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"Rösler war die treibende Kraft"

Laut Everhard Holtmann konnte es sich der designierte Parteichef Philipp Rösler nicht leisten, das gesamte Führungspersonal auszutauschen. Angesichts der dünnen Personaldecke der Partei, müsse Rösler die innerparteilichen Konflikte auch mithilfe erfahrener Kräfte wie Rainer Brüderle lösen.

Everhard Holtmann im Gespräch mit !Christian Bremkamp | 11.05.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Es war ein hartes Stück Arbeit für Gesundheitsminister Philipp Rösler, der sich am Wochenende in Rostock zum Nachfolger von FDP-Chef Guido Westerwelle wählen lassen will. Nach den verheerenden Niederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hatte er einen Neuanfang der Liberalen angekündigt, und der sollte sich auch in Personen widerspiegeln, doch kaum einer wollte gehen. Nach tagelangen heftigen Verhandlungsrunden hat man sich gestern auf ein neues Personaltableau geeinigt; demnach bleiben die alten Personen, sie wechseln bloß ihre Positionen. Mein Kollege Christian Bremkamp hat gestern über die Personalrochade bei der FDP gesprochen, und zwar mit dem Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg. Er hat ihn zunächst gefragt, ob der Neustart also ein Neustart mit Altlasten ist?

    Everhard Holtmann: Ich denke, dass man mit dem Begriff Altlasten nur behutsam umgehen sollte, denn eine Partei, die in einer so schwierigen kritischen, existenziell kritischen Situation wie die FDP ist, die kann es sich selbst dann, wenn der neue personelle Aufbruch erstens nicht mit einem sachlich nachweisbaren Aufbruch verbunden ist und auf der anderen Seite die eigene Personalreserve dünn ist und schließlich auch die demoskopischen Werte alarmierend tief im Keller sind, die kann es sich unter solchen Bedingungen gar nicht leisten, das gesamte, vormals in den Vordergrund gestellte Personal dann auf einmal und vollständig abzulösen.

    Christian Bremkamp: Wer hat denn da zuletzt was und wen bestimmt, Philipp Rösler oder Rainer Brüderle?

    Holtmann: Nun, ich denke, dass Rainer Brüderle ja seit einiger Zeit schon, spätestens seit der verlorenen Wahl in seinem Stammland Rheinland-Pfalz, politisch in die Defensive gedrückt worden ist. Er hat ja längere Zeit auch um den Verbleib im stellvertretenden Parteivorsitz gekämpft. Also ich denke, Rösler war die treibende Kraft und musste und muss es nach Lage der Dinge auch sein, denn es muss ihm daran gelegen sein, vor seiner mutmaßlichen Wahl auf dem nächsten Bundesparteitag der FDP in diesen schwierigen innerparteilichen Konflikten und Spannungslagen das notwendige Maß an Führungsautorität nachzuweisen, was ihm dann auch nicht nur ein überzeugendes Votum der Bundesdelegierten beschert, sondern ihn auch in die Lage versetzt, die Partei in diesen schwierigen Gewässern zu manövrieren.

    Bremkamp: Aber hat sich Philipp Rösler damit einen Gefallen getan? Als Fraktionschef wird Rainer Brüderle ja nicht gerade an Einfluss verlieren.

    Holtmann: Er ist sicherlich in einer nach wie vor einflussreichen Position, das dürfte ihm auch den Wechsel in diese Position versüßt haben, und ich denke, man muss es rational betrachten, und auch das wird Philipp Rösler bedacht haben. Rösler wird Brüderle gar nicht einmal so sehr als einen potenziellen Konkurrenten sehen, sondern als denjenigen, der mit seiner gesamten Erfahrung nicht nur das Kraftzentrum der Fraktion stabilisiert und dann ja auch zu entsprechender Loyalität gegenüber Parteiführung und Kabinettsmitgliedern aufgerufen ist, sondern Brüderle verkörperte ja auch und verkörpert nach wie vor jene Strömung, jenen Flügel der Wirtschaftsliberalen mit einem entsprechenden Ansehen in der Wirtschaft nicht zuletzt bei Mittelständlern, und diese Strömung braucht die FDP ja weiterhin ganz dringend, selbst wenn sie sich bemüht, auch den anderen Flügel, der zurzeit etwas verkümmert gewesen ist, in Richtung der Bürgerrechtspartei wieder zu stärken.

    Bremkamp: Birgit Homburger hat ihr Einverständnis damit begründet, ihr Verzicht solle dazu beitragen, die Personaldebatten zu beenden. Wird der FDP das jetzt gelingen?

    Holtmann: Es hängt viel davon ab, wie sich die neue Führung untereinander findet, inwieweit es gelingt, den Kabinettsflügel der FDP und auch die Fraktion der FDP zu einem geschlossenen Handeln zu bringen. Das ist ja auch daran ablesbar, dass Philipp Rösler dann in Zukunft auch in den Koalitionsausschuss einrücken wird, also jenes Gremium, in dem zwar nicht formelle Entscheidungen fallen, aber wo doch die informellen Weichen gestellt werden innerhalb des engeren Führungszirkels der Koalition. Und Bahr hat sicherlich das zweitschwierigste Amt übernommen, das Gesundheitsministerium, was ja seit Langem als eine Art politischer Schlangengrube aufgrund der dort zu bändigenden, hoch organisierten partikularen Interessen gilt, und man wird gespannt sein, wie ein Politiker, der ja im Grunde genommen erst am Anfang seiner Karriere steht und es noch nicht bisher konnte, auch ein bestimmtes Ausmaß an Professionalität in solchen Ämtern zu gewinnen, wie der mit der Leitung eines der kompliziertesten Ressorts in der Bundesrepublik umgehen wird.

    Bremkamp: Als Bürger hofft man ja, dass nach Möglichkeit die fähigsten Köpfe Minister werden. Sie haben gerade Herrn Bahr angeführt. Was spricht denn eigentlich dafür, dass der jetzige Gesundheitsminister, Philipp Rösler, plötzlich Wirtschaftsminister wird?

    Holtmann: Auf der einen Seite ist er Teil der von ihm selbst ja in Gang gesetzten Personalrochade. Das Wirtschaftsministerium ist frei geworden durch das Einrücken von Brüderle auf den Sitz des Fraktionsvorsitzenden. Das ist einer der Gründe. Und die FDP tut sich sicherlich auch etwas schwer, so aus dem Stand eine andere personelle Alternative von derselben Statur und auch von derselben öffentlichen Bekanntheit in dieses Amt zu rücken. Das ist das eine und zum anderen: Das Wirtschaftsministerium ist, wenn man so eine Art Ranking der Wichtigkeit der Bundesministerien aufstellen würde, sicherlich nicht zu den allerwichtigsten zu nennen aufgrund der Kompetenzen, die zum Teil ja auch beispielsweise nach Europa abgewandert sind. Aber gerade das ist ja möglicherweise auch eine gute Ausgangsposition für Rösler, der ja auf der anderen Seite auch die Doppelrolle als Parteivorsitzender dann künftig wird mit ausfüllen müssen, das heißt ein Ressort, was ihm auf der einen Seite nicht 150 Prozent seiner Arbeitskraft und Leistungskraft abverlangt. Das kann man dann möglicherweise auch besser angemessen mit der führenden Rolle des Parteivorsitzenden verbinden.

    Bremkamp: Inwieweit wird das Ganze eigentlich Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in der schwarz-gelben Regierungskoalition haben, wenn überhaupt?

    Holtmann: Ich denke, es ist das gemeinsame Ziel der beiden Partner dieser Regierung, die zum Teil ja, zum Gutteil, durch die FDP herbeigeführte Rüttelstrecke der Koalition schnellstmöglich zu überwinden, und es ist nichts darüber bekannt geworden, dass es beispielsweise ein gestörtes persönliches Verhältnis zwischen der Kanzlerin auf der einen Seite, Rösler und Bahr auf der anderen Seite gäbe. Also ich denke, aus der Logik der Machterhaltung heraus wird sich die Kanzlerin sicherlich auch bemühen, so eine Art offenen Anfang, den die FDP ja eingeläutet hat, mitzugehen. Sie wird auf der anderen Seite keineswegs die Minister aus der Pflicht entlassen, nicht nur ihr Ressort verantwortlich und anständig zu führen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, dass die eigene Partei, in dem Fall die FDP, ihren Schlingerkurs möglichst rasch hinter sich bringt, denn nach der demoskopischen Lage ist eines klar: für Schwarz-Gelb reicht es derzeit klar nicht.

    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann von der Universität Halle-Wittenberg zu der Personalrochade bei der FDP. Die Fragen stellte mein Kollege Christian Bremkamp.