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Röttgen: Fall Zumwinkel ist kein "Beleg für Staatsversagen"

Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, hat zurückhaltend auf SPD-Überlegungen zu Gesetzesverschärfungen für Fälle von Steuerhinterziehungen reagiert. Schnellen parteipolitischen Reaktionen angesichts aktueller Vorkommnisse stehe er generell skeptisch gegenüber, sagte der CDU-Politiker. Zugleich warnte er angesichts der Ermittlungen gegen Postchef Klaus Zumwinkel vor einer Kollektiverurteilung deutscher Manager.

Moderation: Bettina Klein | 18.02.2008
    Bettina Klein: Guten Morgen, Herr Röttgen!

    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Wenn man die Schlagzeilen der vergangenen Tage verfolgt und gelesen hat, kann man feststellen, selten war sich die Republik so einig wie im Fall Zumwinkel und jenen Fällen, die vermutlich noch ausstehen. Das gesamte politische Spektrum, Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen, machen ihrer Empörung Luft über die mangelnde Moral der Manager, das Versagen der Elite in ihrer Vorbildfunktion. Ist dieses einhellige Verurteilen in diesem Ausmaß, dieses Schimpfen auf die da oben, wohlmöglich selbst dazu geeignet, Stimmung gegen das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu schüren, oder ist diese große Empörung notwendig?

    Röttgen: Ja, darum meine ich aber auch, dass man eine Differenzierung machen muss. Ich meine, sie aber auch, jedenfalls dann zum Teil in der Bewertung festgestellt zu haben. Ich finde auf den Fall bezogen, kann man diese Enttäuschung, auch Entrüstung, nicht verbergen. Es gibt auch keinen Grund dazu. Sie soll auch ausgesprochen werden. Aber dass man von dem einen Fall eine Kollektiverurteilung ableitet oder auch gar einen Generalverdacht, das, glaube ich, wäre unbegründet und auch keine angemessene Reaktion. Denn es gibt ja keinen Beleg für Staatsversagen an dieser Stelle, keinen Beleg für marktwirtschaftliches Versagen, sondern ein sehr, sehr enttäuschendes, empörendes, individuelles, strafrechtliches Fehlverhalten. Ich finde, man muss, wenn man die Konsequenzen und die Bewertung zutreffend vornehmen will, dann auch den Fall richtig darstellen.

    Klein: Auch eine fast hasserfüllte Rhetorik gegen die gierigen Kapitalisten hat in Deutschland Tradition. Haben wir Grund, da etwas aufzupassen?

    Röttgen: Ja, aufpassen muss man natürlich, weil ja Verständnislosigkeit eigentlich nur herrschen kann über den Fall, soweit wir ihn jetzt sehen. Ich meine, wir alle haben ja noch nicht eine Beweisführung oder ein Urteil gehört, aber jedenfalls einen Verdacht. Und darum ist das ein Teil Lebenserfahrung, dass es so etwas gibt. Aber es ist jetzt keine Systembetroffenheit dort. Die sehe ich jedenfalls nicht, sondern es geht um individuelles Verhalten. Dafür haben wir Strafrecht, dafür haben wir Sanktionen und Instrumente in unserem Land, und die kommen nun auch in voller Schärfe zur Anwendung.

    Klein: Haben sich die Medien etwas vorzuwerfen? Grenzt das, was wir erlebt haben, wie das gestern auch zur Sprache kam, an eine mediale Hinrichtung?

    Röttgen: Es gibt schon natürlich Besonderheiten, die hier zu beobachten sind, ein Fall, wenn ich eben gesagt habe, der Staat funktioniert. Es ist natürlich nicht ein ordentliches Funktionieren und beanstandungsloses Funktionieren des Staates, wenn in solchen Fällen, wo immerhin am Ende dann auch ein Bürger in seinen normalen Rechten betroffen ist, neben der Staatsanwaltschaft und Polizei auch die Fernsehanstalt am Ort des Geschehens ist. Das war also nicht in Ordnung, ist zu beanstanden. Aber das so etwas eine Enttäuschung auslöst, Empörung, das, glaube ich, muss man verstehen. Da muss ich auch gar kein Verständnis sozusagen aufbringen, sondern ich teile ja diese Enttäuschung, auch Empörung. Aber man muss dann auch gucken, dass man jetzt nicht in Rituale von Empörung und Entrüstung kommt, die letztlich dann auch wieder eine solche Bewertung entwerten.

    Klein: Haben Sie eine Vorstellung davon, wer von den jüngsten Vorfällen politisch profitiert?

    Röttgen: Ich glaube, dass die Bürger, da schwingt Einschätzung und Hoffnung natürlich mit, aber ist am meisten eine Einschätzung, dass die Bürger sagen und wissen, dass in jeder Berufsgruppe, auch der der Manager, der Politiker, aber auch der Anwälte, der Journalisten und andere, wahrscheinlich die Charaktermischung ungefähr gleich ist. Die Annahme, dass es unter bestimmten Berufsgruppen nur edle Menschen gibt, entspricht, glaube ich, nicht der normalen Lebenserfahrung. Das wissen die Leute auch. Es ist nur wichtig, dass auch solche Berufsgruppen, wo viel Geld und viel Macht versammelt ist, der Staat in gleicher Weise funktioniert, wo das nicht der Fall ist. Darum glaube ich, hat es keine politischen, ich will sagen, auch parteipolitischen Konsequenzen.

    Klein: Herr Röttgen, wenn davon die Rede ist, wir brauchen ein anderes Bewusstsein gerade in den Führungsetagen der Wirtschaft, mir ist noch nicht ganz klar, wodurch dieses Bewusstsein erneuert oder wiederhergestellt werden kann im größeren Maßstab.

    Röttgen: Ja, das ist natürlich jetzt die Frage der Prämisse. Kann man von dem Fehlverhalten des einen auf ein mangelndes Unrechtsbewusstsein der Berufsgruppe schließen? Das, finde ich, muss man zurückweisen, weil es dafür keinen Anhaltspunkt gibt. Das ist auch nicht in Ordnung, ist auch nicht fair. Und man muss aufpassen, dass man nicht so redet, dass man den Schaden, auch den Vertrauensschaden, der angerichtet worden ist, nicht durch das Reden auch noch vergrößert.

    Klein: Die Frage war, wie kann ein Bewusstsein, das sich ja alle wünschen, das stärker ausgeprägt ist, das stärker auch durch Verantwortung gekennzeichnet ist, wie kann das herstellt werden? Die SPD etwa will heute sich einsetzen für eine Verschärfung des Steuerstrafrechts. Einen Punkt darf ich mal herausgreifen. Diese Verfahren sollten nicht mehr gegen Geldbußen eingestellt werden, sondern der jeweilige Delinquent muss zur Verantwortung gezogen werden. Sind solche Maßnahmen dazu geeignet, etwas zu verändern?

    Röttgen: Frau Klein, ich hatte Ihre Frage verstanden, aber ich fand das Wesentliche an der Frage die Prämisse. Die Prämisse ist, dass jetzt manche sagen, die haben insgesamt kein ausreichendes Bewusstsein. Ich finde, dass es für eine solche Feststellung keine Grundlage gibt. Denn wir werden, auch wenn wir sozusagen nur Freiheitsstrafen ab fünf Jahren einführen und andere Dinge tun, auch in Zukunft wieder Gesetzesübertretungen haben. Wir haben ja auch Gesetze, auf die steht zwingend lebenslängliche Freiheitsstrafe, und trotzdem werden sie übertreten. Ich glaube, die öffentliche Diskussion ist schon wichtig. Die ist auch wahrscheinlich der wesentliche Teil von Bewusstseinsbildung und auch von Kollektiverantwortung. Ich glaube nicht, dass es einen Generalverdacht gibt, aber es gibt eine kollektive, generelle Verantwortung der Wirtschaft, der Manager, die die Führung, Führungsverantwortung ausüben in unserem Land, auch die Binnenkontrollen zu verbessern, auch ihr Bewusstsein zu schärfen im Wissen darum, welchen Schaden sie anrichten.

    Klein: Noch mal abschließend gefragt, das SPD-Papier, das heute verabschiedet werden soll, sind das Maßnahmen, über die Sie sich mit dem Koalitionspartner verständigen können?

    Röttgen: Ja, ich kenne es nicht, und ich hoffe, dass in dem Papier nachvollziehbare Ansatzpunkte stehen, in denen Lücken im staatlichen System aufgezeigt werden. Ich bin generell immer sehr skeptisch, dass, wenn etwas passiert, bis zu dem Zeitpunkt hatte die Politik keine Vorstellung davon, dass sich was ändern muss. Dann passiert etwas, dann gibt es eine mediale Nachfrage, und dann muss man liefern, und auf einmal sind dann die Papiere mit den guten Ideen da. Das ist meine generelle Skepsis gegenüber diesen schnellen parteipolitischen Reaktionen, die ja auch in ihrer Nachhaltigkeit sehr überschaubar sind. Aber ich würde mich freuen, wenn Punkte entdeckt sind, werden wir konstruktiv auf die eingehen.

    Klein: Norbert Röttgen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Röttgen.

    Röttgen: Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Klein.