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Rom - Kriminalitätsbekämpfung
"Radio Impegno" ruft die Polizei

Als Wohnparadies geplant, ist der römische "Corviale"- Europas größtes Wohngebäude - inzwischen zum sozialen Brennpunkt geworden. Konflikte eskalieren regelmäßig, die Politik tut wenig gegen die Kriminalität vor Ort. Hier schaltet sich erfolgreich ein nächtliches Radioprogramm ein.

Von Thomas Migge | 18.05.2017
    Screenshot der Internetseite von Radio Impegno
    Screenshot der Internetseite von Radio Impegno (www.radioimpegno.it)
    Mitternacht. Null Uhr. "Radio Impegno", zu Deutsch in etwa: das verantwortliche Radio, beginnt mit seiner Ausstrahlung. Bis sieben Uhr morgens. Jede Nacht. Sieben Nächte die Woche. Die Journalistin Elvira Zaccari ist seit Ende 2015 bei "Radio Impegno" mit dabei:
    "Dieser Sender entstand als Reaktion auf ein Attentat. Am 13. November 2015, am Tag des Attentates in Paris, kam es auch hier bei uns zu einem Anschlag - auf einem Fußballplatz beim Corviale. Der Fußballplatz wird von einer interreligiösen Organisation geführt, der es darum geht, junge Leute aus verschiedenen Religionen zusammen zu bringen."
    Während der Live-Schaltung wird die Polizei benachrichtigt
    Corviale, im römischen Volksmund "Die Riesenschlange" genannt, ist Europas größtes Wohngebäude. In dem zwischen 1975 und 1984 errichteten und über einen Kilometer langen Mehrfamilienhaus im Südwesten der italienischen Hauptstadt leben rund 1200 Familien, zirka 10.000 Menschen. Der als Vorbild für sozialen Wohnungsbau geplante Corviale verkam schnell zu einem Ort sozialer Konflikte. Diese Konflikte eskalierten in den vergangenen Jahren - seit Roms Bürgermeister immer weniger Interesse an einer effektiven Bekämpfung der Kriminalität beim und im Corviale zeigen, erklärt Journalist Matteo Luppini:
    "Wir wollen ganz konkret, dass sich hier was ändert. Dieses Mega-Bauwerk und seine Bewohner werden von den politisch Verantwortlichen ignoriert. Die Folge: Kriminelle haben freie Hand. Wer sich gegen die Kriminalität auflehnt, hat es hier schwer. Dabei lehnt die Mehrheit der Bewohner Gewalt ab. Diesen Menschen geben wir eine Stimme."
    Der von verschiedenen Bürgerinitiativen und Anti-Mafia-Organisationen finanzierte Sender spricht heiße Themen an, nimmt kein Blatt vor den Mund. Dafür stellt das linke Bürgerradio "Città Futura" von Null bis sieben Uhr seine Frequenzen gratis zur Verfügung. Nächtliche Zuhörer werden auch aufgefordert in der Redaktion anzurufen, wenn sie beim Nachhause Kommen oder von den Fenstern ihrer Wohnung im Corviale aus Verdächtiges beobachten. Während der Live-Schaltungen wird die Polizei benachrichtigt - so soll garantiert werden, dass die sich auch tatsächlich um die Kriminalität im und beim Corviale kümmert.
    Im Rathaus stoßen die Nachtredakteure auf Desinteresse
    Marco Cannarini, einer der nächtlichen Moderatoren:
    "Sicherlich, das ist kein einfacher Radiojob. Und er ist auch gefährlich, denn wir machen uns bei bestimmten Leuten sehr unbeliebt. Inzwischen werden wir von über 40 städtischen Bürgerinitiativen unterstützt."
    "Radio Impegno" hatte sich finanzielle Unterstützung auch von der seit Juli vergangenen Jahres regierenden neuen Bürgermeisterin Virginia Raggi erwartet. Ihre "Partei der 5 Sterne" hat sich mehr Transparenz und mehr Bürgersinn auf ihre Fahnen geschrieben. Doch im Rathaus, so klagen die Redakteure des Nachtradios, stoßen sie nur auf taube Ohren und Desinteresse.
    Aus Enttäuschung über die Bürgermeisterin mobilisiert die Redaktion Roms Öffentlichkeit. Mit Werbespots, in denen ohne Honorar Promis aus der Filmwelt, wie Regisseur und Schauspieler Ricky Tognazzi, und Schriftsteller wie Walter Siti ihre Unterstützung für "Radio Impegno" zum Ausdruck bringen. Die Redaktion hofft auch deshalb auf finanzielle Unterstützung, damit sie ihren Mitarbeitern bald auch minimale Gehälter zahlen kann. Denn bis jetzt arbeiten alle Beteiligten ehrenamtlich.