Donnerstag, 28. März 2024

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Roberto Bolaño: "Die romantischen Hunde"
Prosagedichte mit Suggestivkraft

Militärputsch in Chile, Haft, dann Exil in Mexiko und Spanien: Das Leben des chilenischen Autors Roberto Bolaño war dramatisch. Vieles davon hat er in seinen Gedichten verarbeitet, die nun in deutscher Übersetzung vorliegen. Sie verzaubern mit gefühlsdurchdrungenen und höchst assoziativen Beschreibungen.

Von Martin Grzimek | 17.11.2017
    A group of people light candles at Estadio Nacional in Santiago, Chile, 11 September 2014. Chileans commemorated the 41st anniversary of the military coup d'etat by General Augusto Pinochet against the back then President Salvador Allende.
    Chilenen gedenken dem Tag des Militärputsches von General Pinochet am 11. September 1973, der Präsident Allende und mit ihm das Land in eine Diktatur stürzte (dpa / Sebastian Silva)
    "Ich schreibe keine Poesie, ich schreibe Prosa", hat der chilenische Autor Roberto Bolaño einmal gesagt und doch neben einer großen Anzahl von Romanen und Erzählungen insgesamt sechs Gedichtbände veröffentlicht. Unter dem schlichten Titel "Drei" und dem eher lyrisch klingenden "Die romantischen Hunde" liegen nun zwei seiner poetischen Publikationen in einem Band in deutscher Übersetzung vor. Alle Texte stammen aus den neunzehnhundertneunziger Jahren, als Bolaño schon längst nach Spanien emigriert war. Die Sammlung "Die romantischen Hunde" bezieht sich allerdings auf seine literarischen Erfahrungen in Süd- und Mittelamerika. Insbesondere das erste, titelgebende Gedicht umschreibt die Grundstimmung seiner lyrischen Versuche. Inhaltlich verweist es auf Bolaños Erlebnisse während des Militärputsches in Chile.
    "Damals war ich zwanzig Jahre alt / und war verrückt. / Ein Land verloren, / aber einen Traum gewonnen. / Und träumte ich ihn, / war alles andere nicht mehr wichtig."
    Die Erfahrung willkürlicher Brutalität
    Bolaño, der nur fünfzig Jahre alt wurde, war 1953 in Chile geboren worden, erlebte seine Heimat aber nur während seiner Kindheit und siedelte bereits als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Mexiko-City um. Nach Chile kehrte er erst wieder in dem Jahr zurück, als Allendes sozialistische Revolution durch Pinochets Militärputsch brutal niedergeschlagen wurde. Daraufhin erfolgte eine Verhaftungswelle der Oppositionellen, unter ihnen war auch der junge Schriftsteller Roberto Bolaño. Er kam in die Arrestzelle der Polizeistation einer Provinzstadt und hatte das Glück, unter den Polizisten einen ehemaligen Schulkameraden wiederzutreffen, mit dessen Hilfe er schon nach acht Tagen Haft wieder freigelassen wurde. Relativ unbehelligt, aber tief betroffen vom Missbrauch staatlicher Gewalt, konnte er Chile wieder verlassen und nach Mexiko-City zurückkehren.
    "Ein Land verloren, aber einen Traum gewonnen", schreibt er und meint damit zum einen den Traum von Freiheit und Unabhängigkeit, zum anderen aber auch den "Alptraum" willkürlicher menschlicher Brutalität, der sich von nun an im Kontrast zur Sehnsucht nach Liebe und Frieden wie ein Leitgedanke durch seine Schriften zieht. So endet das Titelgedicht über die "romantischen Hunde".
    "Und der Alptraum sprach zu mir: du wächst. / Schmerz und Verirrung, diese Bilder lässt du hinter dir / und du vergisst. / Zu jener Zeit jedoch wär Älterwerden ein Verbrechen gewesen. / Und ich sprach: hier bin ich, bei den Hunden, bei den romantischen, / hier bleib ich."
    Die "romantischen Hunde" - befreundete Dichter
    Höchstwahrscheinlich sind mit den "romantischen Hunden" die Schriftsteller und Dichter gemeint, mit denen er in Mexiko freundschaftlich verbunden ist, "Detektive" nennt er sie in einigen seiner schönsten Gedichte, "Detektive, verirrt in der dunklen Stadt".
    "Detektive, die ihre / Offenen Hände betrachten, / Das Schicksal, bespritzt vom eigenen Blut. / Und du, du kannst dich nicht einmal an die erinnern / Die Wunde, wo sie war, / Und die Gesichter, die du einst geliebt hast, / Die Frau, die dir das Leben rettete."
    Während im ersten Band noch das lyrische Ich sich erinnernd und im oft surrealen Zwiegespräch Erlebnisse und Erfahrungen seiner mexikanischen Jahre in poetischen Assoziationen zum Ausdruck bringt, ist die zweite Gedichtsammlung mit dem Titel "Drei" fast ausschließlich von Prosagedichten bestimmt. "Herbst in Gerona Prosa", entstanden 1981, befasst sich in 35 tagebuchähnlichen Aufzeichnungen mit seinem Aufenthalt Anfang der achtziger Jahre in der katalanischen Stadt Gerona. Er hält das Hier und Jetzt seiner Lebensumstände fest, die geprägt sind von Geldmangel, dem Geduldspiel der ständigen Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis in Spanien und den fortwährenden Schreibversuchen.
    "Der Autor unterbricht im dunklen Zimmer seine Arbeit, die Jugendlichen hören auf, sich zu prügeln, die Scheinwerfer der Autos leuchten auf wie in Brand gesteckt. Auf der Mattscheibe sehe ich nur Lippen, die ihren Atlantismoment buchstabieren."
    Traumtexte im Perfekt
    Entsprechend ihrer jeweiligen Aktualität stehen diese Aufzeichnungen meist im Präsens, während Bolaño in dem Kapitel "Die Neochilenen" in mehr als 500 Verszeilen im erzählenden Imperfekt sich an eine Reise durch Chile bis Peru erinnert, die er einst zusammen mit einer Musikgruppe unternahm. Der dritte Teil, geschrieben im Perfekt, also in der Zeitform der abgeschlossenen Vergangenheit, versammelt 57 Traumtexte. Dieser "Spaziergang durch die Literatur", entstanden 1994, zeigt, wie intensiv sich Bolaño mit literarischen Texten auseinandersetzte. Angeregt durch die Lektüre der Schriften Vergils, Pascals, Walt Whitmans, Kafkas, Nicola Parras oder etwa Gabriela Mistrals verzaubern diese Notate durch ihren von Gefühlen durchdrungenen höchst assoziativen Charakter und unterstreichen, wie bewundernswert die Suggestivkraft auch der Bolañoschen Prosa-Gedichte sein kann. Dies auch in der deutschen Übersetzung nachzuspüren, verdankt sich den hervorragenden Übertragungen der Texte durch Heinrich von Berenberg und Christian Hansen. Wünschenswert wäre vielleicht ein ausführliches Nachwort oder ein kleiner Apparat mit Anmerkungen gewesen, die den oft verworrenen dunklen biografischen Hintergrund vieler Bilder hätten ein wenig erhellen können. Doch Roberto Bolaño, der poetisch-prosaische Detektiv, liebte ja das Dunkle, Verborgene, Verworrene und das Versteck des Ich in allen seinen literarischen Zeitformen.
    "Ich träumte, ich sei ein alter, kranker Detektiv und suchte nach längst verschollenen Personen. Manchmal sah ich mich zufällig in einem Spiegel und erkannte Roberto Bolaño."
    Roberto Bolaño: Die romantischen Hunde
    Gedichte. Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg und Christian Hansen. Hanser Verlag, München 2017. 173 Seiten, 20,00 Euro