte/Links-Liste stimmten, sagte Ritter.

11.04.2006
    Thoma: Italien hat gewählt, aber so wie es jetzt aussieht gibt es keine handlungsfähige Regierung danach. Im Abgeordnetenhaus hat die Mitte/Links-Koalition von Romano Prodi knapp die Mehrheit geschafft, aber im Senat, der genauso wichtig ist, ist das Ergebnis noch nicht klar und hier liegt das Mitte/Rechts-Bündnis vorne. – Ulrich Ritter, ehemaliger Leiter der Italien-Redaktion von Deutscher Welle und Deutschlandfunk, immerhin kann man mit Sicherheit jetzt sagen, Berlusconi kann alleine nicht mehr regieren oder?

    Ritter: Nein. Berlusconi wird es sicherlich alleine nicht mehr schaffen. Es ist auch fraglich, ob er als Oppositionsführer zur Verfügung steht. Ich denke, dass Romano Prodi sicherlich versuchen wird, eine Regierung zu bilden. Nur die Senatsentscheidung steht ja noch aus. Die sechs Senatoren, die die Italiener im Ausland wählen, die müssen ja erst noch ausgezählt werden und hier wird eine Entscheidung am Nachmittag fallen. Im Moment sieht es im Senat so aus, dass 155 Senatoren auf der Mitte/Rechts-Liste stehen und 154 auf der Mitte/Links-Liste. Also werden die sechs Senatoren der Italiener im Ausland den Ausschlag geben. Da spekuliert man, dass die Italiener im Ausland links wählen werden, so dass sich dort vielleicht noch mal das Ganze herumdrehen kann und Romano Prodi eventuell im Senat eine Mehrheit schaffen kann, denn jede Gesetzesentscheidung in Italien muss auch vom Senat bestätigt werden, so ähnlich wie bei uns im Bundesrat.

    Thoma: Wäre denn dann die Mehrheit stabil genug?

    Ritter: Dann wäre sie zwar sehr, sehr knapp, aber Romano Prodi könnte regieren und vor allem Staatspräsident Ciampi, der ja in Italien den Regierungsauftrag erteilt, könnte dann leichter diesen Auftrag an Romano Prodi übergeben. Aber auch dort steht ja ein Wechsel an. Ende des Monats müsste die neue Kammer und der neue Senat den Staatspräsidenten neu wählen. Schon munkelt man in Rom, dass Ciampi, der ja hoch in den 80 ist und eigentlich nicht mehr kandidieren wollte, jetzt doch wieder zur Verfügung steht, weil er sagt, er möchte das Land in ruhige Wasser führen und eben nicht jetzt einen Wahlkampf beziehungsweise noch mal eine Auseinandersetzung über einen kommenden Staatspräsidenten miterleben.

    Thoma: Die Wähler für die Senatoren im Ausland werden möglicherweise links stimmen, haben Sie gesagt. Das wäre ja auch nicht so verwunderlich, denn im Ausland kann eigentlich keiner so richtig verstehen, warum die Italiener Silvio Berlusconi wählen. Können Sie das verstehen?

    Ritter: Nein, das ist richtig. Die Italiener im Ausland, sagt man jetzt, wählen eigentlich mehr links, vor allem die Italiener in Europa. Man sieht ja allenthalben, dass in allen Ländern Europas um Italien herum eigentlich keine große Liebe für Berlusconi existiert. Die Italiener selber sind einfach gespalten. Das Land ist gespalten in zwei Lager: pro und kontra Berlusconi. Vor allem der Süden spricht sich immer mehr für Berlusconi aus, wobei der Norden ganz klar und deutlich und das Zentrum Italiens, Mittelitalien, Emilia Romania, Toskana, für Romano Prodi sind. Gerade aber im Süden sind ja viele Stimmen auch – das weiß man – seit Jahren von der Mafia gekauft. Insofern beschreibt das eben auch das Klima oder die Welt, in der sich Berlusconi bewegt. Er bewegt sich eben in einer doch sehr dubiosen Welt und dort muss man sagen, dass gerade im Süden, in Sizilien, viele Stimmen, die für Berlusconi abgegeben wurden, halt gekaufte Stimmen sind.

    Thoma: Aber so viele auch, denn es gibt im Süden sicherlich einige Leute, denen es richtig schlecht geht, die trotzdem Berlusconi gewählt haben oder?

    Ritter: Das ist würde ich sagen zurückzuführen auf seine drei Fernsehkanäle, die er natürlich geschickt einsetzt, gerade jetzt vor der Wahl geschickt eingesetzt hat, wo er eben die Mittelschicht anspricht und den Italienern vormachen will, dass er, der es ja vom Staubsaugervertreter zum Regierungschef gebracht hat, eben ein Selfmademan ist.

    Thoma: Was erwarten die Italiener überhaupt von der neuen Regierung? Was muss dringend getan werden?

    Ritter: Romano Prodi, wenn er die Regierung dann bilden kann, muss auf alle Fälle das Haushaltsdefizit von 4,1 Prozent senken. Er muss die Maastricht-Kriterien erreichen. Er muss die Industrie privatisieren. Er muss die Jugendarbeitslosigkeit, die bei 17 Prozent liegt, senken und es müssen vor allem auch genauso wie in Frankreich Arbeitsverträge für die Jugendlichen her, die nicht nur ein Jahr gelten oder nicht nur drei Monate, sondern es muss wieder für die Jugend ein guter Einstieg in die Arbeitswelt geschaffen werden. Das ist die Aufgabe von Romano Prodi, aber als Wirtschaftsprofessor traut man ihm das zu.

    Thoma: Ist zu befürchten, dass Italien in alte Verhältnisse zurückkommt, dass wir wieder alle paar Monate eine neue Regierung haben?

    Ritter: Man spricht davon. Auch wenn Romano Prodi jetzt die Regierung bilden kann und wenn im Senat eine Mehrheit hergestellt wird, dann wird er – so sagt man in Rom – nicht länger als zweieinhalb Jahre regieren. Dann werden die Karten noch mal neu gemischt und dann wird es wahrscheinlich auch die Neuwahl eines Staatspräsidenten geben, so dass man sagen kann es wird nicht eine ganze Legislaturperiode von fünf Jahren von Romano Prodi durchregiert werden können.

    Thoma: Ist denn eigentlich jemand in Sicht, der möglicherweise auch mehr Charisma hat als Prodi?

    Ritter: Es gibt Namen und ich habe vor einigen Tagen Walter Veltroni, den Bürgermeister von Rom, interviewt und das wäre ein Mann, der sicherlich die Linken zusammenführen könnte. Er genießt große Popularität. Er hat aus der Hauptstadt Rom in den letzten Jahren ein Juwel gemacht. Man denke nur an die Beerdigung von Papst Johannes Paul II, wie er das organisiert hat. Er wäre der Mann, der eine Linke einen könnte und der vielleicht auch im Volk noch mal größeren Rückhalt bekommen könnte als Romano Prodi.

    Thoma: Hat Berlusconi eigentlich für sich auch einen Nachfolger aufgebaut? Wohl eher nicht oder?

    Ritter: Berlusconi hat, wie er schon als Manager seiner Konzerne gezeigt hat, eben nicht einen Nachfolger aufgebaut, aber es scharren natürlich einige mit den Hufen, darunter der Parlamentspräsident Pierferdinando Casini und der Gouverneur der Lombardei Formigoni. Das wären Leute, die in Frage kämen, und nicht zu vergessen Gian-Franco Fini von der rechten Allianz, der aber bei den jetzigen Parlamentswahlen kein großes Ergebnis hingelegt hat.

    Thoma: Und jetzt muss erst mal eine Regierung mit Berlusconi oder Prodi gebildet werden und das wird schwierig genug. Informationen von unserem Italien-Experten Ulrich Ritter. Vielen Dank und schönen Tag noch!