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Robert Musil und der Erste Weltkrieg
Die "Conditio humana des Soldatenseins" ergründen

Der österreichische Schriftsteller Robert Musil meldete sich 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Das Münchner Literaturhaus beleuchtet derzeit in einer Schau die Erlebnisse des Autors. Musil habe den Krieg stets in seiner Ambivalenz gesehen, immer dessen Sinnlosigkeit betont, so Kurator Reinhard G. Wittmann.

Reinhard G. Wittmann im Gespräch mit Katja Lückert | 26.02.2014
    Katja Lückert: Wie viele fortschrittsgläubige Kriegsbefürworter meldete sich auch der österreichische Schriftsteller Robert Musil 1914 freiwillig zum Kriegsdienst. Zum Gedenkjahr des Ersten Weltkrieges beleuchtet das Münchner Literaturhaus von heute an in einer Ausstellung die zum Teil erschütternden Erlebnisse des Autors besonders in den Hochgebirgsgegenden in Tirol. Im militärärztlichen Zeugnis Robert Musils steht "Oberleutnant/Schriftsteller/Dr. Robert Musil" – und tatsächlich hatte Robert Musil bereits vor Kriegsbeginn eine Eliteausbildung auf militärisch geprägten Schulen absolviert.
    Die Frage geht an den Kurator Reinhard Wittmann: Welche Dokumente haben Sie für die Ausstellung zusammengetragen? Erst kürzlich sind doch im Museo Storico Italiano della Guerra von Rovereto weitere Fotografien aus Musils Zeit in Trient gefunden worden.
    Reinhard G. Wittmann: Für diese Ausstellung war es einfach für uns wichtig, einerseits die Kriegsbiografie Musils darzustellen, mit Fotos, mit Dokumenten, es gibt so einen Paradesäbel, wir haben einzelne persönliche Exponate von ihm, aber im Wesentlichen geht es um seine biografischen Dokumente. Da sind eben auch die von Ihnen zitierten Fotografien aufgetaucht, die aus dem Fersental stammen. Auf der anderen Seite ging es uns natürlich darum, einfach mal diese Kriegsgeschichte wenigstens in Stichworten zu zeigen. Das sind die großen Linien im Grunde: Musil, sein Werk, zum Teil hörbar über Audioguide und auf der anderen Seite der Versuch, wenigstens diesen wahnwitzigen Gebirgskrieg in seinen ganzen Extremen darzustellen, wie Musil ihn auch gesehen oder erlebt hat, aber eben nicht immer aufgezeichnet hat.
    Den "wahnwitzigen Gebirgskrieg in seinen ganzen Extremen" darstellen
    Lückert: Wenn Sie vom Fersental südöstlich von Trient gelegen sprechen – diese Landschaft hatte es Musil ja sehr angetan. Vielleicht auch, weil dort ein Fersentaler Deutsch, also ein oberdeutscher Dialekt gesprochen wird?
    Wittmann: Das gehört ja auch zu diesem Gebirgskrieg, diese Erfahrungen. Die Leute, die in Wien aufgewachsen sind oder in Klagenfurt, auf alle Fälle in den großen Städten, die kamen dann in diese fast archaischen Gesellschaften. Dieses Fersental war zu Musils Zeiten nur über einen Saumpfad erreichbar und deswegen hat sich das wie eine Sprachinsel, ein alt-, mitteldeutscher tirolerischer Dialekt, bis heute übrigens erhalten. Und er kam in diese wirklich archaisch anmutende Gesellschaft und war da sehr berührt. Dann gab es natürlich auch militärische Aufgaben, am Ende dieses Tals verlief ja die Front, und dieses zusammen hat einen sehr tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen: einerseits die kriegerische Auseinandersetzung und das auf dem Hintergrund einer fast archaischen Gesellschaft. Dazu kam – das muss man der Wahrheit halber einfach sagen: Die Männer waren natürlich eingezogen. Es waren eigentlich nur mehr Frauen im Tal zurückgeblieben, und da hat sich offensichtlich auch mit der Frau, die später Gretschel genannt wurde, was entsponnen, und das kann man an so einem Beispiel sehr schön zeigen, dass Krieg oder Soldaten sein nicht nur extreme Erfahrungen, Grabenkrieg oder so was, ausmacht, sondern dass es auch Phasen und Monate gab, wo nur sehr wenig passiert ist und wo man sich mit den Menschen auseinandergesetzt hat.
    Lückert: Was fast ein Alltag dann gewesen ist.
    Wittmann: Ja, so schreibt er dann auch. Oben hinter den Bergspitzen Krieg, unten im Tal lebe ich wie ein Tourist, so ungefähr.
    Lückert: Er wurde ja dann am 22. September 1915 nahe Trient auch von einem sogenannten Fliegerpfeil, einem spitzen Metallstab, der von einem italienischen Flugzeug abgeworfen wurde, verfehlt, und diese Erfahrung hat er literarisch verwertet in seiner Erzählung "Die Amsel".
    Wittmann: Dieses gehört überhaupt zum Interessanten, zu den Eigenarten von Musils Kriegserfahrung. Er hat ja im Unterschied zu vielen anderen, die über den Krieg geschrieben haben, sich nie mit abenteuerlichen oder oberflächlichen Geschichten befasst. Er hat immer versucht, eigentlich diese Existenzform, was macht das eigentlich aus, wenn die Nähe des Todes und zugleich die Schönheit der Berge anwesend ist, diese Form von einer gesteigerten Existenz, das wollte er ergründen, in dem hat er nachgebohrt. Ein schönes Beispiel ist das: Du stehst im Tal, er nennt es ja auch so, Sugana, in der Ferne die Dolomiten, diese Schönheit, und dann plötzlich das Geräusch, das Gehör wird plötzlich überlebenswichtig, man sieht es nicht, und Du weißt, der Tod kommt auf Dich zu, und was passiert da in Dir und in einem. Das ist einer dieser wirklich ganz tollen Texte, wo er versucht, diese Befindlichkeit zu beschreiben in der Amsel, diese Fliegerpfeil-Geschichte. Alle reden über diesen Fliegerpfeil und wir haben einen Sammler in Südtirol gefunden, der noch einen Original-Fliegerpfeil hat. Die sind nicht größer wie ein Bleistift, ungefähr wie ein Bleistift von der Länge her, auch von der Schlankheit her, haben hinten natürlich die Einkerbungen, damit sie richtig fallen. Und wie Musil das beschreibt: Wenn so ein Fliegerpfeil aus 2000 Meter Höhe abgeworfen wurde, hat der eine Geschwindigkeit gekriegt wie Geschosse. Wie er es nannte: Der durchschlug Deinen Helm und kam an den Beinen oder an den Füßen wieder heraus. Aber Gott sei Dank haben wir einen Fliegerpfeil gefunden, der befindet sich unten in der Vitrine.
    Lückert: Gab es denn in der Folge dieses Fliegerpfeil-Erlebnisses in Musil eine Wandlung seiner Vorstellung vom Krieg?
    Wittmann: Im Grunde kann man nicht sagen, dass das ihn dazu geführt hat, den Krieg anders zu sehen. Er hat den Krieg immer in dieser Ambivalenz gesehen. Er hat immer von der Sinnlosigkeit geredet. Aber was ihn interessiert hat, ist diese Conditio humana des Soldatenseins zu ergründen. Denn man darf ja nicht vergessen: Die Leute haben durchgehalten. Wie heute oft darüber geredet wird: Wie konnten die nur? – Ich meine, das muss man erst einmal verstehen. Und mit Hilfe von Musil, glaube ich, kann man da eine ganze Menge verstehen.
    Lückert: Manchmal wurde der Krieg auch Alltag, zum Beispiel in vielen langen Tagen im Dörfchen Palai im Fersental, wo Robert Musil als Soldat im Ersten Weltkrieg Dienst tat. Reinhard Wittmann hat – übrigens unterstützt von dem großen Musil-Experten Karl Corino - die Ausstellung im Münchner Literaturhaus kuratiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.