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Robert Habeck (Grüne) über die Koalitionsverhandlungen
"Man hat sich ins Technische geflüchtet"

Nach Ansicht des Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck gehen Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen die großen Fragen der Zukunft nicht an. Vielmehr werde mit Geld auf Symptome gekleckert, sagt Habeck im Dlf. Weil CDU und SPD von Anfang an nicht miteinander regieren wollten, hätten sie die Politik aus den Augen verloren.

Robert Habeck im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.02.2018
    Der Grünen-Co-Vorsitzende Robert Habeck
    CDU und SPD machten bei vielen Punkten einfach so weiter wie bisher. Das sei gar nicht immer alles falsch - allerdings würden die ganz großen Fragen nicht angegangen, so Robert Habeck (imago stock&people)
    Christiane Kaess: Sie kommen voran, aber es reicht noch nicht. Union und SPD müssen in die Verlängerung gehen. Gestern Nachmittag wurde klar: Alle Themen so weit abzuhandeln, dass ein Koalitionsvertrag steht, das gelingt in der vorgegebenen Frist nicht mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hatte ja schon den Montag und den Dienstag als Puffertage in Aussicht gestellt. Herr Habeck, haben Sie noch einen Tipp für die Verhandelnden, das Ganze noch gut zu einem Abschluss zu bringen?
    "Die Politik aus den Augen verloren"
    Robert Habeck: Vielleicht umgekehrt noch mal mit einer Idee anzufangen, wohin es eigentlich gehen soll in Deutschland in den nächsten vier Jahren und dann auch vielleicht 14 Jahren. Aber das ist natürlich Naseweis und nassforschend frech. Jetzt sind die Verhandlungen so weit fortgeschritten, die werden das heute unterzeichnen und dann entscheidet die SPD-Basis.
    Kaess: Was meinen Sie denn mit dieser Idee, die Sie angesprochen haben?
    Habeck: Die Verhandlungen machen vieles weiter so wie bisher und das ist gar nicht immer alles falsch. Aber sie gehen die ganz großen Fragen nicht an. Die Mütterrente für Mütter, die ein drittes oder viertes Kind vor 92 geboren haben, sei allen Müttern herzlich gegönnt. Aber die entscheidende Frage wird wahrscheinlich eher sein, wie wird die Rente stabil bleiben ab 2030. Die sachgrundlose Befristung ist ein wichtiges Problem für die Menschen, die in diesen immer kürzeren Arbeitsverträgen drinhängen. Aber der Druck auf den Arbeitsmarkt in Zeiten der Digitalisierung, auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse insgesamt ist enorm hoch. Wie also machen wir neben Fördern und Fordern und neues Prinzip, das den Menschen Sicherheit und auch Würde und auch stabiles Einkommen in einer Zeit gibt, wo die Arbeit immer mehr entwertet wird? Das bleibt alles unbeantwortet. Deutschland fit fürs neue Jahrtausend oder vielleicht bescheiden für die nächsten zwei, drei Jahrzehnte, das ist sicherlich nicht Leitmotiv gewesen. Aber wie soll es auch sein? CDU und SPD wollten ja nicht miteinander regieren und deswegen hat man sich ins Technische geflüchtet, aber die Politik aus den Augen verloren.
    "Es reicht nicht, weiterzumachen wie bisher"
    Kaess: Wenn ich Sie richtig verstehe, fehlen Ihnen die großen Linien. Aber, Herr Habeck, da stellt sich die Frage, ob so ein Land, dem es wirtschaftlich so gut geht wie Deutschland - wirtschaftlich so gut wie eigentlich kaum einem anderen Land - ob das wirklich diesen großen Umbruch überhaupt braucht.
    Habeck: Genau, das ist die Frage. Wenn man der Meinung ist, alles ist super, dann ist, wie soll ich sagen, so ein lauwarmer Koalitionsvertrag genau die richtige Antwort. Das ist allerdings nicht meine Analyse. Sie haben recht: Wir haben eine boomende Wirtschaft, wir haben fast Vollbeschäftigung in Deutschland. Aber wir haben auch eine zunehmende Nervosität, Gereiztheit, gesellschaftlichen Unfrieden. Im Grunde sind die stockenden Regierungsbildungsgespräche ja Ausdruck dafür, dass die Politik mit dem Wahlergebnis vielleicht nicht umgehen kann. Man kann es ja fast so übersetzen, dass die Politik und die gesellschaftliche Wirklichkeit ein Stück weit auseinandergefallen sind. Und wenn das die Analyse ist, dann muss man sagen, es reicht nicht, weiterzumachen wie bisher - nur mit mehr Geld. Dann muss man ein paar Leitideen entwickeln und auch ein paar Themen in den Blick nehmen, die größer sind als die Technik des Koalitionsvertrags. Das wäre allerdings meine Analyse und insofern – und das sage ich ohne Häme; immerhin waren wir ja auch dabei und wir haben es auch nicht geschafft, einen Koalitionsvertrag zu bilden -, deswegen, glaube ich, bleibt der Koalitionsvertrag hinter dem, was eigentlich notwendig ist, zurück.
    "Gute Lage des Landes ist Teil des Problems"
    Kaess: Aber Realität ist ja auch, Herr Habeck, diese gute Lage des Landes, von der zumindest sehr, sehr viele Leute profitieren, natürlich nicht alle. Wird das aber eventuell auch Ihr Problem in der Opposition, wenn es jetzt dabei bleiben sollte oder dazu kommen sollte, dass diese Koalition so gebildet wird von Union und SPD und Sie tatsächlich in der Opposition bleibe; Wird das eventuell Ihr Problem auch für die nächsten Jahre, das große durchschlagende Thema überhaupt noch zu finden?
    Habeck: Die gute Lage des Landes ist Teil des Problems, die jetzt zu lösen sind. Wenn jetzt die sachgrundlose Befristung oder eine ungleiche medizinische Betreuung übrig geblieben sind, dann ist die Diagnose, die dahinter steht, ja nicht falsch. Wir haben eine Situation, wo Menschen nicht arm werden, obwohl sie arbeiten, sondern teilweise, dass sie arm werden, weil sie arbeiten. Das ist ja die Folge dessen. Der Druck ist enorm auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Wir haben das Gefühl, dass es nicht mehr fair zugeht in der Gesellschaft. Das macht sich an den Wartezeiten im Krankenzimmer durchaus fest, aber es sind auch die Schulen, es sind die öffentlichen Einrichtungen, die teilweise in einem maroden Zustand sind, so dass Kinder morgens nichts mehr essen oder trinken, um nicht auf das Schulklo zu gehen. All solche Punkte sind ja richtig erkannt, aber eben nur technisch und nicht politisch angegangen in diesem Koalitionsvertrag.
    Und ja, natürlich kann es sein, wenn es nicht gelingt, die politische Debatte zu fokussieren, dass die Grünen als dann kleinste Oppositionspartei nicht wirklich ins Spiel kommen. Aber ich glaube, es wird genau anders herum sein: Alle werden verzweifelt danach gucken, wo denn eigentlich eine Debatte über die Zukunft stattfindet, und dann ist es auch nicht schlimm, dass wir die kleinste Partei sind.
    "An der Oberfläche gekratzt, nicht tief genug geschürft"
    Kaess: Und in der Tat, Herr Habeck, kommen all diese Themen, die Sie jetzt angesprochen haben, auch in diesen Koalitionsgesprächen und wahrscheinlich dann auch im Vertrag vor. Nehmen wir mal den Klimaschutz raus. Diese Einigung beim Klima, künftig gesetzlich verbindliche Klimaschutzziele beim Verkehr, bei der Energie oder bei der Landwirtschaft, der Ausbaue der neuen Energien, haben wir gerade gehört, soll nicht mehr gedeckelt werden. Sind Sie neidisch, dass die SPD und die Union auch ohne die Grünen so viel hinbekommen bei diesem Thema?
    Habeck: Aber so ist es doch gar nicht. Wieder wird das strukturelle Problem nicht angegangen. Ausbau der erneuerbaren Energien ab 65 Prozent - gut. Kein Kohleausstieg sorgt allerdings dafür, dass, weil die erneuerbaren Energien den Strompreis auf dem Markt günstiger machen, die alten Kohlekraftwerke die einzigen rentablen Kraftwerke sein werden. Das heißt, Ausbau der erneuerbaren Energien und kein Rückgang der CO2-Emissionen. Den werden wir haben, weil die Große Koalition nicht an den Kohleausstieg herangeht.
    Wir haben die Abschaffung der Luftverkehrssteuer. Das heißt, Fliegen wird für die Flugkompanien günstiger auch gegenüber Bahnfahren beispielsweise und die Lasten werden wieder auf die Allgemeinheit umgelegt. Wir haben keine Bepreisung von CO2. Wie bei der Sozialpolitik oder Arbeitsmarktpolitik wird an Symptomen herumgedoktert, aber das eigentliche strukturelle Problem nicht gelöst. Bei der Landwirtschaftspolitik ganz genauso. Es ist gut, ein Tierwohl-Label einzuführen, aber verbindlich wird es nicht gemacht. Das heißt, es ist wieder alles nur freiwillig. Wir werden keine veränderte Landwirtschaftspolitik bekommen. So geht das weiter in einer Tour. Das heißt, es ist immer nur an der Oberfläche gekratzt, nicht tief genug geschürft.
    Kaess: Lassen Sie mich da gerade noch mal nachhaken. Rückgang CO2, das wissen Sie ja noch gar nicht, wie sich das entwickelt, und da war ja eine fundamentale Kritik bisher zum Beispiel, dass der Bereich Verkehr mit verbindlichen Zielen beim Klimaschutz ausgenommen war. Dann ist doch das jetzt eine Kehrtwende.
    Habeck: Aber es ist doch nur dann verabredet: Wir schreiben Ziele rein in ein Gesetz, aber nicht die Maßnahmen. Und das weiß ich schon vorher, wie das ausgeht, und mit Verlaub: Wir haben das ja lange genug jetzt gesehen, dass wir einen Anstieg der erneuerbaren Energien haben. Wir haben ja einen stetigen Anstieg der Stromproduktion aus Erneuerbaren und keinen Rückgang von CO2. Insofern muss man nicht besonders philosophisch herangehen, um zu sagen, wenn das jetzt weitergeht, dann wird sich daran nichts ändern. Es gehen die effizienten Kraftwerke raus und die alten Dreckmühlen bleiben bestehen, und das sind die Braunkohlekraftwerke. Das wird genau so kommen.
    "Mit Geld auf das Symptom gekleckert"
    Kaess: Soziale Themen haben Sie gerade schon kurz angerissen. Da ist jetzt viel festgelegt worden zu Bildung und Chancengleichheit, dieses Bildungspaket von zehn Milliarden. Sogar das Kooperationsverbot soll fallen. Da waren die Grünen ja auch dafür. Beim sozialen Wohnungsbau wird jetzt was gemacht und so weiter. Unterm Strich: Müssen Sie nicht zugeben, auch wenn diese Große Koalition, wenn sie denn kommen sollte, nicht unter einem großen Motto steht, so wie Sie sich das wünschen, wird nicht der Alltag vieler Menschen doch einfach verbessert, wenn diese ganzen Maßnahmen durchgesetzt werden?
    Habeck: Ich sage ja, dass nicht alles falsch ist, was da drinsteht. Aber es ist mit Geld auf das Symptom gekleckert, aber nicht eine konsistente Politik für morgen daraus entwickelt. Die Aufweichung des Kooperationsverbots und damit die Finanzierung der Ganztagsschulen, das ist eine gute Sache. Das haben wir auch gefordert. Das Baukindergeld, das kommen soll, ist ein Zuschuss für diejenigen, die eh bauen wollen. Für diejenigen, die das Geld dann nicht haben - 1.200 Euro stehen in Rede pro Kind pro Jahr über zehn Jahre -, nützt es auch nichts. Das heißt, man macht eine Mittelstandsförderung. Das sei denen gegönnt, die davon profitieren. Man tut auch was für die Bauwirtschaft, indem man den Mittelstand fördert, weil sie das Geld ja gleich einpreisen werden. Dass dadurch allen Familien, die Wohnraum suchen, geholfen wird, kann ich wiederum nicht sehen. Also nicht wirklich falsch, aber auch vieles nicht richtig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.