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Robuste Daten für Europas Politiker

Forschungspolitik. - Politiker, die etwas bewegen wollen, brauchen gute Argumente, um ihre Gegner zu überzeugen. Eine wichtige Rolle kommt deshalb der gemeinsamen Forschungsstelle der EU zu: Ein Konglomerat aus sieben Forschungsinstituten versorgt die Brüsseler Bürokraten mit harten Fakten.

Von Ralf Krauter | 20.02.2007
    Das Joint Research Centre der Europäischen Union in Ispra ist ein abgezäuntes Areal in Sichtweite des Lago Maggiore. 1700 Menschen arbeiten hier. Die Straßen, die das weitläufige Gelände durchziehen, tragen die Namen der EU-Mitgliedsstaaten. Und auch die deutsche Ratspräsidentschaft hat bereits Spuren hinterlassen: Dank einer bedruckten Verhüllung mutierte die mehrspurige Einfahrt am Jahresanfang zum Brandenburger Tor, den nachfolgenden Kreisverkehr ziert ein meterhohes Bierglas aus Plastik. Der Franzose Michel Gérardin hat derzeit zwar keinen Deutschen im Team. Dafür sei sonst so ziemlich alles vertreten. Michel Gérardin ist der Chef von ELSA, einem europaweit einmaligen Prüfstand, um die Erdbebensicherheit von Gebäuden zu testen. Die Versuchshalle ist so groß wie ein Flugzeughangar.

    Mit gelbem Baustellenhelm nähern wir uns einer riesigen blauen Betonwand in der Mitte. 16 Meter hoch und vier Meter dick ist die Mauer. Die Experten benutzen sie als Widerlager, um in Originalgröße nachgebaute Teile von Gebäuden, Brücken und Tragwerken durchzurütteln. Momentan untersuchen sie den Rohbau eines spanischen Fertighausherstellers, bei dem Fiberglas-Elemente eine tragende Rolle übernehmen. Zwei mächtige Hydraulikzylinder verbinden das dreistöckige Rohbau-Gerüst mit der blauen Wand:

    "Mit den Hydraulikmotoren üben wir kontrollierte Kräfte auf die Struktur aus – und zwar so, dass wir jene Lasten simulieren, die bei einem realen Erdbeben auftreten."

    Das Ziel der Arbeiten: Europaweit harmonisierte Standards für Gebäude in seismisch aktiven Regionen, um die Zahl der Erdbebenopfer zu verringern. Eine ähnlich Weg weisende Aufgabe hat das Labor für Kraftfahrzeug-Emissionen. Auf seinen PKW-Prüfständen leisten die Wissenschaftler wichtige Vorarbeiten für EU-weite Abgasnormen. Es ist nicht zuletzt dieser mehr oder minder direkte Einfluss auf die Direktiven aus Brüssel, den der Deutsche Alois Krasenbrink an seinem Job schätzt.

    "Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass wir dadurch, dass wir bestimmte Prüfungen hier durchführen können, dass wir hier Tests durchführen können, die über das, was der Gesetzgeber verlangt, hinausgehen, haben wir doch schon eine Expertise hier im Emissionsbereich akkumuliert, die es uns ermöglicht auch – nennen wir’s ruhig beim Namen – gewisse Statements der Industrie in Frage zu stellen. Also es ist nicht mehr so einfach, der Kommission was zu erzählen."

    Dass die Fachleute am Lago Maggiore eng mit ihren Kollegen auf nationaler Ebene zusammen arbeiten, betonen sie gerne. Schließlich soll die gemeinsame Forschungsstelle den Referenzlabors der EU-Mitgliedsstaaten – in Deutschland also etwa dem TÜV oder dem Bundesinstitut für Risikobewertung - keine Konkurrenz machen, sondern sie vielmehr durch europaweite Vernetzung unterstützen. Bei der Kontrolle von Lebensmittelimporten an den EU-Außengrenzen bedeutet das vor allem auch: Die Experten vor Ort durch Schulungen auf den neuesten Stand der Analysetechnik zu bringen, erklärt Elke Anklam, Direktorin des Instituts für Verbraucherschutz und Gesundheit.

    "Wir sollten vermeiden, dass, wenn die griechischen Kollegen eine Schiffsladung mit Erdnüssen bekommen und da nach irgendwelchen Schimmelpilzgiften suchen und da einen gewissen Gehalt feststellen, wo sie sagen: Gut, die sind in Ordnung, weil die noch unter dem Grenzwert liegen, den wir festgelegt haben – dass dann vielleicht in irgendeinem Kontrolllabor in Holland oder in Deutschland gesagt wird: Ja, aber aus unserer Sicht wäre das gar nicht zulässig gewesen. Und genau darum, damit wir nicht alle unterschiedliche Ergebnisse haben, brauchen wir diese Koordinierungsstellen wie die europäischen Referenzlaboratorien."

    Egal ob es um Feinstaub-Grenzwerte, den Gewässerschutz oder Lebensmittel mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen geht – die wissenschaftlichen Argumentationshilfen aus Ispra orientieren sich weder an rein nationalen Interessen noch an den einseitigen Bedürfnissen der Industrie. Gerade deshalb sind sie in Brüssel gefragt.

    Mehr über Europas Forschung finden Sie in der Werkstatt Europa.