Donnerstag, 18. April 2024

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Rochade bei der SPD
"Das Personal erinnert sehr an die Agenda 2010"

Nach den personellen Wechseln in der SPD-Führung wird es nach Ansicht des Politologen Gero Neugebauer noch schwerer, das angeschlagene Image nach der Agenda 2010 loszuwerden. Bisher fehle eine Erzählung, wie die Sozialdemokratie eine Politik anbieten kann, die den Menschen Angst um ihre Zukunft nimmt, sagte Neugebauer im Deutschlandfunk.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.05.2017
    Politologe Gero Neugebauer
    Politologe Gero Neugebauer (picture alliance / dpa / Freie Universität Berlin)
    Dirk-Oliver Heckmann: Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt der Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Schönen guten Abend!
    Gero Neugebauer: Guten Abend, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Neugebauer, Heil ist ja immerhin mitverantwortlich für die größte Niederlage der SPD. Nach vier Jahren Großer Koalition verlor die SPD elf Prozentpunkte und erlebte 2009 mit 23 Prozent ein historisches Debakel. Martin Schulz hat heute gesagt, Heil sei ein erfahrener Wahlkämpfer, der unmittelbar handeln könne. Muss es vor diesem Hintergrund der SPD dann nicht ganz anders werden?
    Neugebauer: Na ja, Heil ist damals auch im November 2005 nur mit 61 Prozent zum Generalsekretär gewählt worden. Aber man muss ihm zugutehalten, dass er als jemand galt, der – na ja – Verlegenheitskandidat war. Andrea Nahles wollte damals nicht und Heil hat auch Pech gehabt, denn in dieser ersten Großen Koalition ist die SPD eigentlich von Müntefering und Steinmeier demontiert worden. Platzeck trat nach einem halben Jahr zurück, weil er die Nase voll hatte. Er wurde krank, er hatte die Nase voll von den ganzen Streitereien. Dann wurde Kurt Beck Vorsitzender und den haben dann Müntefering und Steinmeier demontiert. Damit war die SPD beim Wähler unten durch, die außerdem in der damaligen GroKo mit der Rentenreform und der Zustimmung zur Mehrwertsteuererhöhung auf 18 Prozent sowieso ganz schlechte Karten hatte. Da würde ich ihm nicht so viel anhängen.
    "Schulz hat die Gelegenheit jetzt genutzt"
    Heckmann: Martin Schulz hatte ja eine Umbildung seines Wahlkampfteams bisher abgelehnt, trotz der drei Wahlniederlagen der vergangenen Monate in den Ländern. Zuletzt rutschte die SPD auch bundesweit wieder auf 25 Prozent in den Umfragen. Kann es sein, Herr Neugebauer, dass Schulz die Gelegenheit genutzt hat, jetzt doch noch umzusteuern, weil Katarina Barley ja doch nicht als die glücklichste Lösung galt?
    Neugebauer: Ja, das halte ich durchaus für angebracht diese Argumentation, denn eigentlich ist es so, dass die Vorsitzenden immer versuchen, ja nicht nur ihren Referenten mitzubringen, sondern auch einen neuen Generalsekretär. Das haben eigentlich alle versucht und ich vermute, dass Martin Schulz das erst einmal nicht machen wollte, weil unter anderem auch die Frau Barley war ja nun gerade die Erbschaft von Gabriel gewesen, der mit der Frau Fahimi nicht zufrieden war – übrigens auffällig, dass die Frauen, wenn sie Generalsekretärinnen waren, immer in der Regierung verschwinden, Frau Fahimi als Staatssekretärin, Frau Barley als Ministerin, Frau Nahles damals auch. Und er hat die Gelegenheit jetzt genutzt und gesagt, okay, nun stelle ich das Team um. Aber ehe er eine lange Suche gemacht hat, hat er dann möglicherweise sich auf einen Tipp von Sigmar Gabriel verlassen und sich auch an Heil erinnert, denn er kennt ihn ja, denn Schulz war ja auch seit 99 im Präsidium der SPD und von daher ist er auch mit Heil gut vertraut gewesen.
    "Was ist denn wirklich soziale Gerechtigkeit?"
    Heckmann: Martin Schulz war seit 99 im Präsidium, Sie sagen es. Dennoch versucht er ja, sich von der Agenda 2010 abzusetzen, und rückt die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Hubertus Heil steht allerdings auch nicht zuletzt für diese Agenda, diese Agenda-Politik. Kann Schulz denn seine Botschaft mit Heil glaubwürdig unter die Leute bringen?
    Neugebauer: Das ist eine gute Frage, weil in der Tat das Personal sehr erinnert an die Agenda 2010, und auch der Begriff soziale Gerechtigkeit, wie die SPD ihn verwendet, ja auch immer gebracht wird in Zusammenhang mit der Agenda 2010. Aber der Aspekt, der damals eine wichtige Rolle spielte, nämlich der Vorwurf, mit diesen Reformen hat die SPD ihre alten Werte verraten, ist ja zum Teil konterkariert worden auch durch Reformen. Aber zum Teil steht es eben noch und insofern muss eigentlich jetzt deutlich werden, was ist denn wirklich soziale Gerechtigkeit, welche Relevanz hat dieser Begriff für die Lösung der Probleme, die die Menschen gerade haben, die sie haben in Hinsicht auf ihre Zukunft, auf die Angst um Jobs, sozialen Status und Ähnliches mehr.
    "Es muss eine größere Erzählung sein"
    Heckmann: Und reicht es als Thema auch!?
    Neugebauer: Und das reicht auch dann nicht als Thema, wenn es nur sozusagen auf diese Ebene beschränkt wird. Es muss eingefügt werden in eine Erzählung der Sozialdemokratie über die Zukunft. Ein Angebot an Politik muss gemacht werden. Das muss ein Angebot sein, dass die Menschen wissen, in der Zukunft können sie sich auf eine Politik stützen, die sie in die Lage versetzt, ihre Angst zu verlieren, Angst zu haben um ihre Zukunft, um ihren Lebensstandard, um ihren Lebensstil, um ihren Arbeitsplatz, um die Zukunft ihrer Kinder, um ihr Einkommen, also eine ganze Menge, und das fehlt bisher. Diese Konzentration auf den Begriff soziale Gerechtigkeit allein, da kann man dann Steinbrück an dem Punkt vielleicht doch etwas Recht geben und sagen, das reicht nicht aus. Es muss eine größere Erzählung sein. Sonst wird die Partei nicht die nötige Zuversicht haben, in diesen Wahlkampf so reinzugehen, dass sie mit einem besseren Ergebnis rauskommt, als die Umfragen gegenwärtig zeigen.
    "Parteiensystem verlagert sich mehr und mehr nach rechts"
    Heckmann: Das andere große Problem ist die Frage Rot-Rot-Grün, möglicherweise Kassengift auch bundesweit bei den Wahlen, bei den Umfragen dann auch. Hubertus Heil, der hat sich heute im ZDF zur Frage Rot-Rot-Grün geäußert. Wir hören kurz rein:
    O-Ton Hubertus Heil: "Wer mit uns dann koalieren will, weil es wird keine absolute Mehrheit geben nach Lage der Dinge, der muss sich programmatisch auf uns zubewegen. Wir kämpfen nicht für Koalitionen, sondern dafür, dass Martin Schulz die Regierung anführen kann. Dafür braucht es eine starke Sozialdemokratie und darauf konzentriere ich mich, nicht auf irgendwelche Koalitionsoptionen."
    Heckmann: Ist das eine gute Strategie?
    Neugebauer: Es ist die einzig mögliche, angesichts der gesellschaftlichen Stimmung, die nicht so sehr für Rot-Rot-Grün ist. Angesichts der Tatsache, dass das Parteiensystem in der Bundesrepublik seit Jahren mehr und mehr sich nach rechts verlagert, kann eigentlich Martin Schulz und kann die SPD nichts anderes als versuchen, möglichst stark zu werden und dann zu sagen, wer an die Regierung will, wer endlich was realisieren will, der soll uns folgen. Aber umgekehrt, sich in den Zwang einer Koalitionsdiskussion zu begeben, das halte ich wirklich für ausgeschlossen.
    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer. Schönen Dank für das Gespräch am späten Abend und schöne Grüße.
    Neugebauer: Bitte schön, Herr Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.