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Roberto Saviano über Kokain
Auf der weißen Spur

Seit seinem internationalen Bestseller über kriminelle Mafiaclans in Italien - Titel "Gomorrha" - lebt Roberto Saviano im Untergrund. "ZeroZeroZero - Wie Kokain die Welt beherrscht" heißt sein neues Buch. Er zeigt er Kokain als die Droge unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unseres Wirtschaftssystems, unserer Erwartungen - und geht damit oft an die Schmerzgrenze.

Von Kirstin Hausen | 17.02.2014
    Kokain ist überall. In Las Vegas und in Wanne-Eickel. Mailands Modeszene kokst, die Wallstreetbanker koksen, Manager und Konzernchefs, aber auch Supermarktkassiererinnen und Fernfahrer. Die weiße Spur zieht sich durch die Chefetagen und durch die Spinde der Putzkolonnen, die nachts die Büros der Chefs säubern. Kokain ist die Droge unserer Zeit, unserer Gesellschaft, unseres Wirtschaftssystems, unserer Erwartungen. Sie befeuert und entfesselt, macht wacher und leistungsfähiger, immer wacher und immer leistungsfähiger. Bis sie uns zerstört. Und deshalb, so die These von Roberto Saviano- ist unsere Welt, so wie sie heute ist, gar nicht denkbar ohne Kokain.
    "Nach Gomorrha wollte ich nicht mehr über die Macht der organisierten Kriminalität schreiben. Von Themen wie Drogenhandel, Geldwäsche, Erpressung und Mord wollte ich die Finger lassen, aber es gelingt mir nicht. Andererseits habe ich die Hoffnung, einen neuen Weg gefunden zu haben. Dieses Buch ist international und es beschreibt nicht den Drogenhandel an sich. Es nimmt den Drogenhandel zum Anlass, das ganze Drumherum zu beschreiben. Alles, was dranhängt. Kokain, diese schreckliche Ware, hat viele Facetten. Sie verändert unsere Seelen. Und ich hatte den Eindruck, es wird nur sehr oberflächlich über sie berichtet. So als wüssten alle schon Bescheid. Und dieses scheinbare Bescheid wissen ist ein Problem, weil du nicht mehr genau hinschaust, weil du die Mechanismen nicht siehst, und dir diese Droge harmloser vorkommt als sie ist."
    Roberto Saviano taucht tief ein in die Welt des weißen Pulvers, an dem Blut, Tränen und Geld kleben. Viel Geld. Geld, ohne das nach seinen Recherchen die weltweite Finanzkrise noch viel härter zugeschlagen hätte und das durch den legalen Wirtschaftskreislauf fließt, ohne Aufsehen zu erregen. Packend, prägnant beschreibt er den Niedergang der kolumbianischen Drogenkartelle und den Aufstieg der mexikanischen. Die Rolle der im Drogengeschäft etablierten italienischen Mafiabosse und die gierige neue Generation von Drogenbaronen in Südamerika. Er geht an die Schmerzgrenze in seinen Beschreibungen der Grausamkeit, der Gewaltorgien und Foltermethoden – und für sensible Gemüter auch drüber hinaus. Man muss nicht alles lesen, man kann Details überschlagen, um das Buch nicht vor Entsetzen aus der Hand legen zu müssen.
    Es sind einzelne Geschichten, verknüpft und zusammengehalten durch diesen Stoff, den Roberto Saviano minutiös studiert hat. Er hat mit Produzenten und Konsumenten gesprochen. Mit Dealern, Chemikern und Neurologen.
    "Mit Kokain wirst du intensiver leben. Es leistet Präzisionsarbeit, denn es muss sich in jede einzelne Zelle einschleusen, genau da, wo sie sich teilt, am synaptischen Spalt. Das Gefühl des Wohlbefindens wird durch den mikroskopisch kleinen Tropfen einer Substanz ausgelöst, den Neurotransmitter, der in den synaptischen Spalt fällt. Das Leben kommt in Schwung. Wenn ein Glas zu Boden fällt, siehst du es früher als alle anderen. Wenn Dich jemand ruft, drehst du dich um, bevor man deinen Name ganz ausgesprochen hat. Die Angst-Alarm-Reaktionen sind beschleunigt, du reagierst sofort und unvermittelt. Kokain ist der Sprit des Körpers. Doch für dieses potenzierte Leben zahlst du Wucherzinsen. Vielleicht erst später. Aber später zählt nicht. Entscheidend ist nur das Hier und Jetzt."
    Der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano in der Universtät in Rom
    Der italienische Schriftsteller und Journalist Roberto Saviano in der Universtät in Rom (AP)
    Roberto Saviano ist seinem aus "Gomorrha" bekannten Schreibstil treu geblieben. Doku-Fiction in Buchform. Er ist Journalist und ein Meister der Reportage. Die Menge an Fakten, die er zusammengetragen hat, ist beeindruckend. Stück für Stück deckt Saviano auf, wieso die schmutzige Welt der Bosse und Dealer mit uns allen zu tun hat, mit jedem Bausparer und Kontoinhaber.
    "Eine Untersuchung zweier Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bogotà hat ergeben, dass 97,4 Prozent der Einkünfte aus dem Drogenhandel in Kolumbien über verschiedene finanztechnische Operationen US-amerikanischer und europäischer Banken gewaschen werden. Hunderte Milliarden Dollar. Das geschieht über Aktienpakete: Ein verschachteltes System, bei dem das Bargeld in elektronische Wertpapiere umgewandelt und in dieser Form von Land zu Land weitergereicht wird. So wurden die Interbankendarlehen systematisch mit Geldern aus dem Drogenhandel und anderen illegalen Tätigkeiten finanziert. Manche Banken konnten sich nur dank dieser Gelder vor dem Konkurs retten. Ein großer Teil der geschätzten 352 Milliarden Narcodollar wurde ins legale Wirtschaftssystem eingespeist und damit gewaschen."
    Trotz der Zahlenmengen liest sich "Zero, Zero, Zero" flüssig. Saviano findet die richtige Mischung. Zu den Zahlen bringt er die Geschichten, portraitiert er die vielen, verschiedenen Menschen, die sich hinter der Droge Kokain verbergen, mit ihr zu tun haben, von ihr leben und an ihr sterben. Was fehlt sind Quellenangaben. Aus welchen Interviews, Polizeiberichten, Gerichtsakten stammen all diese Geschichten? Haben sie sich genau so zugetragen? Sicher nicht.
    Roberto Saviano hat kein Sachbuch, keine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben, sondern einen Doku-Roman. Und so wie bei Doku-Filmen Szenen nachgespielt und ausgeschmückt werden, so würzt er seine Geschichten mit Details, die er nicht kennen kann. Das mag stellenweise überzogen wirken, tut seiner Glaubwürdigkeit aber keinen Abbruch. Seine Geschichten sind Puzzleteile, die am Ende ein Bild ergeben. Dieses Bild ist brutal, schockierend und wie Roberto Saviano hofft, aufrüttelnd.
    "Ich will mit dem, was ich schreibe, das kriminelle Kapital treffen. Aber die Kriminellen haben keine Angst vor mir, sie haben keine Angst vor dem, was ich sage oder schreibe. Sie haben Angst vor denen, die lesen. Wenn mich Millionen von Menschen lesen würden, wäre das ein harter Schlag für sie."
    Roberto Saviano: "ZeroZeroZero. Wie Kokain die Welt beherrscht"
    Aus dem Italienischen übersetzt von Rita Seuß und Walter Kögler
    Hanser Verlag, 480 Seiten, 24,90 Euro