Freitag, 29. März 2024

Archiv


Rom und die Olympia-Finanzen

Die italienische Hauptstadt Rom hatte sich vor zwei Jahren als erster Interessent für die Olympischen Sommerspiele 2020 gemeldet. Am vergangenen Mittwoch mussten nun beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in Lausanne die ersten umfangreichen Bewerbungsunterlagen eingereicht werden. Wenige Stunden vor dieser Deadline entschied das Kabinett des Ministerpräsidenten Mario Monti, keine Bürgschaften für diese Bewerbung zu erteilen.

Von Jens Weinreich | 19.02.2012
    Sportpolitisch ist der Beschluss des Kabinetts Mario Monti geradezu einmalig. In den vergangenen vier Jahrzehnten, seit Denver einst aus finanziellen Gründen und nach einer Volksabstimmung die Winterspiele 1976 zurückgeben musste, hat sich noch jede Regierung dem olympischen Gigantismus verschrieben.

    Italiens Regierungschef Mario Monti hatte sich kurz zuvor mit US-Präsident Barack Obama beraten. Dieser wird ihm bestätigt haben, wie waghalsig und unberechenbar so ein Olympia-Abenteuer ist. Erinnern wir uns: Obama ist im Herbst 2009 auf der IOC-Session in Kopenhagen für seine Heimatstadt Chicago in die Bütt gegangen – und wurde mächtig abserviert. Chicago schied mit nur 18 Stimmchen im ersten Durchgang aus. Dabei muss man kein Fan der Amerikaner sein, muss Chicago nicht mögen, um festzustellen, dass Olympische Spiele – wenn überhaupt irgendwo auf diesem Planeten – dann doch in den USA im Grunde privat finanziert werden. Der Anteil an privaten Mitteln für Spiele in Amerika ist jedenfalls exorbitant höher als in anderen Regionen. Amerikanische Politiker feilschen auch stets etwas länger, bevor sie die vom IOC vorgelegten Knebelverträge unterschreiben.

    Von neuneinhalb Milliarden Euro Kosten war in Rom die Rede. Dass diese Summen nichts mit der Realität gemein haben, gehört zu den olympischen Grundgesetzen – nicht nur in Italien. Am Ende dieses Abenteuers – gerade auch in Italien – wäre ein Vielfaches dieser neuneinhalb Milliarden verprasst worden. Und mit den Unterschriften auf den vom IOC geforderten Papieren hätte der italienische Staat komplett für die Finanzierung eingestanden.

    Das IOC steuert aus seinen Reichtümern – jährlich nimmt es derzeit rund 1,3 Milliarden ein – nur einen kleinen Teil zur Olympiafinanzierung bei. Im besten Fall rund die Hälfte des reinen Organisations-Etats für die Sportwettkämpfe, OCOG-Etat genannt. Dieser OCOG-Etat bewegt sich bei allem Spielen in Größenordnungen von etwa 1,5 bis 2 Milliarden Euro. Entscheidend sind aber zwei weitere Etats, ein offizieller, den das IOC ebenfalls abfordert: der so genannte Non-OCOG-Etat, in dem die Kosten für die Sportstätten verschlüsselt werden – er beträgt oft rund zehn Milliarden Euro. Und schließlich jene Etats, die gastgebende Städte und Nationen wirklich als Infrastrukturprogramme entwickeln. Das können, meist inoffiziell, schon mal 30 oder 50 Milliarden sein.

    All das wird der Öffentlichkeit gern verschleiert und verheimlicht. Die offizielle Sprachregelung lautet stets: Olympia ist gut für uns! Olympia bringt Geld! Olympia löst unsere Probleme!

    An derlei Wahrheitsbeugungen beteiligen sich stets auch so genannte Wissenschaftler und Wirtschaftsberatungsgesellschaften, die mit bezahlten Gutachten die Öffentlichkeit täuschen, selbst gut daran verdienen und den Olympia-Kreislauf in Gang halten.

    Mahnende Stimmen gibt es kaum. Es ist nun gewissermaßen ein historisches Verdienst des Wirtschaftswissenschaftlers Mario Monti, die Spirale des Wahnsinns punktuell zu stoppen.

    Wenigstens einer hat es gewagt – und erstaunlicher Weise ist das Verständnis in der italienischen Bevölkerung groß. Das Greinen des sportpolitischen Komplexes darf man getrost vernachlässigen, zumal sich darunter viele führende Funktionäre befinden, denen das Handwerk gelegt werden müsste, weil sie in zahlreiche Skandale verstrickt sind oder waren. Etwa das IOC-Mitglied Mario Pescante, Berlusconi-Vertrauter, Abgeordneter von Berlusconis Gnaden und ehemaliger Berlusconi-Staatssekretär.

    Unter Silvio Berlusconi wäre das natürlich nicht passiert. Der hätte auch Olympia zur milliardenschweren Bunga-Bunga-Sause umfunktioniert und das im alten Rom geprägte Prinzip von Brot und Spielen gepflegt. Roms Bürgermeister Gianni Alemanno hätte ebenfalls alles riskiert, auch weil er 2013 wieder gewählt werden will.

    Die Italien-Korrespondentin Birgit Schönau erinnert in der Süddeutschen Zeitung noch einmal an die von schweren Verlusten, Korruptionsfällen und juristischen Auseinandersetzungen überschatteten vergangenen Großereignisse in Italien: etwa die Fußball-WM 1990, die Olympischen Winterspiele 2006 in Turin oder die Schwimm-WM 2009 in Rom – allein bei dieser WM waren die Kosten für drei Schwimmbecken mit 24 Millionen Euro veranschlagt und kosteten die Steuerzahler 90 Millionen, um nur die wichtigsten Ärgernisse zu nennen.

    Monti bricht mit dieser Tradition – und zwar rigoros.

    Monti hat ja nicht nur wichtige Sätze über "Verantwortung" und "Vernunft" gesagt. Er soll den italienischen Sportfunktionären auch erklärt haben, dass er es nicht verstehe, warum eine Regierung für derlei Sportveranstaltungen bürgen müsse. Das IOC verlangt vier Dutzend Garantien in unermesslicher Höhe. Allein die Sicherheitskosten, die nie in einem Olympia-Budget auftauchen, bewegen sich bei Sommerspielen, einer inklusive erster Vorwettkämpfe und Eröffnungsfeier 18 Tage währenden Veranstaltung, bei rund einer Milliarde Euro.

    Das sind Fakten, die vom sportpolitischen Komplex gern verschwiegen werden. Das war bei der vor einem halben Jahr gescheiterten Münchner Olympiabewerbung nicht anders. Da hatte der deutsche Bundestag pauschal den Bewerbungskosten zugestimmt, ohne auch nur einen ehrlichen, nachprüfbaren Ansatz auf dem Tisch zu haben. Und da hat später natürlich auch die Bundesregierung die Knebelpapiere des IOC, diese unerhörten Garantieforderungen und Bürgschaften, unterschrieben.

    Insofern war der Valentinstag 2012 ein guter Tag für den Realismus im Sportbusiness.

    Das hat selbst IOC-Marketingchef Gerhard Heiberg anerkennen müssen, der von Reuters mit den Worten zitiert wurde, Monti habe "weise" gehandelt. Dagegen behauptete der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach gemäß Reuters, Italien habe eine Chance auf wirtschaftliches Wachstum verpasst. Dies ist der übliche olympische Singsang, der auch schon vor Jahren in Athen angestimmt wurde – dabei haben die Sommerspiele 2004 in Athen mit geschätzten 30 Milliarden reellen Kosten beträchtlichen Anteil am drohenden griechischen Staatsbankrott.

    Monti soll seinen Ministern gesagt haben, er wolle nicht, dass Rom ein zweites Athen werde.

    IOC-Präsident Jacques Rogge hat unlängst noch den Anteil der Olympiakosten an Griechenlands Misere klein gerechnet. Dabei schönt er seine eigene Arbeit beziehungsweise sein eigenes Versagen. Denn die Vorbereitungen auf die Athen-Spiele fielen schon in seine präsidiale Amtszeit – und in jene Jahre, in denen er der Welt immer wieder versprochen hatte, es sei sein vordringliches Ziel, Olympia bescheidener und bezahlbarer zu machen.

    Er ist kolossal gescheitert und nun zu feige, dieses Scheitern einzugestehen. Denn Olympia hat sich in seiner Amtszeit anders entwickelt. Der Gigantismus dominiert, ohne dass es je energische, nachhaltige Eingriffe von Rogge gegeben hätte.

    Athen 2004, Peking 2008, Sotschi 2014, Rio 2016, Pyeongchang 2018 – dort wurden und werden Dutzende Milliarden verbrannt. In Athen und Peking sind aus Prestigebauten längst Investruinen geworden, die niemand braucht. In Sotschi verdienen vor allem die Putin-nahen Oligarchen. Die finanziell gesündesten Spiele gab es unter Rogge zweifellos in Vancouver 2010. Turin 2006 hielt sich, gemessen an Wahnsinns-Projekten in Sotschi oder Peking, einigermaßen im Rahmen. Und selbst die kommenden Sommerspiele in London weisen eine grundsätzlich ungesunde Finanzierung auf und basieren auf einer Mega-Lüge, weil schon bei der Vergabe durch das IOC im Juli 2005 feststand, dass das Budget nie gehalten werden kann, sondern ein Mehrfaches des in den Bewerbungsunterlagen behaupteten betragen würde. Doch ein entsprechendes Gutachten wurde im Sportministerium unterdrückt.

    So läuft das mit Olympia. Insofern darf die Welt Mario Monti dankbar sein.

    Er ist allerdings ein einsamer Rufer in der Wüste. Er wird dafür keinen Olympischen Ordne bekommen. Denn schaut man sich die verbliebenen fünf Bewerber für die Sommerspiele 2020 an, so geht es weiter mit Lügen und höchst ungesunden Milliardenversprechen.

    Madrid? Wie Spanien fast pleite?

    Istanbul? Ist sexy und protzt mit enormen Wirtschaftswachstum, doch viele Experten trauen der Botschaft nicht.

    Baku? Ein Witz.

    Tokio? Bietet vielleicht die reellste Bewerbung auf.

    Bleibt noch Doha, Hauptstadt des Emirats Katar. Für den Herrscherclan der Al-Thanis gelten keine ökonomischen Gesetze. Die Al-Thanis kaufen alles Dank ungeheurer Gas- und auch stattlicher Ölreserven.