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Rocko Schamoni
Musikprojekt "Die Vergessenen"

"Die Vergessenen" heißt das Projekt von Rocko Schamoni. Dafür hat Schamoni mit einem Orchester deutsche Hits neu eingespielt. Zunächst wird das auf der Theaterbühne zu erleben sein, nächstes Jahr gibt es die Neuinterpretationen dann auch auf Platte.

Von Dirk Schneider | 26.08.2014
    Rocko Schamoni probt in einem Studio in Hamburg-Wilhelmsburg mit einem 15-köpfigen Orchester, das sich Mirage nennt. Ganz vorne steht ein seltsames Instrument, das nur Schamoni selbst spielen darf:
    "Das Gerät heißt Letemin. Davon gibt es nur eines auf der Welt. Ein mit mir befreundeter Instrumentenbauer namens Nick Baginski, der hat einfach zwölf Türglocken genommen und die so lange besägt und gefeilt, bis die genau auf einer Oktave gestimmt waren. Und jetzt kann ich die Türglocken spielen. Das Schöne ist aber, dass ich sie auch multitemporal einsetzen kann Letemin heißt es deshalb, es gibt einen berühmten Song von The Wings, der heißt "Let 'em In", der fängt mit einer Türglocke an. Und das auf Deutsch ist Letemin, das klingt so ähnlich wie Theremin."
    Dass bei dem Hamburger Musiker, Schriftsteller und Komiker Rocko Schamoni Wahnsinn und Wirklichkeit nahe beieinander liegen, ist nichts Neues. Doch den Künstler und Instrumentenbauer Nick Baginsky gibt es wirklich. Und es ist die Kunst Rocko Schamonis, dass man nie recht weiß, was nun ernst und was ersponnen ist.
    Von dieser Spannung lebt auch sein neues Projekt "Die Vergessenen": In klassischer Bandbesetzung, plus Streicher, Blechbläser und Percussions, spielt Schamoni seine persönliche Lieblingshits noch einmal neu ein:
    "Ich finde, das, was man landläufig als Hit bezeichnet, in diesem Land für mich persönlich dann eher unhitig. Oder anstrengend, nervig, überflüssig. Und die Musik, die ich schätze, wird meistenfalls, jedenfalls im Norden, gar nicht im Radio gespielt und hat dementsprechend eine eher geringe Verbreitung. Und deswegen graben wir die jetzt aus."
    Stücke von deutschen Bands wie Die Regierung, Jeans Team, Freiwillige Selbstkontrolle, aber auch Klassiker wie Hildegard Knef oder Manfred Krug – wobei Schamoni dann am besten ist, wenn er eher spröde Originale wie etwa von den Lassie Singers mit einem Schuss Glamour und einer Prise Größenwahn anreichert.
    Dennoch ist es nicht sonderlich originell, alte Popsongs in ein neues musikalisches Gewand zu stecken – das gibt auch Schamoni zu:
    "Ehrlich gesagt finde ich die Idee, Lieblingstracks oder Lieblings-verschollene-Tracks zu covern, nicht den spannendsten Ansatz der Welt."
    Hintergrund des Projekts war eine Einladung zu den Ruhrfestspielen. Er sollte einen musikalischen Abend gestalten. Schamoni wollte daraus gleich noch eine Platte machen und hat dafür eine Crowdfunding-Aktion gestartet. Über 40.000 Euro kamen zusammen – für heutige Zeiten ein dickes Budget für eine solche Produktion. Und dann haben die Ruhrfestspiele wieder abgesagt:
    "Und auf einmal hatte ich das Gefühl, jetzt hat man so einen Erklärungsnotstand dafür, warum man seine Lieblingslieder noch einmal neu aufnimmt und muss dem jetzt einen ganz wichtigen Untertitel geben. Das ist aber überhaupt nicht so. In Wahrheit sind es einfach unsere liebsten verschollenen Lieder, die für ein paar Abende bei den Ruhrfestspielen und für eine Platte gereicht hätten. Aber es gibt keine größere, tiefere Bedeutung dahinter."
    Eine tiefere Bedeutung gibt es natürlich trotzdem: Es geht hier schließlich nicht um Musik von Helene Fischer, sondern um schräges Zeug, das für einen Außenseiter wie Schamoni durchaus lebensrettendes Potenzial hat.
    "Leben gerettet haben solche Songs natürlich alle einem."
    Und lebensrettend kann hier auch noch etwas anderes bedeuten: 2007 hat Rocko Schamoni sein letztes Album herausgegeben, ein düsteres Werk, das über weite Strecken von seinen Depressionen handelte. Und auch wenn "Die Vergessenen" leicht und heiter klingen, Depressionen sind immer noch ein Thema für Schamoni. Aber:
    "Ohne die Musik wäre es schlechter. Noch schlechter. Weil Musik ist sozialer Austausch. Man teilt sich in diesem Fall mit 16 anderen Menschen aus, wie eine Art, sagen wir mal, undreckiger Gruppensex. Das ist enorm viel, was man sich da gegenseitig gibt, was so durch den Raum geht. Und die Blicke und der Gleichklang und das Nicken und das Verstehen und die Freude darüber, dass der die Idee aufnimmt und dass er die Idee anders widerspiegelt. Was für mich persönlich, und ich glaube, auch für die anderen, enorm beglückend ist."